Seid vollkommen!

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Mit dem heutigen Tagesevangelium befinden wir uns in der Struktur des Matthäusevangeliums immer noch in der Bergpredigt Jesu, der berühmtesten der fünf langen Reden Jesu bei Matthäus. Oberthema dieser langen Rede ist die Frage danach, was glauben eigentlich konkret heißt, Jesus stellt quasi sein Programm vor.
In unserer Perikope thematisiert Jesus das Verhältnis zwischen dem, was er lehrt und dem Gesetz und den Propheten. Mit Gesetz und Propheten werden klassisch die Tora (die fünf Bücher Mose) und die Bücher der Propheten bezeichnet, Jesus thematisiert also die gesamte jüdische Schrift. Bereits im ersten Satz Jesu wird deutlich, dass es nicht um einen Ersatz dieser jüdischen Schriften geht, Jesus will nicht ablösen, verbessern oder korrigieren. Er versteht sein ganzes Leben als "Erfüllung" von Gesetz und Propheten. Das bedeutet für Matthäus, der dieses Wort ganz bewusst ausgewählt hat, dass mit Jesu Leben und Lehre exakt das passiert, was Gesetz und Propheten angekündigt haben und was sie fordern. Jesus lebt in völliger Übereinstimmung mit dem Heilswillen Gottes, in ihm verwirklicht sich das Himmelreich.
Und nichts geringeres als genau das anzustreben, erwartet der Jesus des Matthäusevangeliums auch von uns, den Jüngerinnen und Jüngern Jesu: "Seid also vollkommen!"(Mt 5,48), so endet unser Abschnitt. Er fordert die Zuhörenden dazu auf, eine noch viel größere Gerechtigkeit, eine vollkommene Erfüllung des Willen Gottes, anzustreben. Was genau Jesus unter dieser Vollkommenheit, der "größeren Gerechtigkeit" (Mt 5,20) im konkreten Alltagsleben versteht, führt er an Beispielen aus: Morden, Ehebruch, Scheidung, Schwören, Vergebung und Nächstenliebe. Das, was explizit in der Schrift steht, wird in Jesu Verkündigung und Leben zum Minimum.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht beim Lesen dieser Vollkommenheitsanforderungen, ich muss da aufpassen, dass ich nicht von vornherein denke: "Das ist doch alles unrealistisch und unbarmherzig!" So einem Anspruch kann ich nie genügen. Weginterpretieren kann und sollte man meiner Meinung nach diesen hohen Anspruch des matthäischen Jesu in diesem Abschnitt nicht, ihn aber eben im Kontext der ganzen Bergpredigt lesen. Selig gepriesen und zum Beten angeleitet werden nicht die Vollkommenden. Das Streben nach der vom matthäischen Jesus gepredigten Vollkommenheit, das Bemühen um das Tun von überfließender Gerechtigkeit, das macht den Unterschied. Und kann uns als Ansporn dienen, nicht als Abschreckung.
Aus dem Evangelium nach Matthäus (Mt 5,17–37)
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.
Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.
Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe!
Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.
Ferner ist gesagt worden: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben. Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs! Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören;
denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen. Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.
Die Autorin
Schwester Jakoba Zöll ist Olper Franziskanerin. Sie arbeitet an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte und schreibt an Ihrer Promotion.