Warnung vor einem Kirchenaustritt

Religionssoziologe Pollack: Glaube ohne Kirche hält nicht lange

Veröffentlicht am 01.10.2020 um 11:03 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Erst werde kirchliche Praxis aufgegeben, dann auch der Glaube an Gott: Die Annahme, dass Menschen nach einem Kirchenaustritt religiös blieben, führe in die Irre und sei nur "der Wunschtraum einiger weniger", sagt Religionssoziologe Detlef Pollack.

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Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack hält die Vorstellung, dass der Glaube auch nach einem Kirchenaustritt bestehen bleibt, für illusorisch. "Wer seine kirchliche Bindung aufgibt, bei dem lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Religiosität nach", sagte Pollack der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost" (Donnerstag). Erst werde kirchliche Praxis aufgegeben, mit einer gewissen Verzögerung dann auch der Glaube an Gott. Die Annahme, dass Menschen nach einem Kirchenaustritt gleichsam konstant religiös blieben, führe in die Irre und sei nur "der Wunschtraum einiger weniger Religionssoziologen und Theologen".

Glaube und Religion seien in starkem Maße soziale Phänomene, betonte der Wissenschaftler. Sie lebten von Austausch und wechselseitiger Bestärkung in der Gemeinschaft. Der Boom von Spiritualität und Esoterik stelle zumeist, wenn auch nicht immer, "eine Schwundstufe auf dem Weg in die Säkularität dar". Eine derart "verdünnte christliche Religiosität", angereichert mit ein paar nichtchristlichen Elementen, gewinne nur selten dauerhafte Kraft.

"So glaubt man halt an eine höhere kosmische Macht..."

Pollack konstatierte zugleich, dass von vielen noch ein vager Gottesglauben bevorzugt werde. "An den Gott, der als Herr und Richter über unserem Leben steht, kann man nicht mehr glauben, ganz glaubenslos will man aber auch nicht sein. So glaubt man halt an eine höhere kosmische Macht, an eine im eigenen Innern verborgene Wahrheit oder an das Gute im Menschen." Was darüber hinausgehe, sei vielen schlicht "zu anstrengend".

Eine Absage erteilte der Religionssoziologe ferner der Vorstellung, die Abgrenzung vom Islam führe zu einer Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln. Dies sei nicht der Fall. "Jedenfalls lässt sich ein Zusammenhang zwischen einem Bedrohungsgefühl durch fremde Kulturen und einer Intensivierung des christlichen Glaubens und der kirchlichen Praxis empirisch nicht nachweisen."

Die Kirchenaustrittszahlen in Deutschland waren 2019 so hoch wie nie zuvor. Insgesamt traten im vergangenen Jahr 272.771 Menschen aus der katholischen Kirche aus, wie aus der Kirchenstatistik der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hervorgeht. Insgesamt ist die Zahl der Katholiken in Deutschland demnach sogar um über 400.000 Menschen gesunken. (tmg/KNA)