Müssen Kinderbücher politisch korrekt sein?

Das große Aufräumen

Veröffentlicht am 15.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Meinung

Stuttgart ‐ Zimperlich geht es in den Geschichten nicht gerade zu. Da wird ein ungeborenes Kind gegen einen Bund Feldsalat an eine Zauberin aus der Nachbarschaft verschachert. Eine alte Frau macht sich daran, einen von ihr gemästeten Jungen zu schlachten und zu kochen, und einer Tochter werden von ihrem Vater beide Hände abgeschlagen, weil er sich vor dem Teufel retten will. Wer die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm liest oder sie vorgelesen bekommt, sollte schon etwas härter im Nehmen sein.

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Grausamkeit gehört in den Märchen zum Alltag, das verschlagene Böse steht stets bereit, dem schwächelnden Guten den Garaus zu machen. Im Gefolge der Studentenbewegung forderten vermeintlich fortschrittliche Pädagogen deshalb, die grimmschen Märchen aus den Kinderzimmern zu verbannen. Ihnen wurde vorgeworfen, Gewalt als Lösung für nahezu sämtliche Konflikte anzubieten.

Die aus heutiger Sicht eher skurrile Diskussion über den Wert oder Unwert von Märchen wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erst beendet, als Wissenschaftler wie der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim kategorisch erklärten: "Kinder brauchen Märchen." Die uralten Geschichten könnten ihnen helfen, "das Chaos in ihrem Unbewussten zu bewältigen."

Nun scheint wieder die Zeit gekommen zu sein, unseren Nachwuchs vor Anfechtungen durch Literatur zu bewahren. Familienministerin Kristina Schröder, die durch ihre Bemerkung, Gott könne auch Neutrum sein, nicht nur bei konservativen Christen für Aufregung sorgte, enthüllte im selben Interview, sie würde auf politisch korrekte Begriffe achten, wenn sie ihrer Tochter vorlese. Ein Wort wie "Negerkönig" im Klassiker "Pippi Langstrumpf" käme ihr nicht über die Lippen, damit ihr Kind später solche Begriffe nicht etwa unbedacht übernehme.

Bild: ©katholisch.de

SWR-Journalist Uwe Bork

Verständlichkeit als Maßstab

In eine ähnliche Kerbe schlägt der zum schwedischen Medienkonzern Bonnier gehörende Thienemann Verlag. Das Unternehmen, das unter anderem die Bücher von Michael Ende herausbringt, will nun die altbekannte "Kleine Hexe" von Otfried Preußler sprachlich modernisieren.

Eine Faschingsszene soll dort nach einer Mitteilung des Verlages beispielsweise so verändert werden, dass das Wort "Neger" verschwindet, indem "eine andere, nicht ethnische Verkleidung gewählt wird." Der einst für das Putzen von Schuhen verwendete und heute eher sexuell belegte Begriff "wichsen" soll ebenfalls nicht mehr benutzt werden: "Wenn im Text steht, dass Kinder 'durchgewichst' werden," so der Verlag, "erscheint es uns sinnvoll, daraus 'verhauen' zu machen."

Gut so, möchte man rufen, macht unsere Bücher verständlicher! Selbst die Bibel wird ja immer wieder neu übersetzt, um ihre Lesbarkeit zu erhalten. Warum also mit Kinderbüchern anders verfahren?

In der Tat, Kinder müssen verstehen, was sie lesen oder was ihnen vorgetragen wird. Gerade in der Literatur für die Kleinen und Kleinsten ist Verständlichkeit ein hoher Wert; sie – und nur sie – darf allerdings der Maßstab für Neueditionen sein. Dass es die zehn kleinen Negerlein aus dem Abzählreim so nicht mehr gibt und hoffentlich auch nie gegeben hat, sollten allein verantwortungsbewusste Eltern und nicht Verlage unserem Nachwuchs klarmachen.

Nachweis: Beim ersten erwähnten Märchen handelt es sich um "Rapunzel", das zweite ist natürlich '"Hänsel und Gretel" und das dritte das eher unbekannte "Das Mädchen ohne Hände".

Von Uwe Bork

(Uwe Bork ist Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks)