Die Beter von St. Peter

Was ein so paar hundert Höhenmeter doch ausmachen können! Wer es bis auf den Lindenberg im südlichen Schwarzwald geschafft hat, kann sich dem Himmel schon ein gutes Stück näher fühlen. Und das nicht nur, weil hier ein spektakulärer Rundblick auf Feldberg und Kandel lockt. Auf dem 720 Meter hohen Rücken zwischen den wohl nur Einheimischen bekannten Tälern von Eschbach und Ibenbach sorgt auch eine Wallfahrtskapelle seit Jahrhunderten für eher spirituelle Perspektiven.
Heute predigt in der 11-Uhr-Messe der Lindenberger "Hausgeistliche" Albert Eckstein scheinbar aktuell über das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Nicht wenige seiner zahlreichen Zuhörer in den Kirchenbänken dürften bei seinen Worten an den ebenfalls großen Unterschied zwischen ihrem Leben und dem der Menschen denken, die in diesen Monaten aus Not und Verfolgung nach Deutschland fliehen. Wenn ihnen solche zum Teil sicher auch selbstkritischen Gedanken kommen, liegt das nicht nur an der Redekunst des schlanken Pfarrers im goldgeschmückten Altarraum, der Lindenberg ist überhaupt ein idealer Ort für mehr oder minder fromme Denkübungen, denn nach einer Marienerscheinung vor rund fünfhundert Jahren ist die weiße Kapelle zwischen den grünen Wiesen ein bekannter Wallfahrtsort des Dreiländerecks am Oberrhein.
Adenauer als Auslöser der Anbetung
Seinen jüngsten Aufschwung nahm dieses traditionelle Ziel andächtiger Pilger im Jahr 1955 allerdings nicht wegen einer neuerlichen Erscheinung der Gottesmutter. Vielmehr war es eine schwierige Reise des damaligen Bundeskanzlers, die ihm zusätzliches Gewicht gab. Konrad Adenauer war im September nach Moskau gefahren, weil die sowjetische Regierung mit ihm über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhandeln wollte. Eine Gruppe von Männern aus dem Erzbistum Freiburg begleitete diese Mission mit ihren Gebeten und - wie alle Deutschen - waren auch die Beter beglückt, als Adenauers Gespräche mit der Freilassung der letzten knapp 10.000 deutschen Kriegsgefangenen endeten.
Rubrik: Unsere Gebete
Wir beten, weil wir Gott danken möchten. Aber auch, weil wir ihn um Hilfe in Notsituationen und Lebenskrisen bitten dürfen. Katholisch.de stellt zentrale Gebete vor.Mag dieser humanitäre Erfolg nun auf der glaubensstarken Begleitung im deutschen Südwesten beruhen oder eher auf das Verhandlungsgeschick des fast 80-jährigen Kanzlers zurückzuführen sein - festzuhalten ist, dass seither auf dem Lindenberg oberhalb der Gemeinde St. Peter gebetet wird. Ununterbrochen. Zu sogenannten "Männergebetswachen" kommen nach wie vor rund 1.000 Männer pro Jahr an diesen Ort, um in ein- oder zweistündigen Schichten rund um die Uhr für den Frieden in der Welt zu beten.
In dieser Woche ist es eine Gruppe aus dem badischen Steinach, die von Samstag bis Samstag den vor mehr als sechzig Jahren geknüpften Faden der Gebete nicht abreißen lassen will. Ihr "Obmann" ist der 79-jährige Konrad Dold, der 1996 zum ersten Mal auf den Lindenberg pilgerte und seit seiner Pensionierung nun jährlich nach St. Peter kommt: "Es gab damals zwei Männer, die schon jahrelang zur Gebetswache gingen. Einer davon hat mich eingeladen, einmal mitzukommen, und als ich oben auf dem Berg war, war ich sofort gefesselt."
Diese Faszination hat den Mann mit dem schütter gewordenen grauen Haar und der dünnen Metallbrille allerdings nicht völlig verändert. Im Gegenteil: Der ehemalige Gemeindebeamte geht das Beten mit seinen Männern so systematisch an wie früher seine Arbeit im Rathaus: "Wir sind sieben Kleingruppen. Es sollten immer mindestens zwei sein, und mehr als vier ist auch nicht praktisch. Für diese Gruppen gibt es einen genauen Plan, wer wann Anbetung hat. Ich habe Stundenzettel vorbereitet, da stehen die Gebete drauf, da stehen die Lieder drauf, und jetzt braucht niemand mehr lange zu suchen."
Konrad Dold pilgerte 1996 zum ersten Mal auf den Lindenberg und kommt seit seiner Pensionierung nun jährlich nach St. Peter.
Um persönliche Anliegen geht es bei diesen Gebeten ohnehin nicht, die bleiben dem privaten Zwiegespräch mit Gott vorbehalten. "Wir beten um die Anliegen der Zeit und den Frieden in der Welt", erklärt Konrad Dold die große Linie der Gebetswachen und liefert gleich auch noch einen strengen Tagesablauf nach: "Es geht los in der Gemeinschaft mit dem Rosenkranz um Sieben, anschließend ist Stundengebet, dann Frühstück und um Zehn kommt Pfarrer Eckstein für einen Vortrag und Gespräche. Um Elf ist Gottesdienst, danach gibt's Mittagessen und hinterher haben wir frei bis siebzehn Uhr, wenn wir vor dem Abendessen noch einmal Rosenkranz beten. Abends ist dann wieder frei, wenn man nicht mit seiner Gebetsgruppe dran ist."
"Die Stunden in der Nacht, die sind viel intensiver"
Klingt nach Stress, ist aber nicht so. Sagt zumindest Konrad Dold, der drei Gründe dafür nennt, warum er Jahr für Jahr immer wieder neu auf den Lindenberg kommt: "Da ist zunächst einmal natürlich die Gebetswache, zweitens die Gemeinschaft mit den Männern, miteinander zu reden und etwas zusammen zu unternehmen, und drittens aber auch die Landschaft, das Drumherum." Ein bisschen sei das Ganze wie Exerzitien, findet er, daran könne auch nichts ändern, dass es ganz schön hart sei, wenn man mitten in der Nacht raus müsse zur Zwei-Stunden-Schicht in der Kapelle: "Die Stunden in der Nacht, die sind viel intensiver. Da hat man viel mehr davon, weil es keine Einflüsse von außen gibt, die einen stören."
Im Moment allerdings ist diese ruhige Nachtschicht weit. Gerade hat Pfarrer Eckstein seinen Segen gesprochen, die tägliche Vormittagsmesse geht ihrem Ende entgegen. Die helle Frühlingssonne strahlt durch die Rundbogenfenster der Kapelle und taucht den Kirchenraum in warmes Licht. Konrad Dold steht mitten unter "seinen Männern" und schmettert auswendig das Schlusslied des Gottesdienstes in Richtung Altar. Paul Gerhardts Text klingt dabei, als hätte der Dichter nichts anderes als die Anliegen der Männergebetswache damit ausdrücken wollen: "Er lasse seinen Frieden ruhn, auf unserm Volk und Land; er gebe Glück zu unserm Tun und Heil zu allem Stand." Nicht mehr und nicht weniger als das wollen sie schließlich auch, die Beter von St. Peter.