Musizierende Tauben
Gnan hat eine jahrhundertealte kirchenmusikalische Tradition wiederbelebt. Seine Zöglinge tragen klingende, bis zu 20 Gramm leichte chinesische Schellen in ihrem Gefieder. Wenn sie alle zusammen aufsteigen, geben sie einen kaum definierbaren Ton ab. Doch Gnan vermag es, sie wie ein Orchester zu dirigieren. Einzeln, nacheinander, in kleinen Gruppen - auf seinen Wink hin steigen sie in Kirchenräumen in die Höhe. Dank der verschiedenen Schellen macht er mit den Tieren die Musik des Windes.
Seit elf Jahren ist Gnan Pfarrer des Ortes im Landkreis Freyung-Grafenau. In einem Stall hinter dem Pfarramt hat er etwa 80 Tauben aufgezogen; die Älteste zählt sieben Lenze. Dass er mit den Tieren auch Musik machen kann, war ihm lange Zeit nicht bewusst.
Die Idee bekam der Pfarrer von Asylbewerbern
Nach seiner theologischen Promotion über ein Thema aus dem Alten Testament 1994 arbeitete er mit Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. Er lernte Arabisch, stellte eine arabische Haushälterin ein. Einige Asylbewerber halfen ihm beim Taubenzüchten und brachten ihn auf die Idee, einmal den Schellenflug auszuprobieren. Als Gnan 1995 seinen ersten Test machte, dachten die Nachbarn, das Geräusch sei eine Störung, die von den damals neuen Satellitenschüsseln herrühre.
In Bayern arbeitet ein Pfarrer mit musizierenden Tauben. Dafür hat er kleine Schellen an ihre Füße gebunden.
Der heute 60-jährige Geistliche hielt die hierzulande weitgehend unbekannte Taubenmusik zunächst für eine rein orientalische Praxis. Später entdeckte er bei einer China-Reise, dass es sie auch dort gibt. "Ich habe damals überall nach Pfeifen geforscht und Exemplare gekauft."
Dann stieß der Pfarrer auf eine Tischrede Martin Luthers aus dem Jahr 1532. Darin schrieb der Reformator über das Brauchtum, Gott "mit tauben schellen" zu loben. Für Gnan steht heute fest, dass es sich beim Schellenflug um eine im Mittelalter weit verbreitete kirchliche Tradition handelt, die schlicht in Vergessenheit geraten ist.
Er muss Vertrauen der Tiere bekommen
Gnan trainiert mit den Tauben, baut langsam Vertrauen zu ihnen auf, dressiert sie so, dass sie je nach Wunsch auf dem blauen oder roten Kasten landen. Mit einem kleinen Futterbecher lockt er die Tauben auf seinen Arm und lässt sie wieder fliegen, nachdem sie sich drei Körner herausgepickt haben.
In seinen drei Pfarreien kommen die Tiere an Feiertagen wie Ostern zum Einsatz. Dann lässt Gnan eine Taube fliegen, welche die Seele Jesu symbolisiert. Ganze Geschichten kann er mit den Tieren erzählen - wie einst in den Kirchen des Mittelalters.
Das kommt bei den Gläubigen gut an. Gnans Taubenmusik erklingt bei Kommunionen und Firmungen, bei Hochzeiten und anderen Feiern.
Gnan will für die Schöpfung sensibilisieren
Auch für Blinde ist der Flug ein Erlebnis, da sie nicht nur der Musik lauschen, sondern auch die Dimensionen von Kirchenräumen besser erfassen können. "Mit schwer erziehbaren Kindern habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie sich sehr auf die handzahmen Tauben einlassen können", berichtet der Geistliche.
Gnan, der neben Tauben und Hühnern auch Bienen züchtet, will die Menschen für die Tiere und ihren Schutz sensibilisieren. Drei Amtstierärzte haben ihm bescheinigt, dass der Schellenflug einer artgerechten Tierhaltung entspricht. Auch beim Katholikentag in Regensburg waren der Pfarrer und seine Tauben zu sehen: Bei zwei Vespergottesdiensten erklang die Musik des Windes zu einer Orchestersinfonie von Antonin Dvorak. Und ein großes Publikum hörte die Botschaft Gnans: "Das Tier hat seinen Platz in der Schöpfung , Gott hat Mensch und Tier gleichberechtigt erschaffen."
Von Michael Merten (KNA)
