CAP-Märkte bieten Menschen mit Behinderung eine Perspektive

Ralle lernt zählen

Veröffentlicht am 26.05.2015 um 12:01 Uhr – Von Janina Mogendorf – Lesedauer: 
Soziales

Sankt Katharinen  ‐ In CAP-Supermärkten arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam. Doch wie funktioniert so ein Supermarkt? Was ist dort anders, als beim Discounter um die Ecke? Wir haben den CAP-Markt im rheinland-pfälzischen Sankt Katharinen besucht.

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Im CAP-Markt einkaufen, bedeutet entspannt einkaufen. Stress und Zeitnot müssen draußen bleiben, bei den angeleinten Hunden. Denn das Personal in diesem Laden, das so viel Herzlichkeit ausstrahlt, kommt überwiegend aus der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im Ort. Da ist zum Beispiel Ralf Krahe, "Ralle" genannt. Der junge Mann ist der gute Geist im Haus, steht Kollegen und Kunden breit lächelnd mit Rat und Tat zur Seite. Und weiß genau, wie der Hase läuft, hier im Markt.

Viel hat er in den vergangenen zwei Jahren gelernt, seit der CAP-Markt in Sankt Katharinen eröffnet wurde. "Am Anfang konnte Ralle nicht gut mit Zahlen umgehen", erzählt die pädagogische Anleiterin Patrizia Eßer. Heute bedient er die Pfandkasse am hinteren Ende des Ladens. "Er hat zu Hause nach Feierabend mit sehr viel Ausdauer und Willenskraft das Zählen geübt. Jetzt hat er es drauf und man kann sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen."

Gemütliche Atmosphäre, fröhliche Mitarbeiter

Dass es vielleicht mal etwas länger dauert oder dass Ralle bei besonders vielen Flaschen auch mal die Tür hinter sich zumacht, um in Ruhe zählen zu können, gehört dazu. "Die Kunden wissen, dass hier alles etwas langsamer von Statten geht als beim Discounter", sagt Eßer. Für Stammkundin Monika, die selbst im Nachbarort bei einem Edeka-Markt an der Kasse sitzt, ist genau das ein Grund, immer wieder hier einzukaufen.

"Ich genieße die gemütliche Atmosphäre, die hier herrscht", erzählt sie mit echter Begeisterung. "Und das Strahlen, mit dem ich hier begrüßt werde." Das Sortiment kennt sie genau, denn der CAP-Markt bezieht seine Produktpalette über Edeka. "Wir sind ein Vollsortiment-Laden", erklärt Gunnar Clemens, Leiter der WfbM des Heinrich-Hauses in Sankt Katharinen. "Das bedeutet, es gibt hier rund 8.000 unterschiedliche Produkte des täglichen Bedarfs." Und die wollen sortiert werden.

Stichwort: CAP-Markt

Der Name CAP-Markt leitet sich von Handicap ab, der englischen Bezeichnung für Benachteiligung. Grundgedanke der CAP-Märkte ist es, die Arbeitsplatzsituation von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Die Lebensmittelmärkte schaffen und sichern geeignete Arbeitsplätze außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen. Für sie und auch für die Kunden sollen die CAP-Märkte durch eine sehr persönliche Betreuung und das "immer offene Ohr" ein Lebens-Mittelpunkt werden. In Deutschland gibt es mittlerweile hundert CAP-Märkte, in denen etwa 1.400 Mitarbeiter - davon rund 800 Mitarbeiter mit Behinderung - arbeiten.

Praktikantin Angie räumt unter Anleitung von Patrizia Eßer das Zuckerregal um. "Wir haben uns für eine neue Ordnung entschieden, die sich die Mitarbeiter besser merken können. Wir müssen hier das Sortiment an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Mitarbeiter anpassen", sagt Eßer und weist auf ein ordentlich bestücktes Regal für Tütensuppen. "Eigentlich sollen die kleinen Brühwürfel laut Hersteller im unteren Regal stehen. Das ist aber für viele Mitarbeiter schwer einzusortieren, weil sie Probleme mit der Feinmotorik haben. Deshalb stehen sie ganz oben."

