Nach Zerstörung von umstrittener Gottesmutter im Linzer Dom

Kunsthistoriker: Schändung von Marienskulptur inakzeptabel – aber ...

Veröffentlicht am 05.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Lichtenfels ‐ Am Montag wurde der erst kurz zuvor im Linzer Dom aufgestellten Skulptur einer gebärenden Gottesmutter von einem Unbekannten der Kopf abgesägt. Im Interview verurteilt der Kunsthistoriker Stephan Renczes die Tat als nicht akzeptabel. Zugleich äußert er sich aber auch kritisch über das Kunstwerk.

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Am 27. Juni wurde die Skulptur "crowning" der Künstlerin Esther Strauß im Kunstraum des Linzer Mariendoms aufgestellt. Nur vier Tage später wurde dem kontrovers diskutierten Kunstwerk, das eine auf einem Fels sitzende, gebärende Marienfigur zeigt, von einem bislang unbekannten Täter der Kopf abgesägt. Im Interview mit katholisch.de spricht der Lichtenfelser Kunsthistoriker Stephan Renczes über die Tat und die möglichen Motive des Täters. Außerdem äußert er sich zu dem umstrittenen Kunstwerk, dessen Präsentation in der Kathedrale und der Frage, wie es mit dem Werk nun weitergehen soll.

Frage: Herr Renczes, Anfang der Woche wurde im Linzer Dom einer dort erst kurz zuvor aufgestellten Skulptur einer gebärenden Gottesmutter der Kopf abgesägt. Wie ist diese Tat aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Renczes: Was in Linz geschehen ist, ist nicht akzeptabel. Die Skulptur wurde aus meiner Sicht nicht einfach nur zerstört, sondern sie wurde geschändet. Eine solche Tat ist absolut abzulehnen, und es ist traurig und schlimm, dass es dazu gekommen ist.

Frage: Was sagt die Tat möglicherweise über das Frauenbild des bislang noch unbekannten Täters sowie über seine Sicht auf die Gottesmutter aus?

Renczes: Was die Tat über das Frauenbild des Täters aussagt, vermag ich nicht zu beurteilen. Was man aber sagen kann ist, dass eine solche Tat – die ja an ähnliche Taten aus der jüngeren Vergangenheit oder auch an die Bilderstürmerei des Mittelalters erinnert – ganz klar eine brutale und fundamentalistische Aussage in sich trägt. Zudem zeugt dieser Vorgang für mich auch von einem völlig falschen Marienbild des Täters. Maria ist zwar die Muttergottes, sie ist aber selbst keine Göttin.

„Diese Darstellung kann für einen Gläubigen verletzend sein und ist – wenn sie in einem Raum wie einer Kirche aufgestellt wird – unangemessen und zu heftig.“

—  Zitat: Kunsthistoriker Stephan Renczes

Frage: Dem Täter wird eine im Internet veröffentlichte Stellungnahme zugeschrieben, in der mit Blick auf die Skulptur von einer "abscheulichen und blasphemischen Karikatur" die Rede ist. Andere Kritiker des Kunstwerks haben von einer "schweren Gotteslästerung" gesprochen. Finden Sie diese Kritik also maßlos übertrieben?

Renczes: Nein, das wiederum würde ich auch nicht sagen. Ich habe mir das Kunstwerk jetzt noch einmal intensiv angeschaut: Auf den ersten Blick – wenn man nur den Kopf- und Brustbereich betrachtet – sieht die Skulptur ja wie eine ganz traditionelle, fast liebliche Madonnendarstellung aus. Die Künstlerin greift hier bekannte Formen und die marianischen Farben blau und rot auf, auch der Heiligenschein ist sehr konventionell gestaltet. Wenn man den Blick dann aber senkt, sieht man die weit geöffneten Beine und die entblößten Geschlechtsteile. Diese Darstellung kann für einen Gläubigen verletzend sein und ist – wenn sie in einem Raum wie einer Kirche aufgestellt wird – unangemessen und zu heftig. Die Zerstörung des Kunstwerks ist aber trotzdem nicht zu rechtfertigen.

