Denkmalschutz gegen Kirche: Streit um Altar im Naumburger Dom

Der Naumburger Dom ist für seine zwölf steinernen Stifterfiguren aus dem 13. Jahrhundert weit bekannt. Mit ihrer Lebendigkeit und Ausdrucksstärke ziehen sie jeden Besucher in ihren Bann. Speziell Markgräfin Uta gilt als die schönste Frau des Mittelalters. Dass der Dom 2018 ins Uneso-Weltkulturerbe aufgenommen wurde, hing maßgeblich mit Uta und Co. zusammen.
Seit 2022 jedoch gibt es einen neuen Blickfang im Westchor: ein von Lucas Cranach dem Älteren 1520 vollendeter Altaraufsatz, dessen Mittelteil 1541 im Zuge der Reformation zerstört und nun vom Maler Michael Triegel modern, aber im Stil des 16. Jahrhunderts ergänzt wurde. Ein imposantes Kunstwerk, das in der Tat alle Blicke im Raum auf sich zieht und die Stifterfiguren im wahrsten Sinne des Wortes in den Hintergrund treten lässt.
Kaum aufgestellt, entbrannte ein denkmalrechtlicher Streit: Der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS), der die Unesco berät, forderte die Entfernung des Altars. Die deutsche ICOMOS-Sektion sieht durch den Altar die Sichtachsen auf die zwölf Stifterfiguren des Doms beeinträchtigt und hält deswegen den Weltkulturerbe-Status für gefährdet. Nach viel Hin und Her veröffentlichte Sachsen-Anhalts Landesregierung Anfang Juli eine lang erwartete Entscheidung der Unesco-Experten, wonach der Altar im Dom verbleiben könne, aber an einem anderen Ort aufgestellt werden müsse. Dafür schlugen sie das Nordhaus des Domes vor.
Vollkommen ungeeignet
Ein aus Sicht von Domprediger Michael Bartsch vollkommen ungeeigneter Standort, wie er auf Anfrage erklärte. "Wir stellen Altäre nicht aus, sondern wir nutzen sie", so Bartsch. "Dass der Altar in den Westchor gehört, ist für mich und die Kirchengemeinde unstrittig." Seit der Aufstellung habe die liturgische Nutzung des Raumes massiv zugenommen, die von der Gemeinde sehr gut angenommen werde. Zuvor stand im Westchor lediglich eine Mensa – also ein Altartisch, es fanden zuweilen Trauungen dort statt und jedes Jahr der Auftakt des Patronatsfests an Peter und Paul.
Der erneuerte Altar am alten Ort hat laut Bartsch auch eine ökumenische Dimension: "Bei seiner Zerstörung haben Schlachterburschen nur den Mittelteil mit der Mariendarstellung zerschlagen – ein gezielt antiökumenischer Akt. Durch den wiederhergestellten Altar können und wollen wir diese Wunde ökumenisch heilen." So fand auch schon eine ökumenische Vesper mit Magdeburgs katholischem Bischof Gerhard Feige vor dem Altar statt.
Selbstbestimmtungsrecht im sakralen Raum
"So wie ICOMOS hier in liturgische Belange eingreift, das geht gar nicht", sagt Bartsch. Er und die Kirchengemeinde verweisen auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche im sakralen Raum. Darin unterstützt sie auch die Landeskirche. Der Kirchenamtspräsident der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Jan Lemke, verweist auf Anfrage auf den Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen aus dem Jahr 1993. Darin heißt es: "Die Denkmalbehörden haben bei Kulturdenkmalen der Kirchen, die dem Gottesdienst oder sonstigen Kulthandlungen zu dienen bestimmt sind, die kultischen und seelsorgerlichen Belange, die von der zuständigen Kirchenleitung festzustellen sind, vorrangig zu beachten."
Front des Marienaltars im Westchor des Naumburger Doms.
Das Selbstbestimmungsrecht sticht somit den Denkmalschutz. Doch in Naumburg stößt es durch eine besondere Konstruktion an seine Grenzen: "Wir können es letzten Endes nicht entscheiden, weil wir nicht Eigentümer des Domes sind. Das sind die Vereinigten Domstifter – und die sind finanziell abhängig vom Land", erläutert Bartsch. Insofern überrascht es vielleicht weniger, dass die Domstifter gemeinsam mit den Vertretern des Landes den Umsetzungs-Vorschlag von Icomos befürworteten. Damit wäre das Damoklesschwert einer Aberkennung des Welterbetitels vom Tisch. Also alles eine Frage des Geldes?
Auf Anfrage teilten die Domstifter mit, es gebe keine direkte Förderung durch die Unesco. Das Land unterstützt die Vereinigten Domstifter als sogenannte Landeskulturstiftung finanziell. Ein finanzieller Vorteil durch den Welterbetitel lasse sich nicht exakt beziffern. Aber: "Natürlich ist die nationale und internationale Wahrnehmung einer Kultureinrichtung mit Unesco-Titel höher als ohne den Titel. Das sollte sich auf die Gästezahlen und damit auch auf die Einnahmen auswirken."
"Nicht eskalierend handeln"
Die Kirchengemeinde wurde aus Sicht von Kirchenamtspräsident Lemke klar übergangen und nicht in die Entscheidungen einbezogen. Domprediger Bartsch sagt: "Wir freuen uns, wenn unser Dom den Welterbetitel trägt, aber aus Sicht der Domgemeinde ist er zweitrangig. Doch wir wollen jetzt nicht eskalierend handeln." Man lasse nun ein Stück weit Gelassenheit walten: "Ich gehe weiter davon aus, dass der Altar an seinen Platz zurückkehren wird – ob in zehn oder 100 Jahren sei dahingestellt." In dieser Woche tagt dazu noch einmal der Gemeindekirchenrat, Mitte September dann die Domstifter.
Immer wieder kommt es zu Fällen, wo Denkmalschutz und liturgische Belange einander gegenüberstehen. Ein prominentes, jüngeres Beispiel: Die Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale, im vergangenen November nach mehrjähriger Umgestaltung wiedereröffnet. Beim Umbau der katholischen Bischofskirche wurde eine rund acht Meter große Bodenöffnung im Zentrum des Kirchenraums geschlossen. Dagegen waren Denkmalschützer Sturm gelaufen. Der Streit war in Teilen auch vor Gericht ausgetragen worden. Doch das Erzbistum setzte sich durch. Es begründete die Umgestaltung damit, dass dadurch besser nach den gegenwärtigen kirchlichen Vorgaben Gottesdienste gefeiert werden könnten.