Probleme mit der Feinmotorik haben auch viele ältere Kunden, die für diese Lösung sicherlich dankbar sind. Wer Hilfe beim Einkaufen oder Tragen benötigt, hat sofort einen der Mitarbeiter an seiner Seite, der ihn berät und begleitet. "Einmal hat mir einer der Verkäufer etwas zum Auto getragen. Seitdem begrüßt er mich jedes Mal begeistert und fragt, ob er mir wieder etwas tragen darf", schmunzelt Monika. Wer es gar nicht mehr ins Ortszentrum schafft, kann ab einem Warenwert von zwanzig Euro auch eine Bestellung aufgegeben.

Service bis ins Haus der Kunden

Das wird zum Beispiel von Senioren genutzt, die sich über Gemeindecafés der verschiedenen Ortsteile Sankt Katharinens zusammen tun und gemeinsam bestellen. Aber auch Einzelkunden, die nicht mobil sind, nutzen den Service. "Spätestens am nächsten Tag liefern wir die Sachen und tragen sie bis ins Haus", sagt Eßer. Christine Lorscheid könnte diesen Service sicherlich auch in Anspruch nehmen. Die ältere Dame versorgt zu Hause ihren behinderten Mann. "Ich komme aber lieber her, denn das ist für mich die einzige Gelegenheit mal aus dem Haus zu kommen. Außerdem ist das Sortiment umfangreich und die Leute nett."

Dass der CAP-Markt - anders als die meisten Supermärkte - mitten im Zentrum liegt, macht es für ältere Menschen, wie Frau Lorscheid, einfacher. "Aber auch jüngere Leute kommen hier vorbei, vor oder nach der Arbeit", sagt Eßer mit Blick auf die Kasse, an der gerade viele Menschen aller Altersstufen stehen. "Wir haben schon den Anspruch wirtschaftlich zu arbeiten", macht Clemens deutlich. "Wir sind kein bezuschusster Integrationsmarkt, wie 70 Prozent aller CAP-Märkte, sondern müssen rentabel arbeiten." Anfragen kleinerer Ortschaften im Umkreis, die sich auch einen CAP-Markt vor Ort wünschen, musste er deshalb bisher ablehnen.

Bild: ©Rolf-Dieter Bollmann

Grundgedanke der CAP-Märkte ist es, die Arbeitsplatzsituation von Menschen mit Behinderung zu verbessern.

Auch CAP-Märkte kämpfen gelegentlich erfolglos ums Überleben, das zeigt die eine oder andere Schließung der vergangenen Jahre. So gehen in einem CAP-Markt in Bonn-Wachtberg in diesen Tagen die Lichter aus, weil sich der Träger zurückgezogen hat. Aber auch mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung oder Fehler der Geschäftsführung können Gründe sein. Von all dem kann in Sankt Katharinen nicht die Rede sein und doch ziehen derzeit ein paar Wolken am Horizont auf, denn am Ortsrand wird demnächst ein REWE-Markt eröffnet.

"Sicher werde ich da mal schnuppern gehen", sagt Stammkundin Monika. Trotzdem will sie dem CAP-Markt treu bleiben, auch weil sie das Konzept gut findet und unterstützen will. 16 Menschen mit Behinderung arbeiten hier Vollzeit acht Stunden am Tag, darunter körperlich oder geistig behinderte und auch psychisch kranke Menschen. Dazu kommen vier Praktikanten aus den Werkstätten sowie sechs ausgebildete Einzelhandelskaufleute. Alle arbeiten Hand in Hand und unterstützen sich gegenseitig. "Wir haben zum Beispiel einen Mitarbeiter, der an Krücken geht. Er arbeitet viel am Computer, aber er sortiert auch Regale ein oder bringt die Pappe zum Container", freut sich Eßer. Mithilfe der Kollegen ist das kein Problem.

"Langweilig wird es hier nie!"

Für ein gutes Teamgefühl sorgen auch Aktivitäten außerhalb der Geschäftszeiten, die zum Förder- und Bildungsprogramm der Werkstatt Sankt Katharinen gehören. Da gibt es Fortbildungen und Therapien, Kunst- und Sportangebote. "Bald spielen wir wieder Fußball gegen die Mannschaft der Werkstatt in Neuwied-Engers", erzählt Eßer lachend und verspricht Ralle. "Da holen wir uns den Pokal zurück!"

Es ist ruhig geworden im Laden. Einzelhandelskauffrau Carolin Kleinlein sitzt an der Kasse und wiegt Erdbeeren ab. "Ich arbeite wirklich gerne hier. Das Verhältnis unter den Kollegen ist sehr herzlich und es gibt immer gut zu tun", sagt sie lachend. "Langweilig wird es hier nie!"

Von Janina Mogendorf