Fotograf Marcus Brunetti zeigt Fotokunst europäischer Kirchenfassaden

Blick auf die Fassaden

Veröffentlicht am 20.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Mehrere Fotografien hängen in einem Ausstellungsraum.
Bild: © KNA
Kunst

Köln ‐ Vor 175 Jahren stellten die Französischen Akademien der Wissenschaften und der Schönen Künste ein neues Verfahren vor. Die Daguerrotypie, eine so umständliche wie verblüffende Prozedur zur fotomechanischen Reproduktion, benannt nach dem Maler Louis Jacques Daguerre (1787-1851), veränderte die Welt.

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Wie weit sich Fotografie heute vom plumpen Ablichten einer gefühlten Wirklichkeit des Augenblicks abheben kann, das zeigt eine Ausstellung, die am Dienstag, genau am 175. Jahrestag, im Museum für Angewandte Kunst in Köln eröffnet wurde.

Hinter dem schlichten Titel "FACADES. Kathedralen, Kirchen, Klöster in Europa" verbirgt sich ein spektakuläres Projekt mit atemberaubenden Bildern. Seit neun Jahren reist der Fotograf Markus Brunetti durch ganz Europa, um Fassaden von Gotteshäusern abzulichten. Nicht einmal, auch nicht viermal oder 150 Mal. Sein Bild der Kathedrale von Orvieto etwa ist aus rund 2.500 Aufnahmen komponiert, fotografiert über Wochen, manchmal Jahre, aus verschiedenen Perspektiven und wiederum in Hunderten Arbeitsstunden digital bearbeitet.

Die Kirche Paroquia de Santa Marinha in Cortegaca, fotografiert von Markus Brunetti.
Bild: ©KNA

Die Ausstellung "FACADES. Kathedralen, Kirchen, Klöster in Europa" des Künstlers Markus Brunetti. Hier: Die Kirche Paroquia de Santa Marinha in Cortegaca (Portugal).

Herrschaft über das Bild

Entstanden sind Idealansichten von enormer Klarheit und Präzision, wie sie der Betrachter, der sich verrenkt, um den riesigen Kölner Dom in seine Kleinbildkamera hineinzuzwängen, im Trubel der Stadt niemals wird sehen können: menschenleer, unwirklich wirklich, fast wie ein Masterplan des Architekten selbst. "Ich möchte ein Bild schaffen, das absolut der Wahrheit entspricht - aber in meiner Wahrnehmung", sagt Markus Brunetti. Dafür übernimmt er die Herrschaft über das Bild, nimmt sich die Freiheit, die Cafe-Tische beiseitezurücken und die Taubendrähte abzumontieren. Seine Kameras und Computer versteht er dabei nur als Aufzeichnungsmedium, "so wie früher Bleistifte oder Pinsel und Tusche". Ein Maler, ein digitaler.

Doch warum Kirchen und nicht Rathäuser oder Schlösser? Und woher die Muße, solch ein schier uferloses europäisches Projekt zu verfolgen? "Kirchen sind die Orte, wo der Mensch immer sofort hinstrebt. Ein zentraler Ort der Stadt, der die meiste Kraft und die meiste Qualität hat und der die Schaffenskraft Europas am besten widerspiegelt."

Crack der digitalen Bildbearbeitung

Brunetti, selbst bayerischer Nachkomme einer italienischen Architektenfamilie, ist Aussteiger und Pilger zugleich. Er zählte zu den frühen Cracks der digitalen Bildbearbeitung, und als solcher verdiente er in den 90er Jahren üppig, vor allem mit Aufträgen für die Werbebranche. Dafür beutete er sich in 20-Stunden-Tagen selbst aus. Irgendwann fühlte er sich leer, wollte lieber sein Ding machen.

2005 verkaufte er seine Firma und sein Schloss, um sich künftig ohne festen Wohnsitz zu entschleunigen. Er baute einen zehn Meter langen LKW zu Wohnung, Küche und Atelier aus und tourt seitdem mit seiner Frau über den Kontinent - mit Vorliebe in wärmeren Regionen. "80 Stundenkilometer statt 280 - die Umstellung hat mich einige Zeit gekostet."

Die erste Annäherung an ein Objekt? "Nach der Ankunft muss meist der Hund mal Gassi", sagt Brunetti schmunzelnd. Beim Spaziergang erste Fotoskizzen mit dem Handy. Früh aufstehen muss er oft, gerade bei Bauten mit Touristenrummel. Dabei konzentriert er sich ausschließlich auf die Fassade. "Ich musste mich entscheiden: Zeige ich die Kirche in der Landschaft, in der Stadt? Zeige ich den Turm oder den Innenraum?" Nur eine Perspektive - aber die dafür überall vergleichbar.

Versprechen für die Zukunft

Mit der Kölner Ausstellung hat das Projekt Serienreife erreicht: Die 30 monumentalen Fotodrucke von Kathedralen, Klöstern und Dorfkirchen sind ein Versprechen für die Zukunft. Sie sind nicht nur selbst eigenständige Kunstwerke, die nach Herstellerangaben 100 Jahre halten sollen. Sie sind auch ein Vorgeschmack auf die rund 140 weiteren Kirchen, die Brunetti bereits fotografiert, aber noch nicht ausgearbeitet hat. Dabei stehen Nord-, Mittel- und Osteuropa sogar noch aus.

Der Premiere soll bald eine internationale Ausstellungstournee folgen, verrät Kurator Markus Hartmann. Auch Anfragen aus Korea und Japan gebe es schon. Schließlich sind europäische Kathedralen eine Marke in der Welt.

Von Alexander Brüggemann (KNA)