Die Reform des Heiligenkalenders sorgte weltweit für Aufruhr

Als der Papst den Himmel aufräumte – Heilige auf der Streichliste

Veröffentlicht am 01.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Den Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils war das Kirchenjahr einfach zu voll. Den Ballast aus Jahrhunderten sollte Papst Paul VI. aufräumen – mit seiner Neuordnung des Heiligenkalenders ist er vielen auf den Schlips getreten.

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Ob Papst Paul VI. wohl geahnt hatte, welches Beben durch die katholische Welt und weit darüber hinaus er 1969 auslösen würde? Knapp dreieinhalb Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ordnete er mit dem Motu proprio "Mysterii Paschalis" das Kirchenjahr neu. Ganz im Geiste des Konzils sollte der katholische Jahresreigen sich stärker am Ostergeheimnis orientieren. Über Jahre und Jahrhunderte wurde das Kirchenjahr mehr und mehr angefüllt mit Festen, Vigilen und Oktaven, wurde immer komplizierter – so viel Tradition erschien als Ballast. Paul VI. sah die Gläubigen daher abgelenkt von den grundlegenden Geheimnissen der Erlösung.

Was in der Öffentlichkeit ankam, war aber weniger die Konzentration auf den Glutkern des Glaubens. Was zum weltweiten Aufschrei führte, war die Reform des Heiligenkalenders. "Man kann nicht leugnen, dass die Feste der Heiligen über den Lauf der Jahrhunderte mehr und mehr zugenommen haben", stellte Paul VI. fest. Schon das Konzil hatte in seiner Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" ein angemessenes Verhältnis der Heiligenfeste angemahnt: "Die Feste der Heiligen sollen nicht das Übergewicht haben gegenüber den Festen, welche die eigentlichen Heilsmysterien begehen."

Gab es Christophorus und Valentin?

Dem Papst gab das Konzil den Auftrag mit, im Heiligenkalender der Universalkirche aufzuräumen. Eine "beträchtliche" Anzahl von Heiligen sollten nun nur noch dort gefeiert werden, wo sie eine Bedeutung haben, "und nur jene sollen auf die ganze Kirche ausgedehnt werden, die das Gedächtnis solcher Heiligen feiern, die wirklich von allgemeiner Bedeutung sind". Paul VI. nahm diesen Auftrag an. "Die Namen einiger Heiliger wurden aus dem allgemeinen Kalender entfernt", meldete er 1969 Vollzug. Damit sei der neue allgemeine Kalender "in größerem Einklang mit der Frömmigkeit und den Bedürfnissen unserer Zeit".

Der heilige Georg
Bild: ©Fotolia.com/Lakhtika

Der heilige Georg tötet einen Drachen.

Der subtile Unterschied zwischen Heiligen, die nur noch eine regionale Bedeutung haben sollten, und der Aufnahme in den Generalkalender der weltweiten Kirche, wurde in der Öffentlichkeit nicht gemacht. Was bei vielen Menschen ankam, war der Eindruck einer Streichorgie im Himmel, einer Abschaffung von Heiligen. Sollten der heilige Valentin, der Patron der Liebenden, oder Christophorus plötzlich keine Heiligen mehr sein? Sie gehörten nämlich zu den Heiligen, bei denen die Grenze zwischen Geschichtlichkeit und Legende nicht ganz klar ist. Gab es sie wirklich?

Die Streichung aus dem Generalkalender hatte zwar auch solche historischen Erwägungen im Hintergrund; ein Verbot oder eine Abschaffung gab es aber auch für diese Heiligen nicht. Und tatsächlich darf im deutschen Sprachraum weiterhin zum Beispiel Christophorus (24. Juli) liturgisch an seinem Gedenktag begangen werden, auch wenn besonders bei ihm unklar ist, wie viel historische Wahrheit in der Geschichte des Christus-Trägers steckt.

