Die ehemalige Benediktinerabtei Corvey ist neues Unesco-Weltkulturerbe

Kaiser, Fürsten, Heilige

Veröffentlicht am 22.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
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Kultur

Corvey ‐ Ob der Heilige Vitus seine Hand auch in dieser Angelegenheit schützend über Corvey gehalten hat? Nach irdischen Maßstäben ist das schwer zu ermessen. Ab sofort jedoch ist eine andere Frage endgültig geklärt. Seit Samstag gehört das ehemalige Benediktinerkloster mit der Kirche, deren imposantes Westwerk 885 vollendet wurde, zum Unesco-Weltkulturerbe.

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Die Entscheidung fiel im fernen Doha, im Wüstenstaat Katar. In Ostwestfalen setzten sie für die letzte Etappe vor dem Finale auf "ihren" Heiligen, dessen Gebeine 836 nach Corvey kamen. "Mit Vitus auf dem Weg" lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe, die mit dem Vitus-Fest am vergangenen Sonntag begann.

Der zu Beginn des vierten Jahrhunderts gestorbene Märtyrer aus Italien, dem angeblich weder siedendes Öl noch hungrige Löwen etwas anhaben konnten, ist Sinnbild für die wechselvolle Geschichte Corveys: Mehrere Male stand die Abtei buchstäblich vor dem Aus. Um dann in letzter Minute wieder aufzuerstehen.

Der Anstoß zur Gründung erfolgte durch keinen Geringeren als Karl den Großen. Benannt nach dem nordfranzösischen Mutterkloster Corbie sollte das von Karls Nachfolger Ludwig dem Frommen 822 zu Ende geführte Werk im Verein mit anderen geistlichen Stiftungen und neu errichteten Bistümern die kurz zuvor eroberten sächsischen Territorien in das Reich der Franken eingliedern.

"Das Wunder Sachsens und des Erdkreises"

Im lichten Tal der Weser gelegen, zog "das Wunder Sachsens und des Erdkreises" die Menschen bald in seinen Bann. Das Wissen der Zeit trugen die Mönche in einer riesigen Bibliothek zusammen und vervielfältigten es in der Schreibstube, dem Skriptorium. Wirtschaftliche Grundlage lieferten ausgedehnte Besitzungen, die Anfang des 11. Jahrhunderts von Holland bis an die Elbe reichten. Doch der Einfluss der Geistlichkeit war manchen weltlichen Herren bald ein Dorn im Auge; der Stern Corveys begann zu sinken.

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Markenzeichen Wiederauferstehung: Das ehemalige Kloster Corvey will Weltkulturerbe werden. Bild: Kreuzgratgewölbe.

Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) schließlich hinterließ die Abtei in Trümmern. Doch schon gut 50 Jahre später stand die neue Abtsresidenz. Neben dem mit karolingischen Originalmalereien verzierten Westwerk ist der barocke Prachtbau bis heute der Fixpunkt auf dem 80.000 Quadratmeter großen Areal.

1803 schien erneut das letzte Stündlein für Corvey zu schlagen: Als Folge der Säkularisierung erlosch das geistliche Leben in der Abtei. Grund und Boden kamen in Adelshände. Seit 1840 führen die Besitzer die Titel eines Herzogs von Ratibor und Fürsten von Corvey. Sie haben die "Freude und Herausforderung", den geschichtsträchtigen Ort für die Nachwelt zu erhalten, wie es der fünfte Fürst von Corvey und Herzog von Ratibor, Viktor, formuliert.

Wirkungsstätte von Hoffmann von Fallersleben

Dazu zählt auch der Erhalt der Bibliothek. Aus alten Zeiten blieben zwar nur 16 Bücher. Aber Landgraf Viktor Amadeus von Hessen-Rotenburg, ein Vorfahr des jetzigen Schlossherrn, sorgte für Ersatz. 36.000 Bände umfasste seine Sammlung - die dessen Neffe Viktor mit Hilfe eines berühmten Experten noch einmal verdoppeln ließ. Von 1860 bis 1874 arbeitete August Heinrich Hoffmann von Fallersleben als Bibliothekar in Corvey. Der Dichter der deutschen Nationalhymne liegt im Schatten seiner Wirkungsstätte begraben.

Zu tun gibt es immer irgendwo irgendetwas, sagt Herzog Viktor V. Besonders oft geht der Blick nach oben. "Wenn ein Dachziegel fehlt, bin ich sofort am Telefon." Kein Wunder bei drei Hektar Dachfläche und dem Schaden, den eindringendes Wasser an den alten Mauern verursachen kann. Die Verantwortung für das Anwesen teilt sich der 50-Jährige mit zwei weiteren Parteien: der gemeinnützigen Gesellschaft "Kulturkreis Höxter-Corvey", deren Geschäftsführerin Claudia Konrad auch das schlosseigene Museum leitet, und der örtlichen Kirchengemeinde mit Pfarrdechant Ludger Eilebrecht.

Der Seelsorger kennt auch die kleinen Geheimnisse des Gotteshauses. In einem der hölzernen Schränke an der Seitenwand etwa lagern, sorgsam beschriftet und eingeschlagen in altersbleiche rote Samtsäckchen, die Gebeine zahlreicher Heiliger. "In Santiago haben sie die Kathedrale, in Köln bauen sie einen Schrein - und wir haben sie alle hier", sagt Eilebrecht mit verschmitztem Lächeln. Die Klostergeschichte mag der Vergangenheit angehören. Das Selbstbewusstsein von Corvey ist geblieben.

Von Joachim Heinz (KNA)

Corvey in Zahlen

3 funktionierende Springladenorgeln gibt es weltweit noch; eine davon steht in der Kirche von Corvey. Der Name des barocken Instruments erklärt sich durch den besonderen Ventilmechanismus, der die Orgelpfeifen mit Luft versorgt 50 Personen wohnen heute in Corvey; zu Hochzeiten zählte man auf dem (damals freilich größeren) Gebiet der Abtei 12.000 Personen 65 Äbte standen dem Kloster Corvey vor. Die Liste beginnt im Jahr 822 bei Adalhard, einem Vetter Karls des Großen, und reicht bis Johann Karl Theodor von Brabeck, dessen Amtszeit 1792 endete 100 Besuche von Königen und Kaisern verzeichnen die Chroniken von Corvey. Die meisten davon fanden zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert statt. 200 Katholiken gehören zur Corveyer Gemeinde St. Stephanus und Vitus; damit ist sie heute die kleinste im Erzbistum Paderborn 600 Fenster etwa sind in Corvey zu reinigen 74.000 Bücher bilden die in Corvey beheimatete Bibliothek der Herzöge von Ratibor. Sie ist damit deutschlandweit eine der größten Buchsammlungen in Privatbesitz 80.000 Quadratmeter Fläche umfasst das heutige Areal von Corvey (KNA)