Warum der Kompromiss der US-Bischofskonferenz notwendig war

Die Bischöfe, Joe Biden und die heilige Kommunion

Veröffentlicht am 20.11.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Salzburg ‐ Wollen die US-Bischöfe Präsident Joe Biden wegen dessen Abtreibungspolitik die Kommunion verweigern? Darüber hat die Öffentlichkeit seit Monaten diskutiert. Nun fehlt die entsprechende Passage im verabschiedeten Eucharistie-Dokument. Andreas G. Weiß analysiert, warum der Kompromiss notwendig war.

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Die Herbstvollversammlung der US-amerikanischen Bischofskonferenz ist mit einem mehr oder weniger erwarteten Kompromiss zu Ende gegangen: Das oberste episkopale Gremium der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten verabschiedete mit einer großen Mehrheit von 222 zu 8 Stimmen ein monatelang ausgearbeitetes Dokument über "Das Geheimnis der Eucharistie im Leben der Kirche" (The Mystery of the Eucharist in the Life of the Church). Darin wurde der zentrale Stellenwert der Eucharistie für den katholischen Glauben herausgestrichen, zugleich aber auch Fragen und Verantwortung der Menschen an das Sakrament bearbeitet.

Was fehlte: die lange Zeit kolportierte Passage über die Verweigerung der Kommunion für Politiker, die in ihrer Agenda nicht der kirchlichen Linie in moralischen und politischen Fragen entsprechen. Der Text führt die bekannte Linie katholischer Grundsätze fort, indem auf die allgemeine Verpflichtung der Gläubigen hingewiesen wird, die heilige Kommunion nicht im "Zustand der Sünde" zu empfangen.

Unter normalen Umständen hätte dieses Dokument wohl aufgrund seiner stark innerkirchlich zentrierten Thematik wohl nur wenig für Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt. Doch waren die Vorzeichen dieses Mal verschoben: Mit Joe Biden wurde am 17. Januar dieses Jahres ein demokratischer Katholik als US-Präsident vereidigt, der in seiner politischen Agenda für liberale Abtreibungsrechte in den USA eintritt. So herrscht seit 1. September auch ein juristischer und medialer Konflikt zwischen der US-Regierung um Biden und dem Bundesstaat Texas, wo man eines der restriktivsten Gesetze zur Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen verabschiedet hat. Es dauerte nicht lange in der noch jungen Amtszeit Bidens, da forderten viele katholische und außerkatholische Kreise kirchliche Konsequenzen für dessen Politik: Ein Katholik, der für die Ermöglichung von Abtreibungen eintritt, könne demnach kein guter Katholik sein und schon gar nicht zu den Sakramenten zugelassen werden.

Der wichtigste Repräsentant von "God’s Own Country"

Diese Debatte auf amerikanischem Boden hat nicht erst mit Joe Bidens Präsidentschaft begonnen, wohl aber hat sie dadurch neue Brisanz erhalten – schließlich geht es hier um das höchste Amt im Staat und um niemanden geringeren als den (in vielen konservativen Augen) wichtigsten Repräsentanten von "God’s Own Country". Sehr schnell beherrschte die Frage, ob Joe Biden nun die Sakramente verweigert werden sollten oder nicht, zahlreiche Debatten. Einige Bischöfe sprachen sich öffentlich für den Ausschluss des Präsidenten aus, gleichzeitig aber wehte ihnen Gegenwind vieler ihrer Amtskollegen entgegen. Man hatte beinahe das Gefühl, es gäbe keine anderen Probleme in der US-Kirche mehr. Der Stellenwert der Frage soll jedoch nicht geschmälert werden. Tatsächlich geht es um eine Kernfrage des christlichen Glaubens: den Empfang der Eucharistie, die die Kirche schon seit biblischen Zeiten begleitet.

Als die US-Bischofskonferenz im Frühling dieses Jahres beschloss, ein Dokument über die "Eucharistie im Leben der Kirche" zu verabschieden, sahen sich viele Kritiker Bidens bestätigt. Schnell kursierten in sozialen Netzwerken scheinbare Textentwürfe, wobei nie im Einzelnen geklärt werden konnte, welche als authentisch zu gelten hatten und welche "Fakes" waren. Was sich aber durch diese öffentlichen Kanäle entwickelte, war eine laute und offensiv geführte Diskussion, in der zahlreiche US-Bischöfe ihre Position lautstark in Medien platzierten und sich gegenseitig weniger freundliche bis beleidigende Botschaften ausrichteten.

Doch die Auseinandersetzung war nicht auf die theologische und bischöfliche Ebene beschränkt. Die Abtreibungsfrage hatte sich schon zum Dauerbrenner in katholischen Identitätsfragen entwickelt. Nun wurde sie durch die aufgeheizte Stimmung und mit Joe Biden als "persona (non) grata" noch einmal vehementer geführt. Die ohnehin stark fragmentierte Kirche in den USA schien sich noch mehr auseinanderzubewegen – und das ausgerechnet wegen jener Person, die in diesem Land eigentlich für die Einheit stehen sollte. Schließlich wurde sogar Rom auf diese Frage aufmerksam und sowohl Papst Franziskus als auch Kardinal Luis Ladaria riefen die US-Bischöfe dazu auf, die Eucharistie und sich selbst nicht zum Spielball politischer Agenden werden zu lassen.

