Pfarrer: Noch "tiefe Wunde" in Hanau sechs Monate nach Anschlag
In Hanau ist ein halbes Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag mit neun Toten nach Ansicht von Pfarrer Andreas Weber noch "viel Aufarbeitung" notwendig. Trotz der zentralen Trauerfeier im März mit dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin sei die "in die Tiefe gehende Wunde noch offen", sagte der Pfarrer der Gemeinde Sankt Elisabeth in Hanau am Mittwoch dem katholischen Kölner Internetportal domradio.de. Die Opferfamilien brauchten Betreuung, auch wenn die Stadt hierbei durch ihre Beauftragten "Großes" leiste. Auch die Arbeit mit der Jugend sei sehr wichtig.
Am Abend des 19. Februar hatte ein 43-jähriger Deutscher in Hanau bei dem Anschlag neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Danach hatte er seine Mutter und sich selbst getötet.
Täter im Umfeld der Gemeinde aufgewachsen
Eines der Todesopfer gehörte den Angaben zufolge zur Gemeinde Sankt Elisabeth. Die Familie zähle zu den Sinti und Roma und habe lange direkt gegenüber der Kirche gewohnt. "Die Familie ist uns also sehr bekannt und gehört zur katholischen Gemeinde", sagte Weber. "Die Tochter der Familie ist bei diesem schrecklichen Attentat umgekommen."
Der Täter gehörte den Angaben zufolge zwar nicht zu der Kirchengemeinde, er sei aber "zusammen mit Gleichaltrigen unserer Gemeinde" aufgewachsen, so der katholische Geistliche. Die Eltern hätten einander gekannt. "Als der Täter noch jung war, hat er im Stadtteil mit anderen zusammen im Fußballverein gespielt und war relativ unauffällig gewesen." Er habe seine pflegebedürftige Mutter im Rollstuhl herumgefahren und in einer Reihenhaussiedlung "nahe am Tatort" gewohnt.
Der seit 2013 in Hanau bestehende runde Tisch der Religionen, in dem mehr als 30 kirchliche und religiöse Gemeinschaften vertreten seien, habe sich direkt nach dem Anschlag intensiv ausgetauscht. "Aber eine ganz intensive Aufarbeitung war durch die Corona-Einschränkungen nicht möglich. Es waren keine Treffen am runden Tisch mehr möglich", sagte Weber. Im Herbst wolle man dies neu versuchen.
Nach dem Attentat hatten sich auch Kirchenvertreter mit den Menschen getrauert. Der Fuldaer Bischof Michael Gerber, zu dessen Bistum Hanau gehört, hatte sich in einem Brief an die Gläubigen gewandt. Darin schrieb er, er sei durch die Ereignisse zutiefst erschüttert. "Uns bewegt das Schicksal der Menschen, die der Bluttat zum Opfer fielen, sowie deren Angehörigen und Freunde". Das weitere Leben der Betroffenen werde unter dem Eindruck der schrecklichen Erfahrung stehen. (gho/KNA)
