Schnellgericht gegen Vergewaltiger

Den anderen droht in einem Schnellverfahren die Todesstrafe – die auch Tausende Demonstranten in den vergangenen Wochen forderten. Der Vater der Studentin sagte seinem Heimatdorf im Bundesstaat Uttar Pradesh, dass "diese Monster gehängt werden" sollten.
Bischof kritisiert: Bei anderen Vergewaltigungen wird nicht gehandelt
Aber Indien ist ein Land der Widersprüche: Einerseits sind Vergewaltigungen auf dem Land Alltag, sexuelle Belästigung wird häufig als Kavaliersdelikt abgetan. In dem aktuellen Fall ist jedoch die Entrüstung groß, auch die Politiker stehen unter Druck und handeln. Dieser Tatendrang sei ein Einzelfall, kritisiert Bischof Felix Machado von Vasai nördlich von Bombay. Bei den Vergewaltigungen handele es sich um ein größeres Problem. Er erzählt Radio Vatikan von einem jungen Mann in Bombay, der umgebracht worden sei, als er einige Mädchen verteidigen wollte, die vergewaltigt wurden. "Hier hat der Staat nichts unternommen, der Fall wurde sofort vergessen", berichtet Machado.
Er spart nicht mit Kritik an dem Staat im Fall der vergewaltigten Studentin: "In diesem speziellen Fall liegt die Schuld nicht nur bei denen, die Gewalt ausüben, sondern auch bei der Gesellschaft, die den Wert des Lebens einer Frau oder eines Mädchens gering schätzt." Für Machado ist klar, was solche Taten auf dem Subkontinent begünstigt. Der Bischof nennt zum einen die Rolle der Polizei, die in Indien von weiten Teilen der Bevölkerung vergleichsweise wenig respektiert werde. "Dann gibt es die kriminellen Netzwerke und natürlich die Kinder der Reichen – die oftmals von der Polizei gedeckt werden – die diese Art von Verbrechen begehen, ohne in irgendeiner Weise bestraft zu werden."
Ethische und kulturelle Entwicklung fehlt
Mit dem rasanten wirtschaftlichen Boom in dem Land scheint keine kulturelle Entwicklung einherzugehen. "In Indien leben die Familien unter dem Druck der Globalisierung, die Kinder haben oft keine Erziehung in Werten oder Ethik. Die Welt dreht sich um den Konsum und einen moralischen Relativismus", sagt der katholische Oberhirte. Als Konsequenz lehne die Kirche auch die Todesstrafe für die angeklagten mutmaßlichen Täter, sowie eine mögliche Gesetzesänderung ab. Der aktuelle Vergewaltigungsfall sei so voller Emotionen, dass er Angst habe, vor gedankenlosen Gesetzen, "die gegen jede Moral sind und auch gegen das, was die Kirche lehrt".
Das Ende der fortwährenden Diskriminierung von Frauen in Indien müsse sich das Land als nächstes Ziel vornehmen, forderte unterdessen der Vorsitzende der Indischen Bischofskonferenz, Kardinal Oswald Gracias. "Die indische Gesellschaft braucht endlich eine Anerkennung der Gleichstellung von Mann und Frau", sagte er Radio Vatikan. Man müsse generell darüber nachdenken, weshalb es zu solchen Vergewaltigungen wie jener in Neu-Delhi kommen könne. Es bedürfe eines Bewusstseinswandels, um den verlorenen "Sinn für Ethik, Moral sowie den Respekt vor der Würde des Menschen" wiederzugewinnen, sagte der Kardinal.
Kirche fordert Ende der Diskriminierung von Frauen
Zugleich verwies der Erzbischof von Bombay auf Initiativen der katholischen Kirche in Indien zur Stärkung der Rechte von Frauen. Denn in dem Land, das auch mächtige Politikerinnen wie Indira Ghandi hervorbrachte, beginnt Frauenfeindlichkeit oft schon vor der Geburt, wenn weibliche Föten gezielt abgetrieben werden. Mit den wochenlangen Protesten scheint aber ein erster Schritt getan zu sein: Die Menschen erkennen die Tatsache, dass ihre Gesellschaft eine frauenverachtende ist, und sprechen dies aus.
Von Agathe Lukassek