Explizites Bekenntnis wäre "ein starkes Zeichen"

Transgeschlechtliche Menschen brauchen die Unterstützung der Kirche

Veröffentlicht am 02.02.2025 um 12:00 Uhr – Von Ursula Wollasch – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach der anglikanischen Bischöfin Mariann Edgar Budde hat auch die US-Bischofskonferenz Donald Trump kritisiert. Eine Aufmerksamkeit für queere Menschen sucht man in ihrer Stellungnahme allerdings vergebens. Das Beispiel fordert auch die katholische Kirche in Deutschland heraus.

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Es hat Präsident Donald Trump gar nicht gefallen, dass er einen Tag nach seiner Amtseinführung, bei der er sich öffentlichkeitswirksam als religiöser Führer und Heilbringer inszeniert hat, von Mariann Edgar Budde daran erinnert wurde, dass der biblische Gott, auf den er sich beruft, ein mitfühlender und barmherziger Gott ist. Am Ende ihrer Predigt im Rahmen des ökumenischen Gottesdienstes zur Amtsübernahme in der National Cathedral in Washington hat die Bischöfin der Episkopalkirche Trump um Barmherzigkeit für Migranten und sexuelle Minderheiten gebeten und ihn aufgefordert, von den geplanten massenhaften Abschiebungen illegaler Einwanderer abzusehen. Mit eindringlichen Worten schildert sie das Klima der Angst, das zurzeit in den USA herrscht. Sie wendet sich gegen die Kriminalisierung der Menschen, die in der Landwirtschaft, in der Gastronomie und im Gesundheitswesen arbeiten, Steuern zahlen, gute Nachbarn und gläubige Mitglieder ihrer Gemeinschaften sind. Viele Kinder fürchten jetzt, dass ihre Familien auseinandergerissen werden. In diesem Zusammenhang fällt der Satz: "Es gibt schwule, lesbische und Transgender-Kinder in demokratischen, republikanischen und parteipolitisch unabhängigen Familien – einige von ihnen fürchten um ihr Leben."

Dass die Bischöfin hier nicht unangemessen dramatisiert, zeigt das Beispiel der 16-jährigen Nex Benedict. Das Transgender-Mädchen wurde am 7. Februar 2024 in den Umkleideräumen der High School von Owasso (Oklahoma) von drei Mitschülerinnen brutal zusammengeschlagen. Sie starb einen Tag später an inneren Verletzungen. In 2023 wurden in den USA 32 transgeschlechtliche Menschen ermordet. Aufgrund der repressiven, transfeindlichen Politik in den republikanisch regierten Bundessstaaten haben viele Familien inzwischen Zuflucht in demokratischen Bundesstaaten gesucht. Inzwischen bleibt ihnen nur noch, die Vereinigten Staaten ganz zu verlassen. Empirisch gesichert ist, dass die Suizidrate unter transgeschlechtlichen Menschen zuletzt deutlich zugenommen hat. Das ist die Realität, auf die Mariann Edgar Budde in ihrer Predigt anspielt.

Bereits in seiner Antrittsrede am Tag zuvor hatte Trump erklärt, dass künftig in den USA nur noch zwei Geschlechter anerkannt werden. Sein Dekret, das er zeitgleich unterzeichnete, trägt den Titel "Frauen vor dem Extremismus der Gender-Ideologie schützen und die biologische Wahrheit in der Bundesregierung wiederherstellen". Es verfolgt angeblich das Ziel, "die Rechte von Frauen zu schützen und die Gewissensfreiheit zu verteidigen". Die politischen Richtlinien sollen einer klaren und präzisen Sprache dienen, die Frauen als "biologisch weiblich" und Männer als "biologisch männlich" anerkennt. Der Begriff "gender" soll aus offiziellen Dokumenten gestrichen und durch "sex" ersetzt werden. Papiere wie Pässe oder Visa müssen ab sofort das biologische Geschlecht korrekt wiedergeben.

Mariann Edgar Budde
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Carolyn Kaster

Mit eindringlichen Worten schildert sie das Klima der Angst, das zurzeit in den USA herrscht: die anglikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde von Washington.

"Möge Gott uns die Kraft und den Mut geben, die Würde jedes Menschen zu ehren, die Wahrheit zueinander in Liebe zu sprechen und demütig miteinander und mit unserem Gott zu gehen – zum Wohl aller Menschen in dieser Nation und in der Welt." Mit dieser Bitte endet die Predigt von Mariann Budde und es sieht auf den ersten Blick so aus, als würden die katholischen US-Bischöfe daran nahtlos anknüpfen.

Deutliche Kritik des Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz

Ungewöhnlich deutlich kritisiert der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Timothy P. Broglio, bereits am zweiten Tag nach der Amtseinführung die von Trump unterzeichneten Executive Orders, etwa zur Behandlung von Einwanderern und Flüchtlingen, die Auslandshilfe, die Ausweitung der Todesstrafe und die Umwelt. Er nennt sie zutiefst beunruhigend und warnt, dass sie besonders für die Schwächsten in der Gesellschaft negative Folgen haben werden. Broglio bezeichnet die Vorschriften ausdrücklich als einen Verstoß gegen die Menschenwürde, der sich nicht mit der Lehre der katholischen Kirche vereinbaren lasse. Er appelliert an die neue US-Regierung, die getroffenen Entscheidungen zu revidieren. Am Ende seines Statements nennt er nochmals die Gruppen, denen die besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung der Kirche gilt: "Unser Gebet ist ein Gebet der Hoffnung, dass wir als eine Nation, die mit vielen Gaben gesegnet ist, eine echte Fürsorge für unsere verletzlichsten Schwestern und Brüder zeigen, einschließlich der Ungeborenen, der Armen, der Alten und Gebrechlichen sowie der Migranten und Flüchtlinge."

Queere und transgeschlechtliche Menschen erwähnt der Vorsitzende anders als seine anglikanische Amtskollegin an dieser Stelle nicht. Und das ist kein Zufall. Bei aller Kritik gibt es aus seiner Sicht unter den zahlreichen Dekreten des ersten Tages immerhin einen Lichtblick. "Andere Bestimmungen in den Executive Orders", heißt es wörtlich, "können in einem positiveren Licht gesehen werden, wie z.B. die Anerkennung der Wahrheit über jede menschliche Person als männlich oder weiblich."

Die Bischöfe begrüßen damit, dass das, was Trump als "Gender-Wahnsinn" bezeichnet, und dem er schon im Wahlkampf den Kampf angesagt hat, nun endlich beseitigt wird. Ein sogenanntes "drittes Geschlecht", das transgeschlechtliche, non-binäre oder auch intergeschlechtliche Menschen einbezieht, gibt es künftig in den USA nicht mehr. Geschlechtliche Identität ist aus Trumps Sicht nicht nur eine Verirrung einiger weniger, sondern eine gefährliche Konstruktion, der mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten ist. Der Anti-Gender-Kampf der neuen US-Administration liegt ganz auf der Linie der katholischen Lehre von der Schöpfung und vom Menschen. Mit dem Statement auf der Homepage der Bischofskonferenz werden transgeschlechtliche Menschen nicht nur ihrem Schicksal überlassen, sie werden schutzlos einer gnadenlosen Diskriminierung und Verfolgung preisgegeben.

Bild: ©KNA/Bob Roller/CNS photo

Ungewöhnlich deutlich kritisiert der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Timothy P. Broglio, bereits am zweiten Tag nach der Amtseinführung die von Trump unterzeichneten Executive Orders, etwa zur Behandlung von Einwanderern und Flüchtlingen, die Auslandshilfe, die Ausweitung der Todesstrafe und die Umwelt.

Die US-Bischöfe stellen sich bewusst auf den Boden des römischen Lehramts und beziehen sich auch explizit auf Papst Franziskus. Das heißt jedoch keineswegs, dass die christliche Anthropologie nur eine einzige Option kennt. Die grundlegende biologische Tatsache, dass Menschen von Natur aus als Mann und Frau existieren, wird nicht verleugnet, wenn man zugleich anerkennt, dass jede transgeschlechtliche Person eine unantastbare Menschenwürde besitzt, die unbedingt anzuerkennen und zu achten ist. Die Würde des Menschen hängt nicht vor der geschlechtlichen Identität und auch nicht von der sexuellen Orientierung ab. Umgekehrt gilt jedoch, wo die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung missachtet und gänzlich unterdrückt werden, dort steht auch die Menschenwürde auf dem Spiel.

Positionierung hat praktische Folgen

Die Positionierung der Bischofskonferenz hat praktische Folgen für alle Diözesen. Deren Bischöfe sind jetzt am Zuge. Sie entscheiden über die Arbeit in katholischen Kitas, Schulen und Hochschulen, Krankenhäusern, sozialen Dienste und Beratungsstellen. Der Rahmen, in dem sich künftig kirchliche Einrichtungen bewegen werden, ist abgesteckt. Träger, Leitungsverantwortliche und Fachkräfte werden die Politik Trumps umsetzen – mit dem Segen der Kirche. Eine Wahl haben sie nicht.

