Juwel des Christentums

Der kleine Bau mit seinem komplexen Bildprogramm ist nach Worten des leitenden Restaurators Werner Schmid ein einzigartiger Schlüssel für das Verständnis der Entwicklung mittelalterlicher und byzantinischer Kunst.
Es war ein gnädiger Zufall, dass 847 infolge eines Erdbebens ein Stück des Palatin ins Rutschen geriet und die Kirche unter sich begrub. Unter Geröll und eingestürztem Mauerwerk blieben Fresken aus drei Jahrhunderten konserviert, unerreichbar für Bilderstürmer und barockisierungsfreudige Päpste. So gewährt das Gotteshaus noch heute einen Einblick in die Zeit, als es Mitte des 6. Jahrhunderts in einer ehemaligen Unibibliothek Kaiser Hadrians (117-138) gegründet wurde. Frühestes Zeugnis ist die "Maria Regina", eine thronende Muttergottes mit der perlenbesetzten Krone einer byzantinischen Herrscherin.
Sixtinische Kapelle des 8. Jahrhunderts
Ein seltenes Motiv. Im Osten des römischen Reichs fielen derartige Darstellungen dem Bildersturm des 8. Jahrhunderts zum Opfer. Die römische Madonna verlor durch den Einbau der Apsis im 6. Jahrhundert lediglich einen flankierenden Engel links. Spätere Päpste ließen eine Verkündigungsszene, dann eine Reihe Kirchenväter darüber malen. Doch unter dem frischen Putz blieben die alten Kunstwerke jeweils versiegelt. Von einer "Palimpsest-Wand" sprechen Kunsthistoriker: Wie ein überschriebener Text enthält Santa Maria Antiqua Bildbotschaften aus einer bewegten Epoche. Sieben Schichten sind es, seit Kaiser Domitian (81-96) die Mauern als Eingangsbereich für seinen Palast auf dem Palatin gründete.
"Zwei glückliche Umstände" nennt es Restaurator Schmid, dass Rom damals vom Bildersturm verschont, die Kirche kurz darauf verschüttet wurde. Fast tausend Jahre dauerte ihr Dornröschenschlaf. Zwar entdeckten Baustoffplünderer auf der Suche nach Travertin und Marmor schon 1701 die Apsis. Aber erst 1900 setzte Giacomo Boni, der große Ausgräber des Forums, systematisch den Spaten an. Eigens dafür wurde sogar die Kirche Santa Maria Liberatrice abgetragen, die die Römer im 13. Jahrhundert über die Ruine gesetzt hatten. Der Londoner "Times" war der Fund eine Schlagzeile wert: Die "Sixtinische Kapelle des 8. Jahrhunderts" sei entdeckt. Mit ihrer Freilegung begann zugleich ihr Verfall.
Zementbefestigung bedrohte die Fresken
Boni befestigte die losen Freskenteile mit Zement und Metallklammern - auf lange Sicht eine fatale Entscheidung: Aus dem Zement löste sich Natriumsulfat, ein Salz, das die Bildwerke endgültig zu vernichten drohte. Ein Hauptteil der 1980 begonnenen Restaurierungsarbeiten richtete sich darauf, über einen Kilometer Zementeinfassung und 250 Metallkrampen zu entfernen, dazu das Mineralwachs, das Boni damals als Feuchtigkeitsschutz auf die Bilder aufgetragen hatte. "So was würde man heute nicht mehr tun", sagt Schmidt, nimmt aber seinen Vorgänger zugleich in Schutz: "Ohne das hätten wir noch weniger."
Inzwischen sind rund 250 Quadratmeter Fresken gereinigt und fixiert. Probleme bereitet laut Schmid noch die Feuchtigkeit in der Apsiswand; doch das Raumklima sei stabil genug, um die Fresken als sicher zu betrachten. Künftig sollen Besucher den frühchristlichen Bilderschatz mit eigenen Augen betrachten können: frühe Fragmente aus der Zeit der Päpste Martin I. (649-655) und Johannes' VII. (705-707), die Kreuzigungsgruppe in der Theodotus-Kapelle von Papst Zacharias (741-752), die Zyklen der Josefsgeschichte und des Lebens von Paul I. (757-767). Vorerst bis 4. November dürfen Kleingruppen die Kirche besichtigen. Schwankungen in Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden dokumentiert. Wenn die Archäologische Denkmalpflege zustimmt, soll Santa Maria Antiqua von Ende 2013 an dauerhaft geöffnet sein.
Von Burkhard Jürgens