Von Kloster zu Kloster zu Kloster

Sie laufen nach Santiago, Jerusalem und Rom: Pilger machen sich schon Jahrhunderte auf den Weg zu Heiligen Stätten. Und seit Hape Kerkeling wandern noch mehr Menschen, um den Glauben oder sich selbst zu finden. Im September ist ein neuer Weg dazu gekommen: Der Klostersteig im Rheingau verbindet sechs Klöster entlang des Rheins. Er führt idyllisch durch Wälder und an Weinreben vorbei. Am Sonntag wird der Klostersteig im Kloster Marienthal offiziell eröffnet.
Von Menschen mit Handicap gestaltet
Den Abschluss des Klostersteigs bildet die Marienkirche in Aulhausen. Die Kirche ist Teil eines ehemaligen Zisterzienserinnenklosters, das im Jahr 1189 dem Kloster Eberbach unterstellt wurde. Sie liegt auf dem Gelände des Vincenzstiftes in Aulhausen, wo heute behinderte Menschen leben und zur Schule gehen. Das schlichte und einfache Gebäude wurde 2010 vollständig saniert und ist deutschlandweit das einzige Gotteshaus, das Menschen mit Handicap gestaltet haben.
Idyllisch gelegen: Das Kloster Eberbach.
"Als die Marienkirche fertig wurde, überlegte ich, was ich für die Kirche tun könnte", erklärt Caspar Söling, Direktor des Vincenzstiftes. "Eines Tages fuhr ich mit dem Mountainbike im Wald und kam abends im Wallfahrtsort Marienthal heraus. Ich hörte nichts, nur das Rauschen des Bachs." Daraufhin kam Söling der Gedanke an einen Wanderweg, der sechs der ursprünglich zwölf Rheingauer Klöster verbindet.
Nach vielen bürokratischen Hürden wurde der Steig schließlich als Parallelweg des Rheinsteigs mit 100 Wegweisern beschildert. "Die Marienkirche ist nicht nur der Abschluss der Route, sondern sie zeugt auch von unserer Präsenz", sagt Söling. "So etwas wird man nirgends finden. Im Zeitalter der Inklusion wollen wir die Gesellschaft hier herbringen". Auch diesem Ziel solle Wanderweg dienen.
Steile Hänge, sonnendurchflutete Weinberge und historische Bauten: Im Rheingau verbinden sich Natur, Wein und Genuss in malerischen Landschaften. In den Orten, die die Wanderwege streifen, laden Straußwirtschaften mit eigenen Weinen und kleinen Speisen zum Verweilen ein. Mit dem neuen Wanderweg sollen nun auch die spirituellen Wurzeln der Gegend herausgestellt werden. Er ist aber nicht nur etwas für Katholiken, sondern für alle Menschen, die sich darauf einlassen wollen.
Mit einer Länge von 30 Kilometern und 800 Höhenmetern ist der Klostersteig anspruchsvoll. Er kreuzt mehrfach den Rheinsteig, der von Wiesbaden nach Bonn führt. Start ist am ehemaligen Zisterzienserkloster Kloster Eberbach das als Drehort des Films "Der Name der Rose" mit Sean Connery auch über die Kirche hinaus bekannt wurde. Heute kann das Kloster mit einer Buslinie von dem nahen Städtchen Eltville erreicht und täglich besichtigt werden. In Eberbach ist auch der offizielle Pilgerpass kostenfrei erhältlich. Für jedes Kloster haben die Initiatoren einen Stempel gestaltet, den die Wanderer auf ihrem Weg sammeln können.
Der erste Abschnitt von Kloster Eberbach bis zu dem Weinort Johannisberg gilt als der schwierigere. Der Weg führt größtenteils durch Weinberge, die von kurzen Waldstücken abgelöst werden. Es gibt auch die Gelegenheit, die Schlosskirche Johannisberg zu besichtigen, die Teil eines ehemaligen Benediktinerklosters ist. Geweiht wurde die Kirche dem Heiligen Johannes dem Täufer. Da Schloss und Kirche im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurden, sind einige Teile der Basilika später neu errichtet worden.
Auf dem zweiten Teil des Weges liegen auf nur fünf Kilometern drei große Klöster beieinander: Das Kloster Marienthal, das Kloster Nothgottes und die Abtei St. Hildegard. Diese kurze Distanz der Klöster zueinander ist einmalig in Deutschland. Der Weg führt weg von den Weinbergen mit Rheinblick und in ein schattiges Tal mit einem Bachverlauf, das zum Ausruhen einlädt. Der Kreuzweg, der durch einen Park um das Kloster Marienthal führt, wird ganzjährig von Wallfahrern besucht.
An der Abtei St. Hildergard bietet sich ein wunderschöner Blick auf Weinberg, der Rhein ist im Hintergrund.
Durch den Wald gelangen die Wanderer an das frühere Kapuzinerkloster Nothgottes, in dem heute vietnamesische Zisterzienser leben. Die Abtei St. Hildegard, die auf eine Gründung der heiligen Hildegard zurückgeht, erreicht man auf einem Weg, der sich durch Weinberge schlängelt. Hildegard hatte um 1136 das Eibinger Augustinerkloster übernommen und weiter unten am Berg ein Benediktinerinnenkloster gegründet. Es wurde während der Säkularisierung aufgelöst und rund 100 Jahre später auf der Anhöhe neugegründet. Im Klosterladen bieten die Ordensschwestern selbst hergestellten Wein, Dinkelprodukte sowie eine große Buchauswahl an. Das neu eingerichtete Café lädt die Abteibesucher zu einem kleinen Mittagessen und selbst gebackenem Kuchen ein.
Ein Kreuz aus Reben als Belohnung
Von Eibingen reicht der Blick über den gesamten Rheingau. Das Schloss Johannisberg ist auf seiner Anhöhe nochmals sichtbar. Über Rüdesheim und den Rhein erblickt der Wanderer die Stadt Bingen und ihre Rochuskapelle. Das letzte Stück führt nochmals durch dichte Wälder und lässt die Wanderer an vielen Stellen mit sich allein. Wenn sie alle Stempel zusammen haben, erhalten die Pilger am Ende des Weges das Eberbacher Kreuz: ein kleines Kreuz aus Reben, das in den Werkstätten des Vincenzstiftes gefertigt wird.