Kirche will bei Lebensübergängen helfen

Nicht nur für Priester: Das Berufungscoaching im Bistum Osnabrück

Veröffentlicht am 26.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 

Bonn/Osnabrück ‐ Ob Priester oder Laien: Bei einer beruflichen Veränderung oder anderen Umbrüchen tut Begleitung gut. Das Bistum Osnabrück und andere katholische Einrichtungen bieten dafür ein sogenanntes Berufungscoaching an. Groß, verrückt und unkonventionell denken, ist hier durchaus erwünscht.

  • Teilen:

Wer das Coaching von Ansgar Stolte und Nathalie Jelen besucht und hofft, dort einen Rat zu bekommen, der ist auf der falschen Fährte. "Wenn man denkt, man kommt zu acht Sitzungen und dann springt ein fertiges Programm heraus, wird das Coaching nicht funktionierten", sagt Nathalie Jelen. Und Ansgar Stolte ergänzt: "Was wir machen, ist einen Prozess anzustoßen". Will heißen: Wie bei jedem Coaching geht es den beiden in Abgrenzung zu einer Beratung weniger um konkrete Ergebnisse als um eine Weitung des Horizonts. Und neben beruflichen Fragestellungen spielen auch andere Faktoren eine Rolle, die zu einem erfüllten Leben beitragen können. Nicht umsonst heißt das Programm BerufUNGs-Coaching und eben nicht Berufsberatung. "Die drei Buchstaben nach dem Wort 'Beruf' überlesen meine Kundinnen und Kunden oft erstmal", sagt Jelen lächelnd.

Besonders für Menschen an Umbrüchen im Leben

Seit gut fünf Jahren bieten die Pastoralreferentin und der Priester im Bistum Osnabrück das Coaching nach der Methode "Wave" (Wachstum und Veränderung) an. Auch in anderen Bistümern und Einrichtungen im deutschsprachigen Raum gehen Coaches nach dieser Wave-Methode vor. Sie wurde 2003 von dem Wiener BWL-Professor Alexander Kaiser entwickelt, der sich auch in der Berufungspastoral der Pallottiner in Deutschland und Österreich engagiert. Der Begriff Berufung ist dabei sehr weit gefasst und bezieht sich nicht 'nur' auf Berufungen zum Priester oder zum Ordensleben. Basierend auf einem christlichen Menschenbild können besonders Menschen an Bruchstellen oder Übergängen im Leben ihre beruflichen und persönlichen Stärken, Bedürfnisse und Sehnsüchte reflektieren und eine Vision zu deren Umsetzung entwickeln. Mögliche Anlässe sind ein Schulabschluss, das Ende von Ausbildung oder Studium oder auch der Übergang ins Pensionsalter. Auch Trennungen oder Trauerfälle sind ein möglicher Anstoß.

Beim Coachingprozess ist es offen, in welche Richtung er sich entwickelt.
Bild: ©Adobe Stock/Faizan

Beim Coachingprozess ist es offen, in welche Richtung er sich entwickelt.

Luise, die ihren vollen Namen öffentlich lieber nicht in einem Artikel lesen will, steht an einem beruflichen Übergang. Nach jeder Menge Berufserfahrung in der Familien-, Lebens- und Trauerberatung hat sie ihre letzte Arbeitsstelle gekündigt. "Mir hat mein Beruf immer Spaß gemacht. Aber zunehmend habe ich gemerkt: Ich möchte schauen, was es noch so gibt", erzählt sie. Im Coaching hat diese vage Vorstellung genauere Konturen bekommen. Eigentlich Offensichtliches wurde ihr plötzlich bewusst – manchmal auch im Kleinen. So habe sie Urlaube stets in der Natur verbracht. "Und irgendwann ist mir aufgefallen, dass meine Arbeit fast ausschließlich drinnen und im Sitzen stattfand. Ich möchte aber mehr draußen und in Bewegung sein." Eine Umorientierung in Richtung einer kreativeren Arbeit sei aber nicht das Richtige: "In einer Sitzung sollte ich auf einem Filmplakat mein eigenes Leben darstellen. Das fand ich einfach nur anstrengend."