"Nichts als Namen, über die wir nichts wissen"

Das Echo war dennoch vernichtend. Die New York Times titelte am 10. Mai 1969 mit einer Christophorus-Medaille illustriert: "200 katholische Heilige verlieren ihre Festtage". 46 Heilige zweifelhaften historischen Ursprungs zählt die Zeitung, die nicht mehr im Generalkalender vorkommen, dazu kommen ungezählte "Gefährten" unklarer Historizität. Außerdem 44 römische und 82 nicht-römische Märtyrer, fünf Kirchenstifter und 23 Päpste. Manche dieser Heiligen im alten Kalender seien "nichts als Namen, über die wir nichts wissen", erläuterte der Liturgiewissenschaftler Pierre Jounel, der an der Ausarbeitung des neuen Kalenders beteiligt war, gegenüber der Zeitung.

Auch für ökumenische Verstimmungen sorgten die Änderungen. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Alexandria zeigte sich sehr verstimmt, dass Georg, Nikolaus und Katharina im Kontext der Streichungen erwähnt wurden. Georg, der Drachentöter, wird in den orthodoxen Kirchen als Erzmärtyrer verehrt. Heute steht er im Generalkalender an seinem angestammten Termin, dem 23. September, wie auch Nikolaus von Myra (6. Dezember), die Märtyrerin Katharina von Alexandrien wurde 2002 neu in den Generalkalender mit dem Datum 25. November aufgenommen.

Katharina von Alexandrien auf einem Caravaggio-Gemälde
Bild: ©picture alliance/akg-images

Das Gemälde von Caravaggio zeigt die Märtyrerin Katharina von Alexandrien (3. und frühes 4. Jahrhundert) wie üblich mit dem gebrochenen Rad abgebildet, das ihr Folterwerkzeug gewesen sein soll.

Nicht nur Streichungen führten zu Aufruhr, auch ein anderes Organisationsprinzip griff ins Leben vieler Menschen ein: Einige Gedenktage wurden verlegt, weil künftig der Grundsatz gelten sollte, dass der Gedenktag grundsätzlich mit dem Sterbetag zusammenfallen soll. Andere wurden aus der Fasten- und Adventszeit verschoben, um Platz für die geprägten Jahreszeiten zu machen. Vor allem in Gegenden, wo der Namenstag eine große Bedeutung hat, zuweilen eine größere als der Geburtstag, sorgte das für große Umstellungen in höchst persönlichen Angelegenheiten. Wer als Heribert bisher am 16. März gefeiert hatte, beging seinen Namenstag nun statt im Frühling im Hochsommer im 30. August, wie auch Monikas vom Mai in den August wanderten. Wer auf Klara von Assisi getauft wurde, musste den Namenstag immerhin nur um einen Tag versetzt feiern, statt am 12. am 11. August.

Mehr Weltkirche im Generalkalender

Ziel der Kalenderreform war nicht nur die Reduktion aufs Wesentliche und ein größerer Fokus auf die Geschichte. Ziel sollte auch sein, die beim Konzil neu entdeckte Universalität der Kirche und die Weltgegenden im Heiligenkalender besser abzubilden. Nicht mehr nur Heilige aus angestammten christlichen Regionen sollten auftauchen, auch Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien sollten häufiger vertreten sein. Dafür standen neu aufgenommene Heilige wie der ugandische Märtyrer Karl Lwanga und seine Gefährten oder der peruanische Dominikaner Martin de Porres. Rein quantitativ blieb die Internationalisierung hinter den Zielen zurück: 126 europäischen Heiligen standen 8 afrikanische, 14 asiatische, 4 amerikanische und ein ozeanischer gegenüber.

Das nur teilweise eingelöste Versprechen eines internationaleren Heiligenkalenders machten die Nachfolger von Paul VI. gut: Vor allem Johannes Paul II., aber auch Franziskus haben eine beispiellose Zahl an Heiligen aus der ganzen Welt zur Ehre der Altäre erhoben und so die irdische Weltkirche auch in unserer Vorstellung vom Himmel präsent gemacht. Für den Generalkalender gab es seit Paul VI. auch nur noch eine Richtung: An größere Streichungen und Umgestaltungen hat sich seither kein Papst mehr getraut. Stattdessen haben neue Heilige und neue Feste ihren Weg in den Kalender gefunden. Der jüngste Zugang erfüllt alle Kriterien, die Paul VI. leiteten: Seit 2025 steht der Gedenktag der in Indien wirkenden und ohne Zweifel so historischen wie bedeutenden Heiligen Mutter Teresa im Generalkalender.

Von Felix Neumann