Nach Äußerungen zu eingetragenen Lebenspartnerschaften

Moraltheologe: Papst hat Abwehrhaltung bei Homosexualität aufgebrochen

Veröffentlicht am 24.10.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Brixen ‐ Papst Franziskus spricht sich für eine rechtliche Absicherung homosexueller Partnerschaften aus. Der Moraltheologe Martin M. Lintner erkennt darin ein Umdenken des Lehramts und ist gespannt, zu welchen Folgen diese Aussagen innerhalb der Kirche führen werden – auch beim Thema Segen.

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Die Interviewäußerungen des Papstes über eingetragene Lebenspartnerschaften zeigten, dass Franziskus den Wunsch homosexueller Menschen nach einer stabilen Partnerschaft anerkenne – und ihnen diesen sogar zugestehe, sagt Martin M. Lintner. Außerdem erklärt der Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen (Südtirol) im Gespräch mit katholisch.de, warum die bisherigen Begründungen für die Ablehnung praktizierter Homosexualität nicht mehr haltbar sind.

Frage: Der Papst spricht sich auf zivilrechlicher Ebene für die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle aus. Sind sie von diesen Aussagen überrascht, Herr Lintner?

Lintner: Im ersten Moment war ich schon überrascht. Papst Franziskus hat sich zwar schon öfter wertschätzend über homosexuelle Menschen geäußert, aber immer auch deutlich gemacht, dass er zwischen heterosexuellen und homosexuellen Partnerschaften eine Differenz sieht. In "Amoris laetitia" beispielsweise hat er betont, dass Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht mit der Ehe gleichgestellt werden dürfen. Der Vatikan hat sich ja wiederholt gegen die rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Von daher hat mich das schon aufhorchen lassen.

Frage: Und im zweiten Moment?

Lintner: Im zweiten Moment habe ich mir gedacht, dass es von Papst Franziskus durchaus stringent ist. Er nimmt Homosexuelle mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Hoffnungen, aber auch mit ihren Verwundungen wahr. Wenn er gegenüber diesen Menschen Wertschätzung empfindet, ist es auch konsequent, dass er ihren Wunsch nach Partnerschaft anerkennt – und in der sexuellen Orientierung allein keinen Grund erkennt, dass sie diesem Wunsch nicht nachkommen dürfen.

Bild: ©privat

Martin M. Lintner ist Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.

Frage: Wie ordnen Sie Franziskus' Aussagen in der Linie seines Pontifikats ein?

Lintner: Dadurch wird noch mal dezidiert seine Hinwendung zu den Menschen deutlich. Er geht nicht mehr als ersten Schritt von der katholischen Lehre aus und bewertet die Menschen nicht mehr allein danach, ob sie dieser entsprechen oder nicht. Zunächst nimmt er den Menschen mit seinen Bedürfnissen und mit seinem Bemühen in den Blick, sein Leben verantwortlich zu gestalten. Das hat er schon im nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" deutlich gemacht: Auch dort geht es darum, zu sehen, wie der Mensch, der in seine Lebenswirklichkeit eingebunden ist, versucht, nach bestem Wissen und Gewissen sein Leben zu gestalten – und dass das eben nicht nur darin besteht, Normen umzusetzen. Das betreffe alle Menschen – auch solche mit einer homosexuellen Orientierung.

Frage: Was, glauben Sie, hat diese Einsicht beim Papst ausgelöst?

Lintner: Er hat sich ja offensichtlich schon früher für die rechtliche Absicherung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Ich glaube, er hat die Leiderfahrungen vieler Homosexueller in diesem Zusammenhang wahrgenommen. Wenn er jetzt vom berechtigten Wunsch Homosexueller nach einer Familie oder einer Partnerschaft spricht, steckt dahinter sicher auch die Begegnung mit Menschen, die ihm ihre Nöte offenbart haben: dass es ihnen eben nicht möglich ist, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in einer Partnerschaft zu leben, oder dass sie dafür sozial geächtet worden sind. Er erkennt das Bedürfnis eines homosexuellen Menschen nach einer stabilen und dauerhaften Beziehung als berechtigt an. Deshalb sagt er, dass wir uns als Kirche dafür einsetzen sollen, dass das möglich ist, und plädiert dabei für die eingetragene Partnerschaft auf zivilrechtlicher Ebene. In vielen Ländern ist dies ja bereits gesetzlich so geregelt worden, auch gegen den Widerstand der Kirche. Wo dies noch nicht möglich ist, sollte die Kirche ihren Widerstand aufgeben. Wie bereits gesagt: Ich finde, das ist konsequent gedacht. Franziskus macht damit einen Schritt, den vor ihm auch schon Bischöfe gemacht haben. Dass das jetzt auch der Papst aufgreift, sehe ich einerseits seiner persönlichen Sensibilität geschuldet. Andererseits sehe ich es auch als Anzeichen, dass auf der Ebene des kirchlichen Lehramtes in dieser Angelegenheit ein Umdenken stattfindet.