Mehr Stärken als gedacht

Ansgar Stolte und Nathalie Jelen gehen bei ihrer Arbeit nach einer bestimmten Prämisse vor: Es ist alles schon da, es muss nur gehoben werden. "Die Fragestellungen, mit denen die Kundinnen und Kunden zu uns kommen, sind oft nur die bewusste Spitze des Eisbergs. Das Coaching hilft ihnen, herauszufinden, was unter der Oberfläche liegt", verdeutlicht Stolte. Oft geht es zunächst um berufliche Anliegen, später dann auch um anderes wie Gesundheit, Wohnsituation – und Werte. "Am Ende sollte ein erfülltes Tun stehen. Aber hinter jedem Verhalten steckt auch eine Haltung", so Stolte. Ein Teil des Coachings ist es, die eigenen Stärken aufschreiben. "Die Leute nennen dann irgendwas zwischen vier und zehn Stärken und sind ganz berührt, wenn sie merken, dass es da noch viel mehr gibt", sagt Nathalie Jelen.

Der Prozess umfasst in der Regel sechs bis acht Sitzungen oder Module. Diese Begrenztheit ist bewusst gewählt, auch um den Fokus nicht zu verlieren. "Beim ersten Treffen versuchen wir herauszufiltern, was genau das Thema beziehungsweise der Auftrag ist", sagt Ansgar Stolte. Die Coaches gehen mit ihren Kundinnen in einem Dreischritt vor:  Entdecken – Stärken – Umsetzen der eigenen Berufung. Und dabei sollte es nicht zu bescheiden zugehen. "Bei uns darf auch groß gedacht werden", sagt Nathalie Jelen. "Wenn jemand im übertragenen Sinne die pinke glitzernde Fee auf dem Mars sein will, dann ist das so". Jeder scheinbar noch so unerreichbare Traum hat seinen Platz. Dann wird geschaut, welcher Kern davon sich umsetzen lässt. Am Ende des Coachings steht dann ein persönliches Zukunftsbild für die nächsten fünf bis zehn Jahre und eine konkrete Schrittfolge, um es zu erreichen.

„Mich hat es überzeugt, dass die Methode so offen ist, dass ich dazu angehalten wurde, verrückt und unkonventionell zu denken.“

—  Zitat: Luise

Nicht immer muss eine revolutionäre, umwälzende Veränderung das Ergebnis sein. "Ich habe eigentlich die Bestätigung bekommen, dass das, was ich mache, doch schon ganz gut zu mir passt", sagt Luise. Künftig will sie beruflich wie privat aber mehr auf das Thema Wirksamkeit schauen. Bezogen auf ihr Engagement gegen rechts bedeutet das, sich eher in konkreten Projekten etwa der Jugendarbeit zu engagieren, als weiter auf Demos zu gehen. "Bei denen ist so ungewiss, was sie bewirken", findet sie. 

Bibelstelle oder Gebet

Spiritualität spielt beim Berufungscoaching je nach Kunde oder Kundin eine unterschiedlich große Rolle. Zu Nathalie Jelen und Ansgar Stolte kommen Mitarbeitende aus der katholischen oder evangelischen Kirche, auch Priester oder Ordensleute sind dabei, oder Menschen aus einem ganz anderen Kontext. Manchen tut es gut, passende Bibelstellen oder ein Gebet einzubinden. "Spiritualität läuft im Coaching oft mit – meist im Hintergrund, manchmal im Vordergrund – aber letzteres ist die Minderheit", fasst Ansgar Stolte zusammen.

Luise ist nun fast am Abschluss ihres Coaching-Prozesses angelangt. Schon jetzt hat sie so viel daraus mitgenommen, dass sie es einer Freundin mit einer ähnlichen Fragenstellung weiterempfohlen hat. "Mich hat es überzeugt, dass die Methode so offen ist, dass ich dazu angehalten wurde, verrückt und unkonventionell zu denken". Am Ende sei es dann fast eine Ernüchterung gewesen, dass es in ihrem Fall die große berufliche Umorientierung gar nicht sein muss. Aber auch so hat sie eine entscheidende Erkenntnis gewonnen – und das ganz ohne einen konkreten Ratschlag.

Von Gabriele Höfling

Berufungscoaching "Wave"

Das Berufungscoaching Wave im Bistum Osnabrück an sich ist kostenlos – wer die finanziellen Möglichkeiten hat, kann aber gern etwas dazu geben. Das Coaching kann alleine oder in Gruppen durchgeführt werden. Auch Unternehmen haben die Möglichkeit, es einzelnen oder Gruppen von Mitarbeitern zu ermöglichen.