Segensbüro in Köln setzt neue Formate auf

Neue Segensfeiern zwischen Karneval und Strandhochzeit

Veröffentlicht am 31.05.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Köln ‐ Der Kontakt der Kirchen zu den Menschen geht mehr und mehr verloren. Ein Segensbüro in Köln hat sich deshalb mitten auf einer Einkaufsstraße positioniert und versucht sich an individuellen Formen. Dabei warten einige Fallstricke.

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Wer das Ladenlokal von "Hätzjeföhl" in der Kölner Südstadt betritt, dem drängt sich die Frage auf, was hier wohl verkauft wird: Die Schreibtische mit Macs und zahlreichen Aufklebern darauf sehen aus wie in einer Werbeagentur. Doch die bunten Plakate an den Wänden zeigen, dass hier nichts verkauft wird, sondern verschenkt: Segen. Das "Hätzjeföhl" (kölsch für "Herzgefühl") ist das erst vor Kurzem eröffnete Segensbüro der evangelischen Kirche der Domstadt und geht das Thema Segen völlig neu an.

"Die Menschen, die zu uns kommen, haben oft keine Vorstellung davon, ob sie einen Segen haben wollen", sagt Co-Leiter Sebastian Baer-Henney, der mit halber Stelle hier arbeitet. Mit der anderen Hälfte ist er Pfarrer im Stadtteil Mülheim. "Sie kommen zu uns und stehen oft an Wendepunkten im Leben: Ein neuer Job, ein Umzug, eine Beziehung wird ernster oder sie ist zerbrochen. Für diese Momente wollen sie eine Begleitung." Im Gespräch vor Ort wird dann entschieden, was geschieht: Gibt es eine Feier in der Heimatkirche der Interessenten oder wird eine neue Form aus der Taufe gehoben?

Eigentlich könnte man das alles auch im Pfarrbüro klären. Doch dort gehen viele Menschen nicht hin. "Wir haben nicht das Problem, dass die Menschen bei und nicht mehr auf der Suche nach Sinn oder Spiritualität wären", sagt Baer-Henney. "Sie haben nur keine Beziehung zu den verfassten Kirchen mehr."  Er nennt als zentrales Problem gewisse "Zerrbilder" in den Köpfen – die teilweise auch bestätigt werden. "Die Leute haben ganz viele Dinge im Kopf, von denen sie glauben, dass das in einer Kirche niemals ginge. Wir sind dazu da, Dinge möglich zu machen." Die erste Aufgabe sei es, die Kommunikationsprobleme zwischen Kirche und Menschen zu entwirren, sagt der evangelische Geistliche.

Zwischen Schrebergarten und Meer

Dabei sind die Wünsche der Menschen oft eher konventionell, erzählt er: Eine Taufe im Schrebergarten, eine individuelle Trauerfeier, eine Hochzeit am Nordseestrand. Im Büro wird dann geschaut: Kann man Menschen an ihre Heimatpfarrei delegieren? Gibt es da jemanden, der ihrem Wunsch nachkommen kann? Dann ist die Arbeit von "Hätzjeföhl" bereits getan.

Aber es gibt auch die speziellen Wünsche. In Köln ist man da bekanntlich schnell beim Thema Karneval. "Da wollten Leute am 11.11. im Teletubby-Kostüm heiraten", erzählt Baer-Henney. Daraus wurde am Ende ein jeckes Heiratsfest zum Start der fünften Jahreszeit mit mehreren Paaren. Eines davon war auch als Nonne und Kardinal verkleidet. Das trifft sicher nicht jeden Humor – Baer-Henney segnete auch sie. Denn in der evangelischen Kirche ist eine Hochzeit auch eine Segensfeier, kein Sakrament.

Auch für die Momente des Scheiterns hat Baer-Henney schon Formen gefunden: Im April setzte er einen Segnungsgottesdienst für Getrennte und Geschiedene auf. Symbolisch hämmerten wie Teilnehmenden Stücke aus einem Salzblock und lösten sie in Wasser auf. "Das hatte etwas Therapeutisches", erzählt er.

Bild: ©katholisch.de/cph

Sebastian Baer-Henney ist einer der Co-Leiter von "Hätzjeföhl".