Frage: Spricht Papst Franziskus hier überhaupt als Kirchenoberhaupt oder als Privatmann?

Lintner: Als Privatmann kann er in diesem Sinne nicht sprechen. Andererseits muss man differenzieren: Nicht jede Aussage des Papstes hat sofort lehramtliche Autorität. Natürlich ändert er allein mit einer Aussage im Rahmen eines Interviews noch nicht die offizielle Lehre der Kirche bezüglich der Homosexualität. Aber das Entscheidende ist für mich in diesem Fall, dass der Papst als höchste kirchliche Lehrautorität ein ganz deutliches Problembewusstsein zeigt, indem er sagt, auch die Kirche muss sich für Rechte Homosexueller einsetzen. Bislang war die offizielle kirchliche Linie immerhin die, dass man sich gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung eingesetzt hat. Sich für ihre Rechte einsetzen, geht darüber hinaus.

Franziskus winkt und laechelt.
Bild: ©KNA/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani

Die Kirche habe sich für die Rechte Homosexueller einzusetzen und auch dafür, dass sie zivilrechtlich eine eingetragene Lebenspartnerschaft führen können: Wenn Papst Franziskus das sage, werde impliziert, dass er ihnen auch zugestehe, eine intime Partnerschaft zu leben. "Das kann die Kirche dann nicht mehr so leicht in die Ecke des Sündhaften stellen", betont Martin M. Lintner.

Frage: Wie lassen sich die Aussagen des Papstes mit dem, was die Kirche offiziell lehrt, überhaupt zusammenbringen?

Lintner: Franziskus geht deutlich über die herkömmliche Lehre der Kirche hinaus. Wenn er sagt, die Kirche hat sich für die Rechte dieser Menschen einzusetzen und auch dafür, dass sie zivilrechtlich eine eingetragene Lebenspartnerschaft führen können, wird ja impliziert, dass er diesen Menschen ja auch zugesteht, eine intime Partnerschaft zu leben. Das kann die Kirche dann nicht mehr so leicht in die Ecke des Sündhaften stellen. Man kann keine rechtliche Möglichkeit für etwas einfordern, was man an und für sich ablehnt und als Sünde verurteilt. Von daher geht er da schon einen wesentlichen Schritt weiter.

Frage: Ist das dann ein Schritt Weg von einer naturrechtlichen Argumentation beim Thema Sexualmoral, dass jeder geschlechtliche Akt, der nicht auf die Zeugung von Nachkommen ausgerichtet ist, abzulehnen ist?

Lintner: Diesen Schritt hat bereits das Zweite Vatikanische Konzil gemacht. Ansonsten hätte Paul VI. die sogenannte natürliche Empfängnisverhütung nicht als sittlich erlaubt ansehen können. Die Konzilsväter haben auch anerkannt, dass eine Ehe, die nicht fruchtbar ist, nichts an ihrer Würde verliert. Die geschlechtliche Intimität wird hier trotz der biologischen Unfruchtbarkeit positiv gewürdigt als Ausdruck der Liebe zwischen den Partnern. Das Konzil hat eine Wende vollzogen von einem naturrechtlichen und biologistischten hin zu einem personalen Verständnis der Ehe. Damit wird das Argument, dass das Fehlen der biologischen Fruchtbarkeit dem Wesen der menschlichen Sexualität als Ausdruck von Liebe widerspricht, fragwürdig. Zudem wissen wir heute, dass auch auf der biologischen Ebene der Sexualität mehr Funktionen zukommen als nur die Fruchtbarkeit, dass durch sie zum Beispiel eine Bindung entsteht und eine Beziehung gefestigt wird. Wenn man Sexualität wirklich konsequent als körperliche Sprache der Liebe zwischen zwei Menschen versteht, in der die Fruchtbarkeit natürlich eine Dimension ist, verliert sie durch Unfruchtbarkeit jedoch nicht ihre Würde. Hier kann man argumentieren, dass in vergleichbarer Weise auch eine homosexuelle Beziehung aufgrund des Fehlens der Fruchtbarkeit nicht ihre Würde verliert.

