Kolumne: Römische Notizen

Was der Papst zu Weihnachten seinen Leuten sagt

Veröffentlicht am 17.12.2018 um 13:10 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Am Freitag empfängt Papst Franziskus seine Mitarbeiter zur Weihnachtsaudienz. Wie viel Standpauke wird's denn diesmal sein?, so fragen sich Inhaber hoher Dienstgrade im Stillen. Gelassen sind die Leute vom Abteilungsleiter abwärts. Franziskus hat nämlich noch eine zweite adventliche Mitarbeiter-Audienz eingeführt. Da lobt er viel, sagt Nettes und streichelt Kinderköpfe.

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Der Advent war früher eine Fastenzeit. Das wird im Vatikan unter Papst Franziskus heute wieder klar, vor allem seinen ranghöchsten Mitarbeitern (und Mitarbeiterinnen, wie man jetzt hinzufügen darf: seit 2015 adressiert der Papst bei diesem Anlass tatsächlich die "Brüder und Schwestern" statt nur die "Brüder"). Denn bei seiner Weihnachtsaudienz für die Kurie fährt der Papst gern schwere Geschütze auf.

Mancher fliegt dieses Jahr früher nach Hause

2014 skizzierte er in einer berühmt gewordenen Rede 15 "Kurienkrankheiten", also innere Fehlentwicklungen bei Leitern päpstlicher Behörden. Die Krankheiten der mangelnden Selbstkritik, der Rivalität und der Eitelkeit, der Totengräbermiene, der Klüngelei, der Zurschaustellung und andere mehr. Im Jahr darauf kam der Papst mit einem Therapieplan, dem "Katalog der notwendigen Tugenden". 2016 benannte er drei Formen des Widerstands gegen die von ihm angestrebte Kurienreform: offenen, verdeckten und böswilligen Widerstand. Letztes Jahr zitierte Franziskus einen verflossenen Erzbischof mit dem Diktum, in Rom zu reformieren sei "wie die Sphinx von Ägypten mit einer Zahnbürste zu putzen", und er sprach von "Krebsgeschwüren", die aus einer "verwerflichen Mentalität von Verschwörungen oder kleinen Zirkeln" herauswüchsen.

Das ist starker Tobak. Nicht alle Kuriengrößen sind willens, so etwas zu rauchen. Deshalb wollen einige in diesem Jahr angeblich schon am Vortag in die Ferien abreisen, natürlich des günstigeren Fluges wegen. Andere sehen der Audienz in seufzender Abwehrhaltung entgegen, weglaufen sei ja auch keine Art. Wieder andere fühlen sich nur am Rande gemeint. Es gibt auch die, die sich den päpstlichen Beichtspiegel wirklich zu Herzen nehmen wollen. Aber ganz schön viele bescheinigen dem Papst aus Argentinien schlechten Stil und mangelndes Zartgefühl mit seinen engsten Mitarbeitern, die, wenngleich fehlbar, zumindest drei Tage vor Heiligabend ein Recht auf väterlichen Zuspruch hätten.

Bild: ©Charlotta Smeds

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Vatican News".

Wirklich kann man sich ja fragen, was Franziskus dazu bewegt, ausgerechnet zu dieser Zeit im Jahr eine so sperrige Suada vom Stapel zu lassen. Hat er das schon in Buenos Aires getan, wo Weihnachten weniger das Kuschelfest unserer Breitengrade ist, sondern den Beginn der Sommerferien markiert, wo Priester in fast schon Ferienlaune auch mal ein paar beherzte Orientierungen vom Chef ertragen? Welche Absicht verfolgt er mit seiner "Kardinalsbeschimpfung", seiner kollektiven Kopfwäsche an den Vorarbeitern im Weinberg des Herrn? Und warum erledigt er sie öffentlich?

