Wie die Kirche mit Zwischengeschlechtlichkeit umgehen kann

Nur Mann und Frau?

Veröffentlicht am 27.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Intersexualität

Bonn ‐ Intersexuelle sollen sich demnächst nicht mehr zwischen "Mann" und "Frau" entscheiden müssen. Doch wie soll die Kirche damit umgehen? Hier kommen Vorschläge aus der Pastoral- und Moraltheologie.

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Für die Bibel scheint es klar zu sein: Der Mensch ist entweder Mann oder Frau. Heißt es doch im Buch Genesis: "Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie." (Gen 1,27) Doch es gibt Personen, bei denen die Zuordnung zu einem Geschlecht nicht eindeutig möglich ist. Intersexuelle haben Merkmale beider Geschlechter und sind daher weder Mann noch Frau, sondern befinden sich zwischen beiden.

Mit dieser Sonderstellung von Intersexuellen hat sich jüngst auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Die Karlsruher Richter beschlossen vor rund zwei Wochen, dass es zukünftig eben nicht nur männlich oder weiblich beim Eintrag ins Geburtenregister gibt, sondern auch eine weitere dritte Möglichkeit. Die Klage von Vanja, einer betroffenen Person, stellt einen Erfolg für die Intersexuellen dar, die unter dieser Einschränkung gelitten haben. Ihre Situation rückte durch das Urteil in die breite Öffentlichkeit.

„Die Kirche hat bislang zu sehr in zweigeschlechtlichen Bahnen gedacht.“

—  Zitat: Susanne Andrea Birke

In der Kirche ist Intersexualität indes kein Thema. Noch nicht. Es gibt keine lehramtlichen Aussagen über die Zwischengeschlechtlichkeit und im theologischen Standardwerk, dem Lexikon für Theologie und Kirche, findet man zwar Einträge zu Homosexualität und Transsexualismus, einen Eintrag unter dem Stichwort Intersexualität sucht man jedoch vergebens. Zudem hat bislang kein deutsches Bistum einen offiziellen Seelsorger für Intersexuelle ernannt. Anders in der Schweiz: Im Bistum Basel gibt es seit etwas mehr als einem Jahr den Arbeitskreis Regenbogenpastoral. Er ist die pastorale Anlaufstelle eben nicht nur für homo-, bi- und transsexuelle Menschen, sondern auch für Intersexuelle.

Bild: ©privat

Susanne Andrea Birke ist Theologin und arbeitet im Aargau in der kirchlichen Erwachsenenbildung. Sie ist Mitglied des Arbeitskreises Regenbogenpastoral im Bistum Basel.

"Auch die Kirche hat bislang zu sehr in zweigeschlechtlichen Bahnen gedacht", sagt Susanne Andrea Birke, die dem Arbeitskreis angehört, der im offiziellen Auftrag des Basler Bischofs Felix Gmür gegründet wurde. "Überall dort, wo nur an zwei Geschlechter gedacht wurde, muss man nachbessern und in der Kirche Raum für intersexuelle Menschen schaffen", fordert die deutsche Theologin, die seit mehr als 25 Jahren in der Schweiz lebt. Von den Betroffenen weiß sie, dass sich Intersexuelle bei sexueller Diskriminierung Unterstützung von kirchlicher Seite erhoffen. Um dieses Ziel zu erreichen, will der Arbeitskreis innerhalb der Kirche für das Thema Intersexualität sensibilisieren. "Es ist noch zu wenig Wissen über Menschen zwischen den Geschlechtern in der Kirche vorhanden", beklagt Birke. Aufklärungsarbeit sei daher sehr wichtig.

Intersexuelle hätten in den letzten Jahrzehnten viel Leid erlebt, etwa durch die Operationen, die auch heute noch oft bei intersexuell geborenen Babys zur Zuweisung eines bestimmten Geschlechts oder aus sogenannten kosmetischen Gründen durchgeführt werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Regenbogenpastoral soll die Arbeit mit Eltern sein, deren Kinder weder Jungen noch Mädchen sind. Auch Fortbildungen in der Krankenhausseelsorge sind angedacht. Das wichtigste sei jedoch das Zugehen auf die Community.

