Katholische und Evangelische Kirche gehen auf Gegenkurs zur Union
Es ist schon bemerkenswert, wie deutlich sich die beiden großen Kirchen in Deutschland gegen die Union gestellt haben. In einer gemeinsamen Stellungnahme wiesen katholische und evangelische Kirche am Dienstagabend den von der Unionsfraktion eingebrachten Entwurf zum sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz zurück. Er sei "nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen", heißt es in dem Papier, das von Prälatin Anne Gidion und Prälat Karl Jüsten unterzeichnet wurde, die die Verbindungsstellen der Kirchen zur Bundespolitik in Berlin leiten.
Die Kritik an dem Gesetzentwurf, über den der Bundestag am Freitag abstimmen soll, entzündet sich dabei inhaltlich an der geplanten Zuzugsbegrenzung sowie der Erschwerung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte.
"Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt"
"Zeitpunkt und Tonlage der aktuell geführten Debatte befremden uns zutiefst", heißt es im Begleitschreiben. "Sie ist dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei." Durch die von der Union angestrebte Verschärfung der Migrationspolitik hätte keiner der Anschläge in Magdeburg oder Aschaffenburg verhindert werden können.
Mindestens ebenso schwer wiegt die Sorge der Kirchen vor der Art und Weise, wie der Gesetzentwurf im Bundestag durchkommen könnte. Zwar wirbt CDU-Chef Friedrich Merz noch um die Unterstützung von SPD und Grünen, wahrscheinlicher wäre aber ein Durchkommen mit Stimmen von FDP, BSW – und AfD. Letzteres alarmiert die Kirchenvertreter: "Die Fraktionen haben sich mit der Auflösung der Ampelkoalition darauf verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend sind. Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird."

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist Kanzlerkandidat der Unionsparteien.
Bemerkenswert ist vor allem der Zeitpunkt, an dem die Stellungnahme nun veröffentlicht wurde, nämlich weniger als vier Wochen vor der Bundestagswahl. Es ist einmalig, dass sich die Kirchen in dieser Zeit und mit dieser Deutlichkeit gegen die Union wenden. Dass es ausgerechnet die beiden christlichen Schwesterparteien mit dem "C" im Namen sind, macht die Angelegenheit besonders delikat.
Damit jedoch nicht genug, sorgt die Veröffentlichung auch innerhalb der katholischen Bischofskonferenz für Irritation. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer distanzierte sich der Zeitschrift "Communio" zufolge von der Erklärung: Er sei "verärgert" darüber. Die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, erklärte in einem Schreiben an die Bischöfe, dass das Vorgehen "in dieser Schrittfolge nicht mit dem Sekretariat abgestimmt" gewesen sei. Stattdessen sei es die mehrheitliche Meinung innerhalb der Konferenz gewesen, dass in der aktuellen Situation nicht öffentlich in den Wahlkampf eingegriffen werde. "Von daher empfehle ich, von weiteren Stellungnahmen abzusehen", so Gilles.
Statement von Bischof Wiesemann lässt aufhorchen
Zum Inhalt der Stellungnahme äußert sich die Generalsekretärin in ihrem Schreiben nicht, was allerdings nicht verwunderlich ist. Denn weder der Gesetzentwurf noch die kirchliche Kritik daran sind wirklich neu. Bereits am 6. November – dem Tag des Ampel-Bruchs – scheiterte die Union im Innenausschuss des Bundestags mit dem Entwurf. Und bereits damals äußerten die Kirchen sich dazu kritisch. Das betrifft sowohl den Schutz für Asylsuchende als auch die Absage an eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD, für die beiden Kirchen bereits Unvereinbarkeitserklärungen erlassen haben.
Zudem lässt ein Statement des Speyerer Bischofs Karl-Heinz Wiesemann aufhorchen. Er fordert darin einen "inneren Zusammenhalt der Demokraten" und mahnt erneut in Bezug zur AfD: "Die Brandmauer hin zu extremen Positionen darf jetzt nicht fallen – auch nicht, um mit der Unterstützung aus diesem Lager etwas durchzusetzen."

Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer hat die gemeinsame Stellungnahme der Kirchen zur Migrationspolitik der Union scharf kritisiert.
Eine offizielle Reaktion der Unionsfraktion liegt bislang noch nicht vor; auch Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz hat sich noch nicht geäußert. Einige seiner Stellvertreter hingegen schon. Vizeparteichefin Karin Prien (CDU) verteidigte die Pläne. CDU und Kirche müssten nicht "immer eins zu eins" einer Meinung sein, sagte sie dem Deutschlandfunk. Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) führte im "Tagesspiegel" sogar ein christliches Gleichnis an: "Auch der heilige Martin kann nur den Mantel teilen, den er hat."
CDU-Fraktionsvize Bilger an Kritik der Kirchen nicht interessiert
Einem Offenbarungseid gleich kam hingegen die Replik von Steffen Bilger, einem weiteren Unions-Fraktionsvize. "Überrascht nicht, interessiert nicht", schrieb der württembergische CDU-Politiker auf X. Gerade letztere Äußerung – für die Bilger in den Kommentaren auch viel Gegenwind, aber auch Zustimmung erhielt – steht dabei symptomatisch für die Distanz, die sich inzwischen zwischen C-Parteien und Amtskirchen aufgebaut hat. Konservative Christdemokraten, die seit dem Antritt von Merz als CDU-Chef den Ton in der Partei angeben, fremdeln immer häufiger mit den Kirchen, die sie auf einer "Grünen"-Linie verorten, insbesondere bei Themen wie Migration, Umwelt- und Agrarpolitik.
Und auch der Parteichef und katholische Sauerländer Merz selbst hadert offenbar mit seiner Kirche. In einem Interview der "Bunten" 2022 erklärte Merz, dass der Zustand der katholischen Kirche schwer erträglich sei: "Die fehlende Reformbereitschaft, die Missbrauchsfälle und ihre mangelnde Aufarbeitung, das alles ist schon schwer erträglich für Christen wie mich, insbesondere wenn man selbst Kinder hat."
Was folgt daraus für die gemeinsame Zukunft von Union und Kirchen? Nicht nur bei bioethischen Themen sind beide Seiten weiterhin nah beieinander. Aber der Jesuit Stefan Kiechle stellt in einem Gastbeitrag für katholisch.de die Frage, ob "die christliche Substanz in der CDU aufgebraucht" ist. Nach Ansicht des Ordensmannes macht es der Politikwandel unter Merz für Christen zunehmend schwieriger, die Partei zu wählen. Der Jesuit verbindet das mit einer klaren Warnung: "Viele Wähler werden sich abwenden. Und wenn Friedrich Merz doch Bundeskanzler werden möchte, wird er in der Mitte keine Koalitionspartner mehr finden, sondern nur rechts außen."