Das Martyrium – aktuell wie nie
Der erste war Stephanus. Er gilt als erster Märtyrer des Christentums. Um das Jahr 40 wurde er wegen seines Glaubens zu Tode gesteinigt. Er sollte nicht der letzte bleiben: Viele Menschen haben sich über die Jahrhunderte zu ihrem Glauben bekannt und mussten dafür sterben. Besonders bekannt sind die Märtyrer aus der Zeit der Christenverfolgung im Römischen Reich im dritten Jahrhundert. Die Heiligenverehrung begann mit der besonderen Stellung von Märtyrern. Doch dass Menschen für ihren Glauben ihr Leben geben, ist keineswegs nur ein Phänomen der Vergangenheit.
Denn in keinem Jahrhundert der Kirchengeschichte wurden so viele Christen aufgrund ihres Glaubens gewaltsam ermordet wie im 20. Jahrhundert. Zu diesem Schluss kommt der Herausgeber des Deutschen Martyrologiums, Helmut Moll. Dabei gibt es zwischen all diesen Martyrien Gemeinsamkeiten.
"Das Martyrium ist das erhabenste Zeugnis, das man für die Wahrheit des Glaubens ablegen kann; es ist ein Zeugnis bis zum Tod", hält etwa der Katechismus fest. (3956 KKK) Das wichtigste verbindende Element ist dabei der Tod, den man für den Glauben auf sich nimmt. Auch das gemeinsame Glaubenszeugnis wird genannt: "Mit größter Sorgfalt hat die Kirche Erinnerungen an jene, die in ihrer Glaubensbezeugung bis zum äußersten gegangen sind, in den Akten der Märtyrer gesammelt." Wie wichtig Märtyrer für die Kirche sind, wird gleich nachgeschoben: "Sie bilden die mit Blut geschriebenen Archive der Wahrheit." Dementsprechend wichtig ist das Martyrium auch, wenn es um Heiligsprechungen geht. So hält die Instruktion "Sanctorum Mater" des vatikanischen Dikasteriums für die Heiligsprechungen fest: Infrage kommen dafür nämlich unter anderem ein Mensch, der "einen Ruf des Martyriums genießt, denn in seiner Nachfolge Jesu hat er sein Leben im Martyrium hingegeben". (SM 4)
Opfer eines Terroranschlags
Zeugenschaft und der Tod für den Glauben, das trifft auf Märtyrer der Vergangenheit ebenso zu wie auf jene späterer Zeiten. Denn auch heute noch sterben Menschen wegen ihres Glaubens: Der französische Priester Jaques Hamel wurde im Jahr 2016 Opfer eines Terroranschlags der Terrormiliz IS in seiner Kirche im kleinen französischen Ort Saint-Étienne-du-Rouvray. Junge Islamisten überfielen seine Messfeier und verfolgten mit ihrem Angriff offenbar kein weiteres Ziel als die Ermordung eines "Ungläubigen". Die zwei Männer schnitten dem 85-jährigen während des Gottesdienstes die Kehle durch und zwangen einen Messbesucher, die Tat zu filmen. Auch er wurde anschließend niedergestochen, überlebte jedoch schwerverletzt. Die Täter hatten sich zuvor mit einer Art Kampfpredigt regelrecht in Rage geredet. Hamel hatte versucht, die Attentäter zu beruhigen, daraufhin wurde er getötet.
Ein weiteres Beispiel ist die deutsche Familie Hentschel. Die evangelischen Eltern reisten mit ihren Kindern für eine christliche Hilfsorganisation in den Jemen, in dem Bürgerkrieg herrscht und sowohl extremistische wie auch kriminelle Gruppen aktiv sind. Die fünfköpfige Familie wurde 2009 von bewaffneten Männern entführt, von den Eltern und ihrem Sohn gibt es seitdem kein Lebenszeichen mehr, die beiden Töchter konnten 2010 von saudischen Spezialkräften befreit werden. Die übrigen Familienmitglieder wurden 2014 für tot erklärt.
Heute geht die Gefahr für Christen auch vom Terrorismus aus.
Solche Fälle zeigen die neuen Dimensionen des Martyriums. Waren früher Christenverfolgungen sehr oft von den Mächtigen verordnet, gibt es sie heute auch durch Terrorgruppen und Kriminelle. Was dagegen gleich bleibt, ist die Überzeugung, mit der die Märtyrer in den Tod gehen.
Insbesondere die Märtyrer des 20. Jahrhunderts zeigen diese Überzeugungen. Denn etwa gegen den Nationalsozialismus leisteten auch Christen Widerstand. Dazu gehörte etwa die Weiße Rose. Aus dem Freundeskreis der Geschwister Scholl entwickelte sich eine ernstzunehmende Organisation aus Studenten, die Flugblätter mit anti-nationalsozialistischem Inhalt verbreiteten, ihre prägenden Mitglieder wurden dafür hingerichtet. Ein weiteres Beispiel sind die Lübecker Märtyrer. Die vier Geistlichen, welche sich öffentlich gegen das NS-Regime gestellt hatten, wurden 1943 mit dem Fallbeil hingerichtet. Besonders in Polen wird der Priester und Franziskanerpater Maximilian Kolbe verehrt, der 1941 im Stammlager von Auschwitz den Leiter des Lagers bat, anstelle eines Familienvaters in den Hungerbunker zu gehen.
Engagement gegen die Unterdrückung
Moll hält die gebürtige Jüdin Edith Stein für die bekannteste Märtyrerin dieser Zeit. Erst während des Studiums merkte Edith, dass sie katholisch werden wollte und ließ sich daraufhin taufen. Als die Judenverfolgung im Dritten Reich begann, wurde sie Nonne bei den Unbeschuhten Karmelitinnen und forderte Papst Pius XI. in Briefen auf, sich gegen die Unterdrückung der Juden einzusetzen. Eine Antwort erhielt sie nie. Um katholischem Widerstand entgegenzuwirken, nahmen die Nazis ehemals jüdische Nonnen fest, so auch Edith Stein. Sie wurde deportiert starb im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Nicht nur für den Widerstand in Diktaturen sind Märtyrer von großer Bedeutung. Im Vorwort zum deutschen Martyrologium betont Kurienkardinal Kurt Koch die Wichtigkeit des Martyriums für die Ökumene. "Die Märtyrer der Christenheit werden uns auf dem ökumenischen Weg zur Einheit hilfreich sein." In einem Interview erläutert Moll diesen Gedanken: "Sie sind alle für Christus in den Tod gegangen. Deshalb ist die Ökumene des Blutes heute so wichtig." Den Glaubensfeinden sei es gleich, ob jemand evangelisch, katholisch oder orthodox sei, erklärt er weiter. Märtyrer unterschiedlicher Konfessionen könnten also als Vorbild für alle Christen dienen und diese mitunter auch zusammenführen. Die Fälle von Jacques Hamel, Edith Stein und der Familie Hentschel verdeutlichen das.
Fest steht, das Martyrium hat über die Jahrhunderte nicht an Häufigkeit und Wichtigkeit verloren, im Gegenteil. Unter Repressionen von Regierungen, gewaltbereiten Gruppen oder radikalisierten Einzeltätern gibt es bis auf den heutigen Tag Menschen, die ihr Bekenntnis zum christlichen Glauben mit dem Leben bezahlen. Ebenso wie in der Vergangenheit sind sie auch heute Identifikationsfiguren und Vorbilder. Nicht zuletzt deswegen sind Persönlichkeiten wie Edith Stein oder Maximilian Kolbe heiliggesprochen worden. Im Fall von Jacques Hamel wird bereits Material für eine Seligsprechung gesammelt.
