Kreuzwege wurden bereits abgehängt

Kunsthistorikerin: Finden heute noch antijüdische Kunst in Kirchen

Veröffentlicht am 02.08.2025 um 12:05 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Köln ‐ Kunst, die Menschen jüdischen Glaubens herabwürdigt, ist mitnichten ein Problem der fernen Vergangenheit. Erst vor kurzem sind Forschende in Dorfkirchen auf problematische Kunst gestoßen. Was nun damit passiert, erklärt eine Expertin.

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Seit 2000 läuft im Erzbistum Köln eine große Inventarisierung der künstlerischen Ausstattung aller Kirchen der Diözese. Dass in so mancher Kirche auch Kunst zu finden ist, die problematisch ist, ist dabei keine Überraschung. Allerdings stammt die nicht nur aus fernen Zeiten, sondern zum Teil aus der Nachkriegszeit. Anna Pawlik ist die Erzdiözesankonservatorin in Köln. Im Interview spricht sie über schwierige Aushandlungsprozesse und den passenden Umgang mit Kunst im Kirchenraum.

Frage: Frau Pawlik, seit 25 Jahren werden im Erzbistum Köln die Kunstgegenstände in den Kirchen inventarisiert. Dabei ist auch problematische Kunst zutage gekommen. Welche?

Pawlik: Da gibt es zuerst einmal Kunst aus dem Mittelalter, in der Jüdinnen und Juden dargestellt werden, als Teil der christlichen Heilsdarstellung. In St. Maria in Lyskirchen am Kölner Rheinufer gibt es etwa in den Deckenmalereien eine sehr bekannte Darstellung der Nikolauslegende, wo Jüdinnen und Juden ein Bildwerk schänden. Diese historische Kunst ist uns bekannt, es geht auch nur um wenige Werke, die in den Kirchen im Erzbistum Köln davon betroffen sind. Neu war für uns, dass wir auch in Kunstwerken aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und damit nach der Schoah auf klar antijüdische Darstellungen stoßen würden. Es geht hier um Objekte, die in den 1940er und 1950er, aber auch in den 1960er Jahren noch entstanden sind und von Kirchengemeinden gekauft oder in Auftrag gegeben wurden. Ich gehe nicht davon aus, dass jemand da bewusst antisemitische Kunst in seine Kirche hängen wollte. Vielleicht haben die Menschen nicht darüber nachgedacht, was da eigentlich zu sehen ist.

Frage: Können Sie ein Beispiel für ein solches Kunstwerk nenne?

Pawlik: Das ist recht einfach, weil von den vier Fällen antijüdischer Kunst drei das gleiche Kunstwerk betreffen. Da hat ein Künstler einen Kreuzweg mehrmals geschnitzt (siehe Titelfoto), die einzelnen Ausführungen unterscheiden sich lediglich in Größe und Farbgebung. Künstlerisch sind alle drei identisch. Beim vierten Werk handelt es sich um einen Kreuzweg eines anderen Künstlers. Dieser ist in dreizehn Stationen völlig neutral und künstlerisch sogar sehr ansprechend. Aber in einer Darstellung taucht eine jüdisch konnotierte Fratze auf, das ganze Klischee inklusive Hakennase. Der Kreuzweg, der drei Mal vertreten ist, ist da deutlich härter: Hier lässt der Künstler den jüdischen Hohepriester an drei Stationen der Passion aktiv teilnehmen. In allen drei Szenen, wo Christus unter dem Kreuz fällt, ist der Hohepriester dabei, reibt sich die Hände, lächelt und tritt ihn sogar von hinten.

Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg so unreflektiert antijüdische Kunst für Kirchen angekauft wurde?

Pawlik: Schauen Sie auf das Kinderfenster im Kölner Dom. Entstanden zwischen 1960 und 1965, stellen zwei Felder als Verheutigung des Evangeliums das Leid der Kölner Bevölkerung im Krieg dar. Opfer des Nationalsozialismus kommen da aber nicht vor. Das zeigt natürlich eine Geisteshaltung, die damals durchaus verbreitet war. Es gab damals ein Unvermögen in der Nachkriegsgesellschaft, sich der eigenen Verantwortung zu stellen. Man wollte es nicht wahrhaben und hat auch bekannte Darstellungen nicht hinterfragt. Viele Darstellungen waren noch aus nationalsozialistischen – nennen wir sie mal "Bilderwelten" bekannt. Künstler, die in den 1940er Jahren gearbeitet haben, wurden in den 1930er Jahren und davor ausgebildet und haben ihr Profil entwickelt. Diesem Stil sind sie weiter gefolgt. Allein dadurch, dass da zum Teil bis heute niemand drüber nachgedacht hat, zeigt, dass diese Bildtypen weiter wirken. Wir schauen viel zu wenig hin, was für Bilder eigentlich um uns sind, hinterfragen zu wenig. Bei Kreuzwegen hat das sicher auch damit zu tun, dass wir heute anhand dieser Kreuzwege viel weniger den Kreuzweg beten als früher und uns deshalb weniger damit auseinandersetzen als früher, die Kreuzwege sind ein wenig zur üblichen Dekoration verkommen.

