Schönborn zu Johannes Paul II.: Ganz großer Papst – doch mit Schwächen
Ungeachtet mancher Schwächen sieht der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in Papst Johannes Paul II. (1978-2005) "einen der ganz großen Päpste". In einem ausführlichen Interview der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" zeichnet er ein differenziertes Bild des am 18. Mai vor 100 Jahren geborenen Papstes aus Polen und seiner langen Amtszeit. Neben den zahlreichen Verdiensten und Erfolgen Johannes Pauls II. thematisiert Schönborn auch die schwierigen Felder der Bischofsernennungen und des kirchlichen Missbrauchsskandals.
In den 70er und 80er Jahren sei die "nachkonziliare Krise" und die "Zerrissenheit" in der Kirche '"zwischen konservativ und progressiv" deutlich spürbar geworden, erinnert der Wiener Kardinal. Es habe einen "Kampf um jeden Bischofssitz" gegeben: "Kommt jemand Liberaler oder jemand Konservativer?" Auch Österreich habe diesen Konflikt intensiv erlebt, so Schönborn. Johannes Paul II. sei "ganz eindeutig ein Mann des Konzils" gewesen, aber auch geprägt durch Erfahrungen mit den beiden totalitären Regimen Nationalsozialismus und Kommunismus. Angesichts theologischer Entwicklungen, die ihm Sorgen gemacht hätten, habe der Papst "gegengesteuert" durch Bischofsernennungen, disziplinäre Maßnahmen und sein eigenes Lehramt.
Bischöfe habe Johannes Paul II. manchmal "an allen Institutionen oder allen Gremien vorbei" ernannt, sagte der Wiener Erzbischof. Das habe zu großen Bischofspersönlichkeiten wie dem Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini oder dem für Paris ernannten "jüdischen Kardinal" Jean-Marie Lustiger geführt - eine "charismatische Entscheidung" des Papstes, so Schönborn. Auch in Österreich habe der Papst direkt Einfluss genommen, und zwar "schmerzlich", so Schönborn. Der damalige Wiener Kardinal Franz König habe die Wahl Wojtylas sehr unterstützt und hatte nach Schönborns Worten die Zusage, er werde in die Entscheidung über seine Nachfolge einbezogen. Johannes Paul II. habe dann allerdings "vertikal" entschieden und ohne das gängige Auswahlverfahren Hans Hermann Groer ernannt. Groer musste später nach Pädophilie-Vorwürfen zurücktreten.
"Der Papst ist nicht unfehlbar mit Bischofsernennungen..."
Schönborn räumte ein: "Ich kann nur im Blick auf mich selbst sagen: Der Papst ist nicht unfehlbar mit Bischofsernennungen. Ich weiß selber, wie gebrechlich ich bin und wie viele Fehler ich habe." Auch Petrus sei ein Mann voller Schwächen gewesen, trotzdem habe ihn Jesus erwählt. Gleiches gelte für Johannes Paul II.: "Zweifellos hatte er Schwächen. Welcher Mensch hat sie nicht?" Zum Umgang Johannes Pauls II. mit den Missbrauchsskandalen in der Kirche sagte der Kardinal: "Er war mit dem Thema 'Missbrauch' irgendwie überfordert... Ich glaube, er war ein so lauterer Mensch, dass er sich das nicht vorstellen konnte."
Das Unterschätzen der sexuellen Missbrauchskrise war auch nach Einschätzung des Journalisten und Autors Matthias Drobinski der größte Fehler von Johannes Paul II. "Was diesen Papst im Kampf gegen die Kommunisten stark machte, führte im Umgang mit der sexuellen Gewalt in die Katastrophe", sagte Drobinski aus Anlass des Erscheinens seiner neuen Johannes-Paul-Biografie. "Unter dem Strich war für ihn eine starke, unverwundbare Kirche wichtiger als der Blick auf die Opfer", so Drobinski.
Papst Johannes Paul II. wurde am 18. Mai 1920 als Karol Wojtyla im polnischen Wadowice geboren. Er war vom 16. Oktober 1978 bis zu seinem Tod 26 Jahre und fünf Monate lang Papst der römisch-katholischen Kirche. Er starb am 2. April 2005 in seinen Privatgemächern in der Vatikanstadt. Am 1. Mai 2011 sprach ihn sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. in Rom selig, am 27. April 2014 wurde er von Papst Franziskus heiliggesprochen. Die Bischöfe seines Heimatlandes Polen streben an, dass Johannes Paul zum Kirchenlehrer und Patron Europas ernannt wird. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) würdigte den früheren Pontifex zu seinem bevorstehenden 100. Geburtstag und widmete ihm einen speziellen Gebetszettel sowie ein Themendossier auf ihrer Internetseite. (tmg/KNA)