Der neue Erzbischof von Washington, Gregory Wilton, ist der erste Afroamerikaner auf diesem Bischofsstuhl.
Bild: ©KNA

Der Erzbischof von Washington, Wilton Gregory, wollte US-Präsident Joe Biden weiter die Eucharistie Spenden - egal was die Bischofskonferenz mit Blick auf ihr Kommunion-Papier beschlossen hätte.

Was letztlich dafür den Ausschlag gegeben hat, dass die Bischöfe nun das "entschärfte" Dokument verabschiedet haben, wird wohl im Dunkeln bleiben. Tatsächlich aber dürfte ihre Entscheidung richtig gewesen sein – und das aus mehreren Gründen: Zunächst wurde in den vergangenen Monaten sehr deutlich, dass die Frage, die sehr stark auf das katholische Bekenntnis Joe Bidens zielt, in erster Linie eine (religions)politische und keine moraltheologische Frage war. Denn der Druck, Joe Biden die Kommunion zu entziehen, kam nicht nur (wohl aber auch) aus katholischen Kreisen. Vielen seiner außerkatholischen Kritiker geht es dabei nicht um die Würde und Stellung der Kommunion, sondern darum, Biden anhand seines Bekenntnisses Selbstwiderspruch vorzuwerfen und ihn damit politisch zu torpedieren.

Dessen mussten sich auch die Bischöfe in den USA klargeworden sein. Hätten sie sich in diesem Dokument regulativ gegenüber Politikern geäußert, hätten sie sich politisch in eine Sackgasse manövriert – und letztlich ihrer eigenen Stellung und Autorität geschadet. Mit dem Ausschluss von Joe Biden wäre zudem womöglich einer breiteren religionspolitischen "Denunziation" Tür und Tor geöffnet worden. Sprich: Wenn ein katholischer Politiker nicht vollends die Linie Roms vertritt, braucht er nur vor seinem Bischof angeprangert werden und mit seiner Karriere ist es aus.

Darüber hinaus hat dieser Kompromiss aber auch für die US-Bischofskonferenz als ganze eine wichtige symbolische Bedeutung: Weltweit sprechen viele Beobachter davon, dass die Versammlung der 196 Teilkirchen in den USA völlig zerstritten, ja gespalten ist. Dieser Kompromiss spricht nun eine andere Sprache und zwar auf eine Art und Weise, in der keiner der vielen Flügel innerhalb des amerikanischen Episkopats das Gesicht verliert. Zugegeben: Die tiefen Gräben und Konfliktlinien werden dadurch nicht gelöst, aber man hat es geschafft, dem politischen Druck von außen nicht nachzugeben. Das deutliche Abstimmungsergebnis macht zudem klar, dass die Bischöfe in der Lage sind, auch in höchst brisanten Fragen einen Weg der Geschlossenheit zu verfolgen.

Ein Passus über Joe Biden und das Problem der Umsetzung

Es wäre allerdings auch fraglich gewesen, ob und inwiefern ein solches Dokument der Bischofskonferenz – hätte es den umstrittenen Passus zu Joe Biden und dessen Sakramentenempfang enthalten – tatsächlich umgesetzt hätte werden können: Schließlich hatte der Erzbischof von Washington, D.C., Wilton Gregory, bereits öffentlich betont, dem US-Präsidenten auch weiterhin die Kommunion spenden zu wollen. Als Beispiel für diese Problematik könnte etwa der Text der Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Aparecida (2007) gelten, der zwar einen Ausschluss katholischer Politiker von Sakramenten forderte, die in ihrer Politik dem katholischen Glauben widersprechen, aber in der Praxis letztlich in der jeweiligen Diözese umgesetzt werden musste. Es wäre wohl falsch, hier generalisierend von einem "zahnlosen" Dokument zu sprechen, aber jede Bischofskonferenz muss sich auch deutlich vor Augen halten, dass die Umsetzung letztlich auf der diözesanen Ebene geschieht – oder eben nicht.

Man sieht: Die religionspolitische Lage um diese Frage ist komplex und keinesfalls so einfach, wie manch konservative Kreise die Thematik als theologisches Problem darstellen möchten. Es stimmt zwar: Joe Biden bleibt mit seiner Politik vielen katholischen Kreisen weiterhin ein Dorn im Auge, gleichzeitig aber merkt man, dass die Diskussion um seinen Kommunionempfang von Beginn an auf sehr unterschiedlichen Ebenen geführt wurde. Besonders die Bischofskonferenz in den Vereinigten Staaten ist seit Jahrzehnten eng in den politischen Diskurs und öffentliche Auseinandersetzungen eingewoben. Dazu haben auch viele privat finanzierte, aber reichweitenstarke Medien katholischer Unternehmen geführt, die einen explosiven Mix aus Kirchenpolitik, Theologie und Staatspolitik verbreiten.

In Bezug auf die Frage rund um Joe Biden wird man feststellen, dass die eigentlichen Fragen auf theologischer Seite unbeantwortet geblieben sind. Schließlich verstärkt der Text, was eigentlich schon bekannt ist: die besondere Sorge und Verantwortung aller Menschen, wenn sie zum Sakrament der Eucharistie hintreten. Wahrscheinlich hätte man die offenen Punkte im Rahmen eines solchen Dokuments auch nicht im Einzelnen lösen können. Was bleibt, ist jedoch das wichtige Signal, dass auch Joe Biden, selbst wenn er der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, auf einer Stufe mit allen katholischen Gläubigen steht.

Von Andreas G. Weiß