In der Corona-Krise verdeckt das Kleinklein den Blick auf den Nächsten

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Eucharistisches Fasten schmerzt, und je länger es anhält, desto stärker wächst die Sehnsucht nach dem Sakrament und nach einem Gemeindeleben. Darüber darf aber das große Ganze dieser Krise nicht aus dem Blick geraten.
Nicht auf uns selber zu schauen, sondern in Nächstenliebe auf die anderen, ist eine gute christliche Haltung. Als die Corona-Krise einsetzte und mit ihren massiven Einschränkungen unseren Alltag und unseren Sonntag zersetzte, reagierten manche, gerade religiös veranlagte Zeitgenossen mit einer Tendenz zum Auf-sich-selber-Schauen, mit einem eher wankelmütigen Verständnis für die Maßnahmen, das stellenweise in Unverständnis, ja Entrüstung umschlug. Eines ist klar, ein Mess-Verbot ist und bleibt eine Zumutung. Es widerspricht meinem verbrieften Recht auf Religionsausübung.
Allerdings: Viele Grundrechte sind in diesen Wochen beeinträchtigt. Nicht nur das Recht auf freie Religionsausübung, sondern auch das Recht auf Schutz der Privatsphäre. Das Recht auf Versammlungsfreiheit. Das Recht auf Bildung, das ich in meinem unmittelbaren Umfeld in Italien eindeutig untergraben sehe. Das Recht auf Bewegungs- und Reisefreiheit. Das alles ist unerhört. Einige ziehen Parallelen zu deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts (und legitimieren damit ihren Widerstand gegen staatliche Verordnungen zur Seuchenbekämpfung). Wer das tut, sollte aber auch sehen, dass die schweren Eingriffe in die demokratisch verbrieften Grundrechte dieser Tage in Deutschland nicht darauf zielen, Machtfantasien zu realisieren oder "lebensunwertes Leben" zu vernichten, sondern Leben zu schützen. Pragmatisch und ideologiefrei.
Wann wird die öffentliche Messe wieder erlaubt? Und wie? In Deutschland herrscht da ein föderaler Flickenteppich, während Hygienemaßnahmen in der Kirche Gegenstand breitester Erörterungen sind. Hostien per Mikrowelle sterilisieren? Messwein abkochen? Zelebranten mit Mundschutz? Fiebercheck am leeren Weihwasserbecken? Wie kleinteilig wird mancher Streit, manche Erregung sich im Rückblick ausnehmen! Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, das Kleinklein verdeckt die wichtigeren Fragen, das große Ganze der Folgen dieser Krise. Das Auf-die-Anderen-Schauen. Was ist mit dem Elend derer, die sich an den Rändern Europas in Zelten drängen? Was ist mit der Verzweiflung derer, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen? Und wenn in den nächsten paar Jahren breite Schichten verarmen, was ist mit der Wut, die sich ein Opfer suchen wird?
Papst Franziskus betet seit 9. März jeden Tag bei der Frühmesse für eine andere Gruppe von Menschen in der Pandemie. Die Kranken, die Sterbenden, die Ärzte, die Reinigungskräfte, die Polizisten, die Gefangenen, die Künstler, die Einsamen, die Lehrkräfte, die Familien auf engstem Raum, die Ordensfrauen, die im Krankendienst ihr Leben aufs Spiel setzen, die Häftlinge, die Medienleute, die Regierenden, die Forschenden, die Hungernden. Einmal betete er für Autoritäten, die unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen zu treffen haben. Und gestern betete er, mit Blick auf die schrittweise Lockerung von Quarantäneregeln, "um die Gnade der Vorsicht und des Gehorsams gegenüber Anordnungen, damit die Pandemie nicht zurückkommt." In Solidarität auf die anderen schauen.