Warum ein Bischof aus Münster ins Angstloch gesteckt wird
Wissen Sie, was ein Angstloch ist? Wenn Ihnen dieser Begriff nichts sagt, ist das vielleicht auch besser so. Denn im Mittelalter versetzte die Erwähnung des Angstlochs wohl die meisten Menschen in großen Schrecken. Es bezeichnet den Zugang zu einem unter dieser Bodenöffnung liegenden Verlies in einer Burg, meist im Fuß des Bergfrieds. Auch wenn sich der Ausdruck wahrscheinlich vom lateinischen "angustus" für eng ableitet und nicht vom Wort Angst, ist doch verständlich, dass dieses Loch furchterregend war: Wer durch die meist schmale Öffnung in den fensterlosen Raum darunter herabgelassen wurde, kam oft erst nach langer Zeit wieder nach oben. So erging es jedenfalls dem Münsteraner Bischof Ludwig II.
Der westfälische Oberhirte aus dem 14. Jahrhundert verbrachte ein halbes Jahr im Keller des Turms der Burg Altena im Sauerland. 1323 war Bischof Ludwig bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Gefangenschaft geraten und von Graf Engelbert II. von der Mark, dem Burgherrn in Altena, eingekerkert worden. Von Pfingsten bis November blieb er daher in dem fensterlosen Verlies, bis das geforderte Lösegeld von 5.000 Silbermark schließlich gezahlt werden konnte. Dies ruinierte die Finanzen Ludwigs, sodass er sich sogar gegenüber dem Papst zahlungsunfähig erklären musste. Letztendlich reichte die Geldsumme, die er auftreiben konnte, jedoch nicht aus, weshalb der Bischof eine Burg und zwei Gerichtsbezirke an den Grafen abtreten und mehrere Kirchspiele verpfändete.
Die mittelalterliche Burg Altena liegt am Fluss Lenne im Sauerland, in der Nähe der Stadt Hagen.
Überhaupt war Ludwig, der mit 47 Jahren so lange wie kein Geistlicher vor und nach ihm auf dem Münsteraner Bischofsstuhl gesessen hat, sehr oft in Geldnot. Denn bereits zwei Jahre nach seiner Amtsübernahme 1310 begann er damit, Fehden gegen die benachbarten Landesherren zu führen. Zur Bezahlung der Truppen und des Kriegsgeräts benötigte er Geldsummen, die er nicht hatte. Die Verschuldung des Bistums und die Verpfändung von Besitzungen waren die unvermeidliche Folge. Dadurch verschärften sich die finanziellen Probleme Ludwigs jedoch noch weiter, denn fortan konnte er aufgrund der Abtretung seiner Ländereien kaum noch Lehen vergeben und dafür keine Gegenleistungen erhalten. Ein Teufelskreis. 1336 wurde deshalb von den Landständen des Hochstifts Münster ein Stiftsrat eingesetzt, der den Bischof fortan kontrollierte. Ohne Zustimmung des Rates durfte Ludwig keine Fehden mehr führen oder Stiftsgüter veräußern.
Auch wenn der Bischof wegen seiner kriegerischen Tätigkeit und der Vergabe von Pfründen an Angehörige seiner Familie bereits zu seiner Zeit in der Kritik stand, sorgte er sich doch sehr um das kirchliche Leben in seiner Diözese. Er stiftete Kanonikerkapitel und Klöster, außerdem setzte er sich für die von Pest und Hungersnöten geplagte Bevölkerung ein. Nach seinem Tod 1357 wurde er im Dom zu Münster beigesetzt. Doch auf Burg Altena wird Ludwig nun wieder "zum Leben erweckt" – und zwar genau in dem Angstloch, in das er einst gesteckt wurde.
Das Angstloch auf Burg Altena: Ein Kletterer wird abgeseilt, um den Boden des Verlieses zu säubern.
Beim Blick durch das Angstloch in das acht Meter darunter liegende Verlies werden Besucher des Museums auf Burg Altena künftig eine virtuelle Projektion des klerikalen Häftlings sehen können. Ergänzend dazu werden sie akustisch über die Kerkerhaft Ludwigs informiert. Damit sollen die Museen der Burg Altena didaktisch und medial aufgewertet werden, teilte der zuständige Märkische Kreis mit. Damit der Boden auch als Leinwand für die Visualisierung mit einem Beamer taugt, wurde er vor einigen Wochen gesäubert. Dazu seilte sich ein Kletterer herab, nachdem eine Platte aus Panzerglas entfernt worden war, die den Museumsbesuchern einen Einblick in die Tiefe des Verlieses im Keller des Bergfrieds gibt. Dort konnten Fundstücke auf dem vergangenen Jahrhundert geborgen werden: Zigarettenschachteln aus den 1920er- und 30er-Jahren, ein Hufeisen und eine Eintrittskarte.
Die Burg Altena stammt zwar aus dem 12. Jahrhundert und wurde von den Grafen von Berg errichtet. Bekannt wurde sie jedoch vor allem, weil auf ihr 1914 die erste Jugendherberge eröffnet und damit das Deutsche Jugendherbergswerk gegründet wurde. Die Originalräume sind heute ein Museum, das zu den Museen der Burg gehört. Aktuell sind sie wegen der Corona-Pandemie geschlossen, doch wenn sie bald wieder geöffnet werden, sind sie um eine Attraktion reicher: den Münsteraner Bischof Ludwig II. im Angstloch.
