Abiturientin Sophie Seiler über ihr Leben im Kloster Tabgha, auf das Mitte Mai ein Brandanschlag verübt wurde

"Wir haben alle nur funktioniert"

Veröffentlicht am 14.07.2015 um 12:05 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Israel

Bonn/Tabgha ‐ Als Mitte Mai im Kloster Tabgha Feuer ausbrach, gehörte Sophie Seiler zu denen, die die Flammen bekämpften. Die 19-Jährige arbeitet als Freiwillige in der Kloster-Begegnungsstätte. Trotz des Erlebnisses sieht sie keinen Grund, das Land zu verlassen.

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Frage: Frau Seiler, warum sind Sie als Volontärin an den See Genezareth gegangen?

Seiler: Ein Freiwilliges Soziales Jahr vor einem Studium oder einer Ausbildung ist in meinen Augen eine tolle Sache. In Israel war ich vor zwei Jahren schon einmal während eines Schüleraustausches. Seitdem wollte ich die Kultur und das Land näher kennenlernen. Wir haben damals auch Tabgha besucht. Bei der Bewerbung musste ich mehrere Orte angeben und das Kloster Tabgha stand auf meiner Wunschliste.

Frage: Wie sieht der Alltag von Ihnen und den anderen Freiwilligen aus?

Seiler:  Die Begegnungsstätte richtet sich an Gruppen von Jugendlichen und Behinderten aus Israel und Palästina. Wir betreuen diese Gruppen: Wir bereiten die Zimmer vor, arbeiten im Garten und einem kleinen Lebensmittelladen, der zu der Begegnungsstätte gehört. Wir sind einfach für die Gruppen da, wenn sie uns brauchen. Es gibt aber auch immer wieder besondere Aktionen:  So haben wir im Winter zum Beispiel einen Minigolfplatz gebaut. Aber am schönsten ist es, mit den Gruppen in Kontakt zu kommen. Abends sitzen wir oft noch zusammen, grillen oder trinken Kaffee.  Manchmal ist es zwar mit der Sprache schwierig, aber es entwickeln sich dennoch richtig intensive Gespräche. Wir fragen, wie das Leben der Leute hier ist. Und sie fragen uns, warum wir hier sind und wie wir das Land wahrnehmen. Toll ist, dass wir zu beiden Seiten Kontakt haben, zur arabischen und zur israelischen.

Frage: Was vermissen Sie in Bezug auf Ihr Leben in Deutschland?

Seiler: So direkt vermisse ich eigentlich nichts. Mir macht es sehr viel Spaß mit den vielen verschiedenen Menschen hier zu arbeiten. Wir Freiwillige reisen ja auch recht viel, so dass wir auch viel vom Land sehen. Manche Gruppen laden uns zu sich nach Haue ein, so dass wir in ganz Israel Anlaufstellen haben. Ich habe in Tivon im Norden des Landes schon eine israelische Einrichtung besucht und eine arabische Einrichtung in Beit Jala in der Nähe von Bethlehem.

Sophie Seiler im Porträt
Bild: ©privat

Sophie Seiler verbringt ein freiwilliges Soziales Jahr in der Jugend- und Behinderten-Begegnungsstätte für Israelis und Palästinenser am Kloster Tabgha.

Frage: Vor einigen Wochen hat es nun einen Brandanschlag auf das Benediktiner-Kloster gegeben, das auch zu der Anlage in Tabgha gehört. Und Sie mussten sogar für kurze Zeit ins Krankenhaus….

Seiler: Den Brand hat einer der Mönche entdeckt, die hier im Kloster leben. Er hat gleich mit dem Löschen angefangen und uns alle geweckt. Wir sind dann raus und haben ihm geholfen. Wir wollten vor allem verhindern, dass das Feuer auf die Kirche übergreift. Deren Dach ist komplett aus Holz. Die Flammen sind zwar immer näher gekommen, aber letztendlich haben wir es dann verhindert. Wir sind mit den Feuerwehrschläuchen und Feuerlöschern sogar auf das Dach des neuen Klosters geklettert. Und da habe ich halt etwas zu viel Rauch abbekommen.

Frage: Was ging Ihnen in dieser Situation durch den Kopf?

Seiler: In dem Moment haben wir alle nur funktioniert. Und das hat ziemlich gut geklappt. Alle haben etwas getan, wir haben uns perfekt ergänzt und konnten uns gegenseitig aufeinander verlassen. Aber wir haben zu dem Zeitpunkt noch nicht darüber nachgedacht, was das eigentlich bedeutet.