Frage: Sie sagen, die Präsentation einer solchen Skulptur in einer Kirche sei unangemessen. War die Aufstellung der Figur im Linzer Dom also ein Fehler?

Renczes: Grundsätzlich begrüße ich es sehr, dass sich die katholische Kirche mit moderner Kunst auseinandersetzt. Ich halte das für wichtig, um weiter mit der Gesellschaft im Gespräch zu bleiben und auf diese Weise auch tradierte Mariendarstellungen kritisch zu hinterfragen. Ein Fehler war es nicht, die Figur aufzustellen.

Frage: Die Skulptur in Linz hat vermutlich auch deshalb so viel Aufmerksamkeit und Kritik auf sich gezogen, weil die Darstellung Marias unmittelbar beim Geburtsakt in der Kunst bislang unbekannt war. Oder sind Ihnen ähnliche Darstellungen bekannt?

Renczes: Spontan sind mir keine Darstellungen bekannt. Was mir bekannt ist, sind Darstellungen der schwangeren und der stillenden Gottesmutter – Maria gravida und Maria lactans.

Bild: ©Diözese Linz

Die Skulptur "crowning" der Künstlerin Esther Strauß, die eine auf einem Fels sitzende, gebärende Marienfigur zeigt, stand vom 27. Juni bis zu ihrer Zerstörung am 1. Juli im Kunstraum des Linzer Mariendoms.

Frage: Warum gibt es keine Darstellungen der gebärenden Maria? Immerhin ist wohl keine Person in der Kunstgeschichte so häufig dargestellt worden wie die Gottesmutter. Und Weihnachten als Fest der Geburt Jesu ist ebenfalls in allen Kunstepochen eines der am häufigsten dargestellten Bildmotive. Gezeigt wird aber immer nur das schon geborene Jesuskind und nicht der Akt seiner Geburt.

Renczes: Zum einen denke ich, dass die Darstellung des Geburtsvorgangs für die Menschwerdung Gottes und unser Verständnis davon schlicht nicht notwendig ist. Im Gegenteil: Indem die Geburt Jesu so offen gezeigt wird wie bei der Skulptur in Linz, hat der Betrachter überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, sich tiefere Gedanken über diese Menschwerdung zu machen. Darüber hinaus ist die Geburt eines Kindes natürlich auch ein hochintimer Akt, der vermutlich nicht nur nach meiner Überzeugung nicht in die Öffentlichkeit gehört. Eine Geburt bedeutet für Körper und Geist der gebärenden Frau eine maximale Stresssituation. Dass diese Szenerie in der Kunstgeschichte nicht als Bildmotiv für die Gottesmutter verwendet wurde, ist, denke ich, nachvollziehbar.

Frage: Laut der Künstlerin soll die Skulptur, die jetzt in Linz zerstört wurde, "die Leerstelle der Geburt Christi aus feministischer Perspektive" beleuchten. Was sagen Sie dazu?

Renczes: Was die feministische Perspektive angeht, bin ich die falsche Ansprechperson.

Frage: Die Künstlerin will die zerstörte Figur nun reparieren. Was sollte Ihrer Meinung nach dann damit passieren? Sollte die Figur nach der Reparatur wieder im Linzer Dom aufgestellt werden?

Renczes: Ich würde mich dafür aussprechen, die Skulptur nach ihrer Reparatur erstmal wieder im Linzer Dom aufzustellen. Und zwar deshalb, um dem Täter nicht den Triumph zu gönnen, durch seine brutale Tat ein kontroverses Kunstwerk aus der Öffentlichkeit verbannt zu haben. Zugleich würde ich bei einer Wiederaufstellung der Skulptur aber dafür plädieren, über die Art der Präsentation noch einmal nachzudenken.

Von Steffen Zimmermann