Bestseller-Autor sieht kirchlichen Bedeutungsverlust ohne Wehmut
Bestseller-Autor und Historiker Ewald Frie (60) sieht den Bedeutungsverlust der Kirchen in Deutschland ohne Wehmut. "Es gibt Institutionen, die dafür verantwortlich sind, dass Balance in der Gesellschaft hergestellt wird. Das sollten in den 1970ern die Kirchen und die Gewerkschaften sein", sagte der Tübinger Historiker am Donnerstag im Deutschlandfunk. "Dann haben sich die Dinge verschoben. Es ging ohne diese Institutionen und Organisationen. Es wird wahrscheinlich auch ohne die Kirchen gehen. Man wird Solidarität anders begründen als über das christliche Liebesgebot."
Der aus dem Münsterland stammende Frie steht mit seinem Buch "Ein Hof und elf Geschwister" seit Monaten auf der Sachbuch-Bestsellerliste des "Spiegel" ganz oben. Der Erfolg des Buches, in dem Frie den Bedeutungsverlust der bäuerlichen Lebensweise und des Katholizismus anhand seiner Familiengeschichte beschreibt, habe ihn total überrascht, sagte der Historiker.
Das große Interesse erklärt er sich damit, dass in den 50er Jahren noch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung direkten oder indirekten Kontakt mit dem bäuerlichen Leben hatte und der schleichende Untergang dieser Lebensform wenig reflektiert worden sei. Sein Buch liefere in diesem Zusammenhang nicht abstrakte Zahlen, sondern eine persönliche Erfahrungsebene.
Blick auf Katholizismus mit Dankbarkeit
Frie sagte, er blicke auch mit Dankbarkeit auf den Katholizismus der 70er Jahre zurück. So habe ihm die kirchliche Jugendarbeit eine Spielwiese geboten, um sich auszuprobieren und Gemeinschaftserfahrungen zu sammeln. Dass die Kirchen auch auf dem Land an Bedeutung verlieren, führt er nicht nur auf die Skandale der vergangenen Jahrzehnte zurück. Den Menschen böten sich heute zahlreiche Alternativen, ihr Leben zu gestalten. "Für mich früher gab es auf dem Dorf außer Kirche und Sportverein nichts."
Das bedeute auch, dass man sich heute bewusst für ein Engagement in der Kirche entscheiden müsse. Und wegen der Skandale komme man heute schon in Erklärungsnot, wenn man zum Gottesdienst gehe oder sich kirchlich engagiere. Frie verweist auch auf den Rollenwandel des Priesters: Früher sei der Geistliche eine starke Respektsperson im Ort gewesen. Heute sei er eher eine Randfigur, auf die man tendenziell mit Skepsis und Zweifel schaue. (KNA)