Frage: Die Kirche beruft sich in ihrer Ablehnung von Homosexualität auch auf biblische Aussagen. Wie muss man mit diesen umgehen?

Lintner: Die Kirche muss die Konsequenzen ziehen und endlich damit Ernst machen, dass die biblischen Aussagen zur Homosexualität aus heutiger Perspektive und Exegese kein Fundament mehr bilden, um eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft zu verurteilen. Erstens müssen wir davon ausgehen, dass die biblischen Autoren nichts von einer homosexuellen Orientierung wussten und deshalb davon ausgingen, dass es heterosexuelle Menschen sind, die gegen sich selbst homosexuell agieren. Zweitens wird gerade bei Paulus, aber auch schon im Alten Testament, Homosexualität als Metapher für Götzendienst und Fremdgötterkult verwendet. Und drittens ist Homosexualität in der Bibel immer im Kontext der sozialen Rollen von Mann und Frau gesehen worden: Man hat untersagt, dass ein Mann die sich unterordnende Rolle einer Frau übernimmt. Das wurde dann auch auf die sexuelle Ebene übertragen. Mit diesem Hintergrundwissen taugen diese Stellen einfach nicht für eine Ablehnung oder Verurteilung von homosexuellen Partnerschaften.

Linktipp: "An keiner Stelle verurteilt die Bibel Homosexualität!"

Der Streitfall um den Frankfurter Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig zeigt, wie konfliktreich der kirchliche Umgang mit Homosexualität ist. Dabei verurteilt die Bibel gleichgeschlechtliche Liebe an keiner Stelle, sagt Ilse Müllner im katholisch.de-Interview. Die Theologin erklärt, warum einige Bibelstellen für heutige Ohren missverständlich klingen. (Artikel vom Oktober 2018)

Frage: Das heißt, in ihren Augen ist die bisherige Haltung zu Homosexuellen in weiten Teilen der Kirche nach diesen Äußerungen des Papstes nicht mehr haltbar?

Lintner: Wenn man anerkennt, dass die Sexualität eine Vielschichtigkeit von Sinngehalten hat, dann muss man auch den Schritt machen und anerkennen, dass viele dieser Sinngehalte auch in einer homosexuellen Partnerschaft gelebt werden können – und allein das Fehlen der biologischen Fruchtbarkeit kein hinreichendes Argument ist, sie zu verurteilen. Zudem ist es an der Zeit, dass wir oft widersprüchliche kirchliche Aussagen zur Homosexualität überwinden. So hat man einerseits von diesen Menschen sexuelle Enthaltsamkeit gefordert, ihnen andererseits aber auch unterstellt, sie wären dazu nicht in der Lage, sondern eher promiskuitiv ausgerichtet oder unfähig, stabile Beziehungen einzugehen. Solche Aussagen sind für Homosexuelle sehr verletzend.

Frage: Glauben Sie, dass sich jetzt auch konkret etwas tun wird?

Lintner: Ich bin sehr gespannt, welche Folgen sich aus den Äußerungen von Franziskus ergeben. Als Interviewaussage ist sie lehramtlich zunächst einmal nicht von großem Gewicht. Aber möglichweise setzt sie ja doch einen Prozess in Gang, dass das, was dank humanwissenschaftlicher Erkenntnisse und auf der Grundlage von exegetischen Einsichten auf der moraltheologischen Ebene bereits erarbeitet, aber nicht zur Kenntnis genommen wurde, stärker fruchtbar gemacht wird.

Frage: Ganz praktisch: Kann die Kirche homosexuellen Partnerschaften nach diesen Aussagen überhaupt noch einen Segen verweigern?

Lintner: Strenggenommen nicht. Ich erwarte mir eine intensive, wenn auch kontroverse innerkirchliche Auseinandersetzung über diese Frage. Aber die Dialogverweigerung seitens des Lehramtes über das, was theologisch und moraltheologisch dazu reflektiert worden ist, betrachte ich jetzt als aufgehoben. Die ausnahmslose Verurteilung einer homosexuellen Beziehung als sündhaft ist offensichtlich nicht das letzte Wort der Kirche in dieser Frage.

Von Matthias Altmann