Erzbistum München-Freising bildet geistig behinderte Lektoren aus

Bibellesen mit Herzblut

Veröffentlicht am 26.01.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © Privat
Behinderung

Grafing ‐ Im Altarraum sind sie eher die Ausnahme – Menschen mit geistiger Behinderung. Das Erzbistum München und Freising will dies nun ändern und bildet geistig Behinderte zu Lektoren aus. Elf von ihnen erhielten bereits die offizielle Beauftragungsurkunde, nachdem sie einen Lektorenkurs besucht hatten. Nun sind sie in ihren Gemeinden im Einsatz.

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Schon seit vielen Minuten sitzt Monika Pichlmaier auf ihrem Stuhl in der kalten Marktkirche von Grafing, einer kleinen Stadt im bayerischen Alpenvorland. Es ist Sonntag kurz vor 17 Uhr, gleich beginnt das Abendlob der Kolpingfamilie. Monika Pichlmaier hat den Gottesdienst gemeinsam mit anderen vorbereitet, sie übernimmt die Lesung und eine Fürbitte. Ganz selbstständig, obwohl sie ansonsten in ihrem Alltag durchaus auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Die 42-Jährige ist geistig behindert und lebt in einer Grafinger Wohngruppe.

Im heutigen Wortgottesdienst geht es um das Thema Engel – erklärt anhand einer Bibelstelle aus dem Lukasevangelium. Nach dem Eingangslied, einigen Gedanken und einer kurzen Stille ist Monika Pichlmaier endlich dran. Sie steht auf, geht zum Ambo, hält kurz inne und beginnt zu lesen: "In jener Zeit wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt." Ihre Stimme klingt fest und klar, keine Anzeichen von Nervosität. „Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt.“ Als der Text zu Ende ist, weiß Pichlmaier einen Moment lang nicht mehr weiter. "Wort des lebendigen Gottes", kommt es geflüstert von der Seite. Die Lektorin wiederholt die Formel, geht zurück an ihren Platz und setzt sich. Später im Gottesdienst bei den Fürbitten ist sie noch einmal dran.

„Die Ausbildung nimmt in den Blick, dass auch geistig behinderte Menschen viele Fähigkeiten haben“

—  Zitat: Mechthild Ferber-Holzbauer, Bereichsleiterin Pastoral für Menschen mit geistiger Behinderung

"Ich hab halt ausgewählt Lektorin zu werden, weil mir einfach das Lesen Spaß macht und ich auch noch ein bissl mehr dazu lernen wollt", erzählt die 42-Jährige im Anschluss. "Überhaupt das Lesen, das laut Lesen." Darum ging es im Kurs, den das Erzbistum München und Freising erstmals für Menschen mit geistiger Behinderung angeboten hat. Die elf Teilnehmer lernten das richtige Atmen, Betonen und den Ablauf der Liturgie. Außerdem gab es Tipps gegen die Nervosität. "Ich fand's aufregend, ja", bestätigt Monika Pichlmaier nach dem Abendlob, denn allzu viele Einsätze hatte sie noch nicht. Und diesmal waren die Bänke der kleinen Marktkirche mit rund 50 Leuten fast alle besetzt. Aber weil Lesen ihre liebste Freizeitbeschäftigung ist, bringt sie sich auch gern im Gottesdienst ein: "Ja, es macht sehr viel Spaß."

Menschen mit geistiger Behinderung, die die Lesung lesen, das gibt es nicht in vielen Kirchen. "Die Ausbildung nimmt in den Blick, dass auch geistig behinderte Menschen viele Fähigkeiten haben", sagt Mechthild Ferber-Holzbauer, Leiterin des Fachbereichs Pastoral für Menschen mit geistiger Behinderung im Erzbistum München-Freising. "Der Lektorenkurs soll dazu beitragen, Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderung nicht zu separieren." Deshalb nahm an der Ausbildung auch ein Mann ohne geistige Behinderung teil.

Das Abendlob gemeinsam in der Wohngruppe vorbereitet

Doch natürlich sei es wichtig, in der Zusammenarbeit bestimmte Dinge zu berücksichtigen, bestätigt Andrea Schütze aus dem Leitungsteam der Grafinger Kolpingfamilie . Sie hat das Abendlob gemeinsam mit Monika Pichlmaier und den anderen aus der Wohngruppe vorbereitet: "Man muss schon darauf schauen, dass sie einen klaren Fahrplan machen, wann wer wo hinläuft, oder auch nicht." Deshalb hat Monika Pichlmaier in den Tagen zuvor zu Hause viel geübt, allein und mit den Betreuern. "Ich denke, man muss sich einfach darauf einstellen, dass mal was nicht so hundertprozentig klappt", sagt Andrea Schütze.

Tatsächlich gibt es bei den Fürbitten im Abendlob ein kleines Durcheinander. Einzelne haben vergessen, dass sie dran sind. Schütze animiert sie also aufzustehen und zeigt ihnen die richtige Stelle auf dem Textblatt. "Es macht ihnen unglaublich Spaß. Ich hab das Gefühl, sie machen es mit Herzblut", sagt die Leiterin der Kolpingfamilie später.

Auch der Grafinger Pfarrer Hermann Schlicker sieht das Engagement positiv: "Wenn sie gut lesen und auch verstehen, was sie vorlesen – wenn sie da eine Beziehung dazu haben, dann kann jeder Mensch das tun." In den normalen Sonntagsgottesdiensten kam Monika Pichlmaier bisher allerdings noch nicht zum Einsatz. „Wir müssten sie jetzt bloß einmal einführen“, sagt Pfarrer Schlicker. "Und dann wird sie bei uns auch in den Lektorenplan aufgenommen."

Von Burkhard Schäfers