Frage: Wie war das später? Haben Sie nach dem Anschlag überlegt, ihren Aufenthalt vorzeitig abzubrechen?

Seiler: Nein, das war für mich kein Thema, überhaupt nicht. Klar, ich bin vorsichtiger geworden, aber ich würde diesen Ort immer noch als sicher einstufen – auch wenn da etwas passiert ist, was schrecklich war.

Stichwort: Tabgha

Das am Nordwestufer des Sees Genezareth gelegene Tabgha gilt als Ort der im Neuen Testament überlieferten Brotvermehrung. Der Name leitet sich vermutlich vom griechischen "Heptapegon" ab und heißt "Siebenquell". Heute steht in Tabgha eine der schönsten Kirchen des Heiligen Landes und ein Benediktinerkloster. Der "Deutsche Verein vom Heiligen Lande" (DVHL) erwarb im 19. Jahrhundert das Gelände und errichtete ein Pilgerhospiz. Mönche der deutschsprachigen Jerusalemer Dormitio-Abtei leben in Tabgha und kümmern sich um die Seelsorge für Pilger. Erst 2012 wurde ein Klosterneubau seiner Bestimmung übergeben, nachdem die alte Anlage aus den 1950er Jahren heutigen Bau- und Sicherheitsstandards nicht mehr genügte. Bei einem Brandanschlag Mitte Juni 2015 entstand an der Anlage ein Millionenschaden, mehrere Menschen wurden leicht verletzt. Inzwischen hat die Polizei drei Verdächtige festgenommen. Der DVHL unterhält am Kloster außerdem die Jugend- und Behindertenbegegnungsstätte Beit Noah, in der Menschen aus verschiedenen sozialen Einrichtungen in Israel und Palästina und der ganzen Welt zusammentreffen. (gho/KNA)

Frage: Hat sich seit dem Brand etwas verändert?

Seiler: Nein, im Gegenteil: Wir versuchen, den Alltag so normal als möglich weiterlaufen zu lassen. Es ist wichtig, dass wir jetzt nach vorne gucken und mit unserer Arbeit weitermachen. Darin haben uns auch die vielen Reaktionen bestärkt, die wir nach dem Brand erhalten haben.  Als ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, hatten schon mehrere Hundert Leute Tabgha aufgesucht. Menschen verschiedenster Religionen – Moslems, Juden, Drusen, Christen – haben ihr Mitgefühl ausgesprochen. Damit hatte ich gar nicht gerechnet, es war beeindruckend, das zu sehen.

Frage: Tabgha ist ein sehr geschichtsträchtiger und biblisch bedeutender Ort. Wir wirkt das auf Sie?

Seiler: Es war für mich immer faszinierend  – und ist es noch. Tabgha ist eigentlich ein extrem friedlicher Ort. Hier treffen Menschen verschiedenster Nationen und Religionen zusammen. Es ist einfach toll, das mitzuerleben. Wenn uns die Volontäre aus der Dormitio-Abtei in Jerusalem besuchen, sind sie oft fasziniert von der Landschaft und der Ruhe hier – so wie wir anders herum natürlich von dem Trubel in der Stadt.

Frage: Wie wirkt die Gesellschaft in Israel mit all ihren Konflikten und Facetten auf Sie?

Seiler: Wenn wir im Land unterwegs sind, erleben wir die unterschiedlichen Religionen von Volksgruppen, vor allem eben Israelis und Palästinenser. Da gibt es schon heftige Differenzen und Konflikte. In unserer Begegnungsstätte treten diese Konflikte in den Hintergrund.  Es gehört ja zu dem Konzept, dass sich beide Seiten hier begegnen. Zu Sukkot, einem traditionellen jüdischen Wallfahrtsfest, waren eine arabische und eine israelische Gruppe parallel hier und haben gemeinsam gefeiert. Es war schön zu sehen, wie sie gemeinsam Musik machen, tanzen, kochen, essen. Gerade wenn man es von hier in Tabgha kennt, wie friedlich die Gruppen miteinander umgehen, ist es traurig zu sehen, dass das nicht überall so ist.

Zur Person

Sophie Seiler hat 2014 in Ahlen in Westfalen ihr Abitur gemacht und ist im vergangenen August nach Tabgha aufgebrochen, wo sie nun die letzten Wochen ihres Jahres als freiwillige Helferin verbringt. Zusammen mit der 19-jährigen sind noch drei weitere deutsche Freiwillige, zwei US-Amerikaner und zwei Senior-Volontäre am See Genezareth. Sie sind zwischen 18 und rund 50 Jahren alt.
Von Gabriele Höfling