Der Kairoer Großimam Ahmed al-Tayyeb besucht Deutschland

Brückenbauer im Namen Allahs

Veröffentlicht am 16.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Burkhard Jürgens (KNA) – Lesedauer: 
Interreligiöser Dialog

Bonn ‐ Ahmed al-Tayyeb ist der einflussreiche Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität. In diesen Tagen ist der 70-Jährige in Deutschland unterwegs. Bei Terminen in Berlin und Münster geht es um das Friedenspotential des Islam.

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Für privates Sentiment dürfte dieser Tage jedoch wenig Raum seien. Auf dem Programm al-Tayyebs stehen stattdessen Vorträge vor Abgeordneten in Berlin und Wissenschaftlern in Münster, bevor er in den Vatikan weiterreist. Der Großimam wirbt für religiösen Dialog. Aber es geht auch um Politik.

Der 70-jährige Theologe und Philosoph aus Oberägypten gilt als moderat und bedächtig. Persönlich steht er dem Sufismus nahe, einer innerlichen, auf Askese und Meditation bedachten Form des Islam. Seine wissenschaftliche Laufbahn führte ihn nach dem Studium an der Al-Azhar nach Riad, Islamabad, Katar und auch an die Sorbonne nach Paris. Das spricht für eine gewisse Weltläufigkeit. In seinem Amt als Großimam schaffte es al-Tayyeb allerdings erst einmal nach Europa - das war vergangenen Juni, auf Vermittlung der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio zu einer interreligiösen Tagung in Rom.

"Konferenz der Weltreligionen" in Münster

Jetzt hat ihn die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, näherhin das von Mouhanad Khorchide geleitete Zentrum für Islamische Theologie, eingeladen. Der Titel Münsters als Friedensstadt von 1648 gibt das Thema vor: Al-Tayyeb nimmt am Mittwoch - nach einem Vortrag vor Bundestagsabgeordneten und Vertretern aus Religion und Wissenschaft über das "Friedenspotenzial des Islams" am Dienstag - in Münster an einer "Konferenz der Weltreligionen" teil.

Darin deutet sich auch ein versöhnlicher Kurs gegenüber dem westlichen Christentum an. Einen 1998 begonnenen Austausch der Al-Azhar-Universität mit dem Vatikan hatte al-Tayyeb Anfang 2011 auf Eis gelegt, weil er die Kritik des damaligen Papstes Benedikt XVI. (2005-2013) nach einem Anschlag auf eine Kairoer Kirche als unangemessen und als Einmischung in nationale Angelegenheiten bewertete.

Mouhanad Khorchide lehrt Islamische Theologie an der Uniersität Münster.
Bild: ©picture alliance / dpa

Der münstersche Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide hat Großimam Ahmed al-Tayyeb nach Deutschland eingeladen.

Nicht dass al-Tayyeb keine Sympathie für Christen hätte: Die Worte Jesu in der Bergpredigt hätten ihn zu Tränen gerührt, bekannte er einmal. Als islamistische Terroristen Anfang 2015 in Libyen 21 koptische Christen ermordeten, nahm der Großimam an der Trauerfeier in der Markus-Kathedrale in Kairo teil. Terror mit Koranversen zu legitimieren, nannte er schon früher eine "Perversion der islamischen Religion". Der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" erklärte er: "Ich glaube fest, dass die religiöse, ethische und kulturelle Freiheit ein heiliges Gesetz ist."

Die Al-Azhar mit ihrer mehr als 1.000-jährigen Geschichte wird gern als führendes Lehrinstitut des sunnitischen Islam bezeichnet, und die Sunniten stellen den überragenden Teil der weltweit 1,6 Milliarden Muslime. Das rückt den Großimam scheinbar in die gleiche Liga mit dem Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken. Doch anders beim Papstamt ist mit der Leitung der Al-Azhar keine höchste Lehr- und Disziplinargewalt verbunden: Es ist Ägyptens Präsident, dem der Scheich-al-Azhar seinen Posten verdankt. Seine Autorität beruht auf der Zustimmung der muslimischen Gemeinschaft.

Spirituelle Gemeinsamkeiten mit Papst Franziskus

Darin liegen Herausforderung und Stärke al-Tayyebs: Unabdingbar ist ein Talent zum Moderieren und Ausbalancieren der Kräfte; es gilt, extreme Interpretationen des Islam niederzuhalten, die der Regierung zuwiderlaufen, und den Rückhalt des konservativen islamischen Mainstream zu sichern. Letzteres wird nicht einfacher: Haben die Sunniten schon seit jeher keine klerikale Struktur wie die Schiiten, so fördern jetzt noch TV-Prediger und das Internet eine Dezentralisierung der Lehre.

Auf spiritueller Ebene dürfte al-Tayyeb mit Franziskus manches gemein haben: Anspruchslosigkeit im Materiellen, Sinn für die Würde der Armen, einen persönlichen Auftrag zu Frieden und Versöhnung. Es mögen aber auch die Zeitumstände sein - die Krise Ägyptens, die politische Konstellation im Nahen Osten, die Machtverschiebungen innerhalb der muslimischen Weltgemeinschaft -, die den Großimam mehr denn je zum
Brückenbauer werden lassen.

Aktuell: Großimam ruft zum Einsatz für den Frieden auf

Ahmed al-Tayyeb hat im Bundestag zum gemeinsamen Einsatz für den Frieden aufgerufen. Muslime wie Nicht-Muslime sollten gemeinsam jeglichen Extremismus und Terrorismus bekämpfen, um "dieser schrecklichen Epidemie Herr zu werden", sagte al-Tayyeb am Dienstagabend. Es seien in erster Linie die Muslime, die den Preis des Terrors bezahlten. Der Gelehrte mahnte einen Dialog zwischen den Religionen an. Dabei zitierte er die Aussage des Theologen Hans Küng: "Kein Frieden zwischen den Nationen, ohne Frieden zwischen den Religionen." Al-Tayyeb betonte die enge Verbindung der monotheistischen Religionen. Der Islam sei keine Religion des Krieges und des Schwertes, sondern glaube, dass Gott seine Barmherzigkeit für alle Menschen gelten lasse. Der Dschihad als äußere Gewaltanwendung sei nur im Falle der Verteidigung gerechtfertigt. Al-Tayyeb dankte dabei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Nahen Osten. (KNA)
Von Burkhard Jürgens (KNA)