Aber auch in Europa machen extreme politische Kräfte von rechts und links schon seit längerer Zeit gegen transgeschlechtliche Menschen Stimmung. Man beobachtet genau, wie sich mit transfeindlichen Parolen und Maßnahmen Mehrheiten bilden lassen. In Deutschland haben AfD und BSW das gerade erst in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz, das den Namenswechsel bei einer Transition vereinfacht, ins Visier genommen und zum Wahlkampfthema gemacht. Die C-Parteien haben sich dem angeschlossen. Das Thema kommt gut an bei einer Bevölkerung, in der nach Erhebungen der Leipziger Autoritarismus-Studie aus dem Jahr 2024 mehr als vierzig Prozent der Menschen der Auffassung sind, dass Transsexuelle "zu viele Forderungen" stellen würden oder "die Toleranz gegenüber Transsexuellen übertrieben" sei.

Vulnerable gesellschaftliche Gruppe

Das Gesetz mag Schwächen haben und müsste auch an einigen Stellen nachgebessert werden. Aber das Versprechen, es ganz abzuschaffen, ist unseriöser Populismus. Was wäre das Ergebnis? Eine Rückkehr zum alten, in Teilen verfassungswidrigen Transsexuellen-Gesetz? Oder die ersatzlose Streichung? Ein gänzlich rechtsfreier Raum? Wird hier nicht heimlich die Illusion genährt, dass mir dem Verschwinden eines ungeliebten Gesetzes auch die dazugehörige "Problem-Gruppe" verschwindet – zumindest aber wieder unsichtbar wird, was sie ohnehin die längste Zeit war. Einem solchen politischen Wunschdenken ist der Satz von Hannah Arendt entgegenzuhalten, wonach das erste und grundlegende Menschrecht des Menschen darin besteht, Rechte zu haben. Eine Politik, die transgeschlechtliche Menschen aus der Öffentlichkeit verbannt, ihnen den Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung vorenthält, vor allem aber Diskriminierung und Exklusion zulässt, ist – ganz gleich ob in den USA, in Europa oder in Deutschland – nicht menschenwürdig.

Tatsache ist, dass transgeschlechtliche Menschen auch bei uns zu einer der ganz besonders vulnerablen gesellschaftlichen Gruppen zählen und dies ganz unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Größe. Sie bilden somit eine Zielgruppe, der sich Kirche eher mehr als anderen zuwenden müsste. Einen Wahlkampf auf Kosten dieser Menschen darf sie jedoch auf keinen Fall zulassen. Ob trans Menschen in unserer Gesellschaft in Zukunft sicher und in Frieden leben können, hängt auch und zu einem nicht geringen Teil von der Haltung und vom Verhalten der Kirche ab. Trans Menschen sind Ebenbild, Geschöpf und Kind Gottes wie alle anderen Menschen auch. Es gibt keinen Grund, sie von der universalen Nächstenliebe des Evangeliums auszuschließen.

Bild: ©stock.adobe.com/Vane Nunes

Ob trans Menschen in unserer Gesellschaft in Zukunft sicher und in Frieden leben können, hängt auch und zu einem nicht geringen Teil von der Haltung und vom Verhalten der Kirche ab.

Es wurde als ein großer Paradigmenwechsel gefeiert, dass sich die katholische Kirche in Deutschland ihrer neuen Grundordnung im November 2022 zur Vielfalt in kirchlichen Diensten und Einrichtungen bekannt hat. Der Synodale Weg hat mit seinem Papier zur Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt einen weiteren zukunftsweisenden Schritt getan. Was nun folgen müsste, wäre ein explizites Bekenntnis der deutschen Bischofskonferenz, dass trans Menschen in der Kirche willkommen sind, dass sie in ihr einen sicheren Ort finden, dass sie wertgeschätzt werden und dazugehören. Ohne ein solches Bekenntnis ist die Queerpastoral, die inzwischen in fast allen deutschen Diözesen fest verankert ist, nicht mehr als ein Feigenblatt.     

Ein solches Bekenntnis zu transgeschlechtlichen Personen und ihrer unantastbaren Würde als Mensch  nicht als Mann oder Frau  wäre ein starkes Zeichen, dass sich die Kirche nicht politisch vereinnahmen lässt und auch nicht vor einem transfeindlichen Mainstream einknickt. Es ist ein Segen, was stillschweigend bereits heute in kirchlichen Einrichtungen an hilfreicher Begleitung und Unterstützung für transgeschlechtliche Menschen geleistet wird. Es ist es an der Zeit, dass sich die Kirche dazu auch in der Öffentlichkeit sichtbar und vernehmlich bekennt.

Von Ursula Wollasch

Die Autorin

Ursula Wollasch ist kath. Theologin und promovierte Sozialethikerin. Sie ist Autorin des Buches "trans und katholisch. Für eine Kirche, in der trans Menschen dazugehören", erschienen 2024 im Patmos Verlag, Leinfelden.