Eines fällt mir beim Durchgehen der Weihnachtsansprachen sofort wieder auf: Das Anschwärzende daran herauszudestillieren ist, oje, journalistisch dankbar. Die Reden sind lang für einen wie Franziskus. Verdrießlich lang, wenn man nur ein Stündchen hat, um das Ganze in 2:20 Minuten oder 2.800 Zeichen zu gießen. Dafür gibt der Redetext Schlagzeilen her, dass es die helle Freude ist. "Papst liest Kurie die Leviten", "Papst geißelt Seilschaften im Vatikan", "Papst rechnet mit Kritikern ab", bitte, da tut sich was! Der markigen Zitate sind so viele, dass man sie in seinen 2.800 Zeichen nicht unterschlagen mag. Am Ende hat man mit dem Mittel der Auslassung eine handfeste Keule fabriziert. Ein archaisches Totschlaginstrument aus Franziskus-Zitaten. Eines, das sich übrigens auch gegen den Papst selbst richten lässt.

Ich fordere hiermit: Gerechtigkeit für die Weihnachtsansprachen an die Kurie von Papst Franziskus! Sie sind viel geistlicher, viel tiefgründiger, als wir Medienleute sie gerne zurichten, Schande über uns. Wer bei der Chef-rüffelt-Manager-Lesart stehenbleibt, missversteht diesen Papst und diese Reden aufs gründlichste. Wenn ich es recht sehe, hat Franziskus drei verschränkte Anliegen damit: Bekehrung, Reform und Führung.

Advent ist keine Kerzchen-Idylle, sondern eine Zeit christlicher Orientierung, und weil der Papst im Advent seine Führungsriege gesammelt empfängt, hat er diesen Termin gleichsam gekapert. Frühere Päpste ab Johannes XXIII. hatten den Kardinälen eine geistlich getränkte Jahresbilanz ihrer Aktivitäten vorgelegt, verbunden mit Dank für die brüderliche Zusammenarbeit. Diesen Dank spricht Franziskus, herzlich und witzig, jedes Jahr auch aus. Aber den Rest macht er anders. Er redet weniger über äußerliche Aktivitäten als über innere Haltungen. Er redet nicht von sich, obgleich er sich mitmeint. Er hält den Kardinälen keinen Vortrag, sondern er geht in sie hinein. Kurz, da betreibt ein alter Jesuit das Kerngeschäft seines Ordens: Exerzitien, geistliche Übungen. Die beginnen mit einer Gewissenserforschung. Und das ist, wozu er die Kurienchefs anhält. Forum und Form dafür sind allerdings ungewohnt, was selbst jüngere Kuriale irritiert. Der Papst nimmt das in Kauf.

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.

Denn Umkehr ist Voraussetzung der Reform, wie sie Franziskus vorschwebt. Strukturen ändern langt nicht, hat er oft gesagt, er wolle keine Köpfe rollen lassen, sondern Herzen verändern, das klärt er auch in der Weihnachtsansprache von 2016, die fast ganz dem Thema Reform gilt. Doch tritt der Papst seinen Kurienleitern nicht nur als Exerzitienmeister und Reformator entgegen, sondern auch als Vorgesetzter. Er lässt erkennen: "Hier leite ich. Wenn ich Widerstände benenne, dann um zu sagen: Ich sehe euch genau." Auch dieser ausdrücklich bekräftigte Führungsanspruch des Papstes verleiht den Kurienansprachen ihr Salz. Mit niemandem sonst redet Franziskus in dieser Tonart. Und viele sind das nicht gewohnt in ihrer Position und in ihrem Umfeld, einer höfisch-klerikalen Gesellschaft.

Die andere Weihnachtsansprache

Übrigens hat Franziskus 2015 eine neue Weihnachtsaudienz eingeführt. Sie gilt den einfachen Mitarbeitern. Der Papst empfängt uns am selben Tag wie seine Kurienchefs, aber nicht am selben Ort, für uns tut´s die Audienzhalle; dafür müssen wir nicht Talar tragen und dürfen unsere Familien anschleppen. Der Papst lobt uns für unseren Dienst, bittet uns, über andere nicht schlecht zu reden, und rät, wir sollen uns vor Weihnachten in der Beichte den Müll von der Seele reden, das tue einfach gut. Dann streichelt er unseren Kindern die Köpfe, segnet uns und wünscht ein frohes Fest. Heiter und unverblümt. Auch diese Weihnachtsansprache steht für Franziskus.

Von Gudrun Sailer