Rainer Dürscheid über seine Arbeit als Polizeiseelsorger

Einfach mal reden

Veröffentlicht am 28.04.2015 um 00:00 Uhr – Von Gerlind Schabert – Lesedauer: 
Seelsorge

Bonn ‐ Bei Großereignissen mit oft aufgeheizter Stimmung ist die Polizei immer dabei. Wie schwierig solche Situationen sind, weiß der Kölner Polizeiseelsorger Rainer Dürscheid.

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Frage: Herr Dürscheid, 110 Frauen und Männer arbeiten deutschlandweit als katholische Polizei-Seelsorger, allein im Erzbistum Köln sind es vier hauptamtliche und drei nebenamtliche, insgesamt also sieben Seelsorger. Wie können Sie die Polizisten unterstützen?

Dürscheid: Am wichtigsten sind wir als Ansprechpartner nach sehr schwierigen Einsätzen – etwa, wenn Polizisten zu Tode gekommen sind oder sie auf jemanden schießen mussten. Auch, wenn sich ein Kollege das Leben genommen hat, werden wir angefragt. Aber es gibt auch einfachere, persönliche Anfragen nach dem Motto: "Ich muss jetzt einfach mal mit jemandem reden". Und für Taufen und Hochzeiten sind wir auch zuständig.

Frage: Gibt es auch Frauen und Männer, die Vorbehalte gegenüber der Polizeiseelsorge haben, weil sie sich selbst als "stark genug" sehen?

Dürscheid: Ich bin jetzt seit elf Jahren dabei und während dieses Zeitraums hat sich Vieles verändert. Inzwischen motivieren immer mehr Führungskräfte ihre Mitarbeiter, sich in schwierigen Situationen Unterstützung zu holen. Die Loveparade in Duisburg 2010 hat zu einem deutlichen Vorzeichenwechsel geführt, im Sinne von: Es ist eher eine Stärke, sich helfen zu lassen als Belastendes einfach nur wegzudrücken.

Porträt Rainer Dürscheid
Bild: ©privat

Rainer Dürscheid leitet die Polizeiseelsorge im Erzbistum Köln und ist Landespolizeiseelsorger in Nordrhein-Westfalen.

Frage: Über zwanzig Tote und hunderte von Verletzten hat es wegen fehlgeleiteter Besucherströme damals in Duisburg gegeben. Hat das bei den Einsatzkräften noch lange nachgewirkt?

Dürscheid: Ja, allerdings. Nach dem Unglück habe ich unsere Polizisten noch sehr lange betreut. Sie standen ja selber auch in dem überfüllten Tunnel. Und sie waren über externe Entscheidungen in eine Situation geraten, aus der sie nicht herauskamen. Das war für sie mit einem extremen Gefühl von Ohnmacht verbunden.

Frage: Das kann man gut nachvollziehen. In den meisten Fällen wird dem Bürger bei dem Gedanken an die Polizei aber wohl eher die Macht in den Sinn kommen, mit der der Staat sie ausgestattet hat. Ist die Gefahr, sie zu missbrauchen auch Thema der Seelsorge?

Dürscheid: Damit setzen sich die Polizistinnen und Polizisten schon beim Studium auseinander. Sie lernen, vorurteilsfrei zu agieren und den Bürger, das "polizeiliche Gegenüber", mit Respekt zu behandeln. Egal, worum es geht und egal, was jemand angestellt hat. Dazu kommt natürlich, dass die Maßnahmen immer so angelegt sein müssen, dass sie dem Polizeigesetz entsprechen. Auf keinen Fall dürfen Menschen grundlos angegriffen werden.

Frage: Was ist, wenn die Polizisten selber angegriffen werden?

Dürscheid: Wenn zum Beispiel bei einer Demonstration die Stimmung plötzlich umschlägt, müssen die Polizisten sehr schnell reagieren. Das habe ich einmal beim G8-Gipfel in Heiligendamm miterlebt, als über ein Feld ein schwarzer Block von 2.000 vermummten Menschen auf die Einsatzkräfte zukam. In solchen Fällen werden die Demonstranten mehrfach über Megafon aufgefordert stehenzubleiben, weil ansonsten vom Wasserwerfer Gebrauch gemacht werde. Aber irgendwann passiert das dann auch. Schließlich ist es der Auftrag der Polizei, solche Randale zu verhindern.

„Es ist eher eine Stärke, sich helfen zu lassen als Belastendes einfach nur wegzudrücken.“

—  Zitat: Polizeiseelsorger Rainer Dürscheid

Frage: Die Polizeiseelsorge veranstaltet regelmäßig Seminare zur polizeilichen Berufsethik. Welche Probleme stehen da im Fokus?

Dürscheid: Beispielsweise, dass es nicht immer leicht ist, wenn die Einsätze im Gegensatz zur eigenen Einstellung stehen. Um das zu veranschaulichen: In Köln gab es 2008 den sogenannten Anti-Islam-Kongress mit zwanzig rechten Demonstranten auf dem Heumarkt und tausenden Gegendemonstranten. Die Polizei hatte den Auftrag, die zwanzig "Kongress-Teilnehmer" zu schützen. In solchen Fällen sagen mir viele: "Ich kann aber die Demonstranten gut verstehen. Eigentlich habe ich gar keine Lust, irgendwelche rechten braunen Socken zu schützen". Aber das Gericht hat entschieden, die Demonstration ist genehmigt und dann hat die Polizei das zu tun.

Frage: Geht es auch um das Spannungsfeld Selbstwahrnehmung-Fremdwahrnehmung? Im Polizeiberuf dürfte es wichtig sein, das zu hinterfragen.

Dürscheid: Sätze wie "Es gibt überhaupt keinen Respekt mehr gegenüber der Polizei, hier laufen nur noch Leute rum, die uns ans Fell wollen" höre ich von vielen Kölner Kräften. Dann mache ich ihnen deutlich, dass sie im Einsatz meistens mit den Menschen konfrontiert sind, deren Verhalten auffällig oder problematisch ist - und nicht dem der überwiegenden Zahl von Menschen entspricht, die die Arbeit der Polizei schätzen. Der Polizist, der eingreift, wird von dem Menschen, bei dem er eingreift, nicht unbedingt als Freund und Helfer wahrgenommen. Trotzdem erleben unsere Beamten es oft, dass Mitbürger ihnen bei Einsätzen signalisieren: "Es ist gut, dass ihr da seid".

Frage: Haben die Polizisten auch mit anderen Vorurteilen zu kämpfen?

Dürscheid: Die Polizisten erleben es oft, dass ihnen nach Einsätzen mit großem Medieninteresse unterstellt wird, sie seien zu hart rangegangen. Fußballspiele sind ein gutes Beispiel. Neulich habe ich mit einem Jugendlichen diskutiert, der als Fan in einem Block war, in dem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Er war daran nicht beteiligt, wurde aber trotzdem vorübergehend festgenommen und fühlte sich vollkommen ungerecht behandelt. Ich habe den Jungen gefragt, wie die Polizisten das denn in diesem Chaos hätten unterscheiden sollen. Die Wahrnehmung gibt es oft: "Die böse Polizei, ich hab doch gar nichts gemacht!" Damit müssen die Polizisten leben und das wissen sie auch.

Von Gerlind Schabert