Mann der leisen Töne
Der italienische Geistliche, der heute in Sotto Monte Giovanni XXIII bei Bergamo lebt, ist so etwas wie der Bewahrer des geistlichen Vermächtnisses von Johannes XXIII . Nicht zuletzt deshalb machte ihn Papst Franziskus im Februar zum Kardinal - dem aus dem Stand ältesten der Weltkirche.
Alles hätte allerdings auch ganz anders kommen können: Wenn Johannes XXIII. damals auf seinen Sekretär gehört hätte, hätte er das mit dem Konzil lieber einem jüngeren Nachfolger überlassen. "Kühl und ablehnend" sei seine Reaktion zunächst gewesen, als der Papst ihn Ende 1958 erstmals in seine Pläne für die Bischofsversammlung in Rom eingeweiht habe, erinnerte sich Capovilla später. Abschrecken ließ sich der "papa buono", der "gute Papst", dadurch nicht.
Ein Mann der leisen Töne
Ein Gralshüter will der engste Mitarbeiter von Johannes XXIII. freilich nicht sein. Im Gegensatz zum früheren Privatsekretär von Johannes Paul II. , Kardinal Stanislaw Dzwizisz, der kein Mikrofon auszulassen scheint, um seine Deutung von dessen Pontifikat unter die Leute zu bringen, ist Capovilla ein Mann der leisen Töne. "Weiser Vater" nennt ihn der Bischof von Bergamo. Bis heute ist er ein gefragter Gesprächspartner von Journalisten und Kirchenhistorikern.
Capovilla gab ausgewählte Briefe von Johannes XXIII. heraus, zuletzt 2013 dessen Briefwechsel mit dem späteren Papst Paul VI. Behilflich war er auch während der Kuba-Reise von Benedikt XVI. im Frühjahr 2012. Damals konnte er Berichte über eine angebliche Exkommunikation Fidel Castros durch Johannes XXIII. als Irrtum aufklären.
Der am 14. Oktober 1915 in Pontelongo bei Padua geborene Capovilla hatte schon einiges erlebt, als ihn der damalige Patriarch von Venedig, Angelo Giuseppe Roncalli, 1953 zu seinem Privatsekretär berief: Er war Seelsorger in einem Jugendgefängnis, Religionslehrer, Chefredakteur einer Kirchenzeitung und Zeremonienmeister im Markusdom von Venedig gewesen. Im Krieg diente der 1940 zum Priester geweihte Capovilla bei der italienischen Luftwaffe.
Papst Johannes XXIII.
Gewährte Einblick in seine Tagebücher
Zehn Jahre war er Roncallis Privatsekretär. Nach dem Tod des Konzilspapstes wurde Capovilla von dessen Nachfolger Paul VI. 1967 zunächst zum Erzbischof von Chieti und 1971 zum Leiter des vielbesuchten Marienwallfahrtsortes Loreto ernannt. Dort wirkte er bis zu seiner Emeritierung Ende 1988. Danach zog er in Roncallis Geburtsort und verwaltet dort das stattliche Haus, das sich sein Chef einst von seinem Gehalt als Vatikandiplomat kaufte.
Capovilla lehrte die Welt, wie ein Papst stirbt. In seinen Tagebüchern schildert er die letzten Tage von Johannes XXIII. - minutiös, nüchtern und ergreifend. Es war das erste Mal, dass die Öffentlichkeit so hautnah das Hinscheiden eines römisch-katholischen Kirchenoberhauptes verfolgen konnte.
Die Heiligsprechung wird er am Fernseher verfolgen
Wie sieht Capovilla seinen einstigen Dienstherren heute? Er beschreibt ihn als zutiefst konservativen Mann, der jedoch stets offen für die Anliegen der Zeit geblieben sei. Damit trifft er ziemlich genau das, was auch eine Mehrheit der Kirchenhistoriker heute über diesen Papst sagt. Capovilla formuliert es so: "Er wollte die Furche vertiefen, in die das Wort Gottes gesät wird. Eine neue Furche aufreißen, das wollte er nicht."
Seinen Kardinalsring, Birett und Urkunde konnte Capovilla im Februar nicht persönlich aus der Hand des Papstes entgegennehmen; dafür reichten seine Kräfte nicht mehr. Dabei hat ihm Franziskus mit Santa Maria in Trastevere die wohl schönste und ehrenvollste römische Titelkirche unter allen neuen Kardinälen zugedacht. Kardinaldekan Angelo Sodano überreichte ihm die Insignien am 1. März in Sotto il Monte Giovanni XXIII., und Capovilla bedankte sich mit der erwähnten Rede. Auch die Heiligsprechung Johannes XXIII. wird der 98-Jährige am Sonntag wohl nur zuhause am Bildschirm verfolgen.
Von Thomas Jansen (KNA)