Bild: ©picture alliance/dpa/Oliver Berg

Anna Pawlik ist die Erzdiözesankonservatorin des Erzbistums Köln.

Frage: Was ist dann geschehen?

Pawlik: Als diese Fälle bei uns aufgetaucht sind, haben wir gemeinsam mit dem Fachbereich Dialog im Erzbistum den Gemeinden eine Stellungnahme zukommen lassen. Darin haben wir über den antijüdischen Gehalt aufgeklärt und eine Empfehlung ausgesprochen – mehr geht auch nicht, entscheiden müssen die Gremien vor Ort. Die Empfehlung lautete: Diese drei Kreuzwege sollten entfernt werden. Denn antijüdische Objekte, die nach der Schoah entstanden sind und im liturgischen Vollzug stehen, haben in unseren Kirchen nichts zu suchen. Das ist nicht mit mittelalterlichen Darstellungen vergleichbar wie etwa im Chorgestühl des Kölner Doms, mit denen man einen anderen Umgang suchen muss. Aber an mindestens einem dieser Kreuzwege fand vor Ort seit Jahrzehnten die Katechese der Kommunionkinder statt, er ist aktiver Teil der Liturgie und des Gemeindelebens. Deshalb sollte er abgehängt werden, das ist unsere Empfehlung. In einer der Kirchen hängt er schon nicht mehr, eine andere Gemeinde plant, ihn abzuhängen, und eine ist noch in einem Entscheidungsprozess. Da wird hart gerungen.

Frage: Inwiefern?

Pawlik: So eine Stellungnahme ist für eine Kirchengemeinde zunächst ein Schreck. Die Kreuzwege hängen oder hingen in den Kirchen seit Jahrzehnten – und dann kommt jemand und empfiehlt, ihn abzuhängen. Da hängen große Emotionen dran. Das war oft eine Mischung aus Nicht-wahrhaben-wollen und der Einstellung: Wenn man es nicht sagt, merkt das auch niemand. Das war für uns aber keine Alternative. Wir können uns aus dieser Verantwortung nicht herausstehlen, nur weil es bislang niemand gemerkt hat. Daneben gab es aber auch viel Verständnis und Bewusstsein dafür. Wir haben als nordrhein-westfälische Bistümer und Landeskirchen einen gemeinsamen ökumenischen Leitfaden entwickelt, der sich explizit damit beschäftigt, was wir denn nun mit solchen Werken machen sollen. Da ist die ganz klare Empfehlung, transparent zu agieren und das nicht unter den Teppich zu kehren. Denn irgendwann wird es jemand merken. Uns ist es wichtig, aus einem christlichen Verständnis im ökumenischen und interreligiösen Miteinander und Füreinander zu sagen: Wir reagieren nicht, sondern wir treten in Aktion und haben auch keine Angst davor, diesen Objekten mit Haltung zu begegnen und sie gegebenenfalls auch zu entfernen.

„Wir können uns aus dieser Verantwortung nicht herausstehlen, nur weil es bislang niemand gemerkt hat.“

—  Zitat: Anna Pawlik

Frage: Was geschieht dann mit diesen Kreuzwegen?

Pawlik: Wir haben einen dieser Kreuzwege zu Dokumentationszwecken im Bistumsdepot eingelagert, sicher weggeschlossen. Das werden wir aber nicht mit allen dreien machen. Was damit geschieht, steht noch nicht fest. Die Verantwortung liegt da bei den Eigentümern, also den Kirchengemeinden.

Frage: Neben der Darstellung von Jüdinnen und Juden kann es auch in Bezug auf andere Gruppen problematisch werden, Nicht- Weißen und Frauen etwa. Gibt es da im Erzbistum auch Fälle?

Pawlik: Natürlich. Der heilige Mauritius war etwa schwarz, Teile des Gefolges des heiligen Gereon werden auch in der mittelalterlichen Kunst mit dunkler Hautfarbe dargestellt. Das haben wir aber nicht als Problem festgemacht, weil das Teil der Heiligenlegende und ihrer Herkunftserzählung ist. Da entfällt die negative Konnotation. So begegnen sie uns in Wandmalereien oder als Reliquienbüsten. Das ist kulturhistorisch interessant, aber das ist alles Teil der Heiligengeschichte. Schwieriger ist da etwa, dass es in mancher Gemeinde noch Figuren von Schwarzen Menschen gibt, die eine Spendenschatulle in Händen halten, die sogenannten Missionsspardosen. Manche dieser Figuren verbeugen sich durch einen Mechanismus, wenn jemand Geld in die Schatulle wirft. Zum Teil werden sie immer noch neben Krippen aufgestellt, obwohl die Deutsche Bischofskonferenz schon vor Jahrzehnten ihre Entfernung gefordert hat. Sie stehen in einigen Kirchengemeinden noch im Schrank – und da sollen sie auch bleiben.

Von Christoph Paul Hartmann