Große Betroffenheit im Basler Bischofsrat

Im Basler Bischofsrat gebe es eine große Betroffenheit beim Thema Intersexualität, erzählt Birke. "Die Bistumsleitung steht hinter der Regenbogenpastoral als Ganzes, allerdings habe ich an der Basis sehr wohl auch negative Reaktionen, beziehungsweise auch diskriminierende Äußerungen von einem Priesterkollegen bei Fragen der Homosexualität erlebt. Dennoch herrscht vielerorts große Offenheit und werden die Anliegen schon lange mitgetragen."

Ein Blick auf den Schweizer Bischof Vitus Huonder zeigt, wie tief Vorbehalte gegen Homosexuelle auch im Klerus vorhanden sind: Der Churer Bischof war vor zwei Jahren von einem Schwulenverband angezeigt worden, weil er in einem Vortrag homosexuelle Handlungen verurteilt hatte. Huonder hatte sie als "Gräueltaten" bezeichnet, die "mit dem Tod bestraft" werden müssten. Das Verfahren gegen ihn wurde schließlich eingestellt, doch ein Imageschaden für die Kirche blieb.

„Kann die Kirche länger daran festhalten, dass es eine intime Liebesbeziehung nur zwischen Mann und Frau geben darf?“

—  Zitat: Stephan Goertz

Intersexualität ist bislang in der katholischen Kirche nicht auf der Bildfläche. Vermutlich deshalb nicht, so der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz, weil man befürchte, die humanwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Geschlechtsidentität könnten mit überlieferten Vorstellungen vom Zusammenleben der Geschlechter kollidieren. "An der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen, die auch der biblische Schöpfungsbericht voraussetzt, muss nicht grundsätzlich gerüttelt werden. Aber wir wissen, dass es in wenigen Fällen davon abweichende Zwischenformen gibt, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen", so Goertz. Intersexuelle hätten das Recht, in dieser ihrer natürlichen geschlechtlichen Besonderheit anerkannt zu werden – auch von der Kirche. Der Zwang zur Eindeutigkeit habe viel Leid produziert.

Stephan Goertz im Porträt
Bild: ©Maja Goertz

Stephan Goertz ist Professor für Moraltheologie an der Universität Mainz.

Wenn das Geschlecht nicht klar bestimmbar ist, ergeben sich in letzter Konsequenz auch kirchenrechtliche Probleme. Die Sakramente der Eheschließung oder Weihe sind nicht möglich, da sie an ein eindeutiges Geschlecht gebunden sind. Ebenso ergibt sich bei der Taufe eine Schwierigkeit, denn die Täuflinge müssen auf einen Namen getauft werden. Diese sind in den allermeisten Fällen nur männlich oder weiblich. Von diesen Fällen sprach auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Zeit-Beilage "Christ und Welt". Er erwartet, dass sich die vatikanische Glaubenskongregation in der Zukunft mit Intersexualität auseinandersetzen wird. Denn immer mehr Staaten schaffen die Möglichkeit, dass ihre Bürger weder als Mann noch als Frau registriert werden.

Goertz mahnt eine theologische Weiterentwicklung an. "Wer an der binären Eindeutigkeit des Geschlechts festhält, der verweigert Intersexuellen die Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität. Da diese aber zum Kernbereich der Persönlichkeit eines Menschen gehört, berühren wir hier den Bereich der Menschenwürde. Kann die Kirche länger daran festhalten, dass es eine intime Liebesbeziehung nur zwischen Mann und Frau geben darf?" Dass sich der Vatikan zur Intersexualität äußert, erwartet Goertz auch in der nächsten Zeit nicht. Aber vielleicht meldeten sich Ortskirchen zu Wort, in denen etwa wie in Deutschland die Rechte von Intersexuellen gesellschaftlich längst diskutiert und anerkannt werden. Es sei Zeit für eine kirchlich konsistente Theologie und Ethik der Geschlechtlichkeit – und das auf dem Stand heutiger Erkenntnisse und im Dialog mit den Erfahrungen der Betroffenen.

Von Roland Müller

Linktipp: Was bedeutet das dritte Geschlecht für Weihe und Ehe?

Weder männlich noch weiblich: Künftig ist in Deutschland ein dritter Geschlechtseintrag im Geburtenregister möglich. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht daher Klärungsbedarf für die Sakramente.