Doch es gibt auch heikle Fälle. Wenn etwa ein Paar das eigene Kind taufen lassen will – sie aber orthodox und er Muslim ist – und sich im gleichen Gottesdienst auch selbst taufen lassen wollen. "Kirchenrechtlich sind solche Fälle nicht unproblematisch", sagt Baer-Henney – und fügt sofort hinzu: "Aber wir sind hier dafür da, um Grauzonen auszuloten." Am Ende gab es die Tauffeier. Ebenso arrangierte er eine Segensfeier für Menschen in einer polyamoren Beziehung. Die Amtskirche sieht solche Beziehungsmodelle kritisch. "Aber die Welt verändert sich. Da müssen wir nachkommen, sonst gehen die Menschen ohne uns weiter", sagt Baer-Henney. "Wenn Gott diese Beziehungen schenkt – warum sollte ich sie dann nicht segnen?" Ebenso schwierig war es, als bei einem Segnungsfest für Paare einzelne Paare nicht in die Öffentlichkeit wollten: Etwa, weil bei einem queeren Paar nicht beide ihr Coming-Out hatten oder Einzelne keinen Aufenthaltstitel. Für sie wurde ein Bereich abgeschirmt und auch sie bekamen den Segen.

In den Anfragen an das Büro zeigt sich aber auch, welche großen Vorbehalte die Menschen mittlerweile vor verfasster Religion haben. Wenn sich Paare etwa eine katholisch anmutende Hochzeit wünschen, sie aber nicht katholisch feiern wollen. Oder sie eine Freundschaft besiegeln wollen, dafür aber in der Kirche keine Form finden. "Nicht wenige von denen, die zu uns kommen, stehen kurz vor dem Austritt, weil sie keine Beziehung mehr zur Kirche haben." Für viele von ihnen findet das Team des Segensbüros eine Lösung. "Wir haben in der Kirche ganz starke Rituale, damit werden diese abstrakten Glaubensinhalte fassbar. Die Katholiken sind da momentan noch besser als wir. Sie haben mehr Übung in einprägsamen Zeichenhandlungen. Aber wir lernen dazu", sagt Baer-Henney. "Denn egal, in welcher Situation – so ein Ritual zeigt Menschen: Du bist nicht allein."

Durch dieses Dazulernen ist die Idee zu dem Kölner Segensbüro überhaupt entstanden. In anderen Großstädten wie Berlin oder Hamburg gibt es bereits ähnliche Formate. Den entscheidenden Anstoß gab aber ein Tauffest vor einigen Jahren. Der Erfolg war so groß, dass sich die vier Kölner Kirchenkreise entschieden haben, das Büro gemeinsam zu tragen. Seit einem Jahr arbeitet das Team bereits mit einem Stellenplan von fünf halben Stellen, seit Februar haben sie das Ladenlokal im Kölner Süden bezogen. Man will dort sein, wo die Leute sowieso vorbeikommen. Bei der Ausgestaltung des Segensbüros hatte das Team große Freiheiten. "Uns war es zum Beispiel wichtig, dass das auch alles zugänglich aussieht. Denn wie gesagt: Kommunikation ist zentral", sagt Baer-Henney. Deshalb ist eine Grafikerin im Team, die sich um das passende Design kümmert.

Postkarten in der Kneipe

Passend zum Design müssen auch die Ausspielwege sein, um an die Menschen heranzukommen. Hier geht man neue Wege. "Wir haben zuletzt 18.000 Kneipenpostkarten aushängen lassen. Davon waren am Ende nur noch 200 übrig. Das Konzept kommt also an." Dazu gehören auch die Reibungsverluste eines Ladens: Menschen kommen herein, wollen später wiederkommen und werden nie mehr gesehen. Da geht es dem Segensbüro wie anderen Geschäften.

Bild: ©katholisch.de/cph

Das Büro soll bewusst einladend wirken.

Die Reaktionen aus der Kirche sind dem Projekt bislang aber gewogen. "Etwa 90 Prozent der Rückmeldungen sind positiv, nur jeder Zehnte ist kritisch", sagt Baer-Henney. Wegen der Grauzonen, die die Feiern oft beschreiten, stehen immer wieder rechtliche Fragen im Raum: Ab wann "gilt" eine Hochzeit? Ist da auch ein Segensfest an Karneval gültig? "Es gibt noch viele Dehnungsschmerzen bei diesem Projekt, da kommt sicher noch was auf uns zu", sagt er. Für ihn ist das auch eine Auseinandersetzung um die Deutungshoheit in der Kirche – und damit um Macht: "Wer bestimmt, was Kirche ist und wie sie aussieht? Bei Formaten wie den unseren kommt immer auch eine kirchenpolitische Dimension dazu."

Wie lange es das Projekt geben wird, steht noch nicht fest. Für drei Jahre ist das Geld fest eingeplant, danach wird aufgrund einer wissenschaftlichen Evaluation entschieden, ob es weitergeht. Dann geht es um Nutzerzahlen und die Kosten-Nutzen-Rechnung. Dem sieht Baer-Henney aber gelassen entgegen: "Ich glaube an dieses Projekt. Das kann die Kirche näher zu den Menschen bringen und neue Türen öffnen."

Von Christoph Paul Hartmann