Nach Änderung der kirchenrechtlichen Bestimmung für Neugründungen

Kirchenrechtler zu Orden: Vatikan traut Bischöfen Beurteilung nicht zu

Veröffentlicht am 06.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/München ‐ Künftig können Diözesanbischöfe neue Orden und andere Gemeinschaften nur noch mit Genehmigung des Heiligen Stuhls errichten. Was steckt hinter diesem Schritt? Der Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering vermutet, dass der Vatikan nach schlechten Erfahrungen Handlungsbedarf gesehen hat.

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Mit seinem am Mittwoch veröffentlichten Motu proprio "Authenticum charismatis" hat Papst Franziskus die Änderung von can. 579 des Codex Iuris Canonici (CIC), des kirchlichen Gesetzesbuches, angeordnet. Diözesanbischöfe können in ihren Bistümern künftig nur mit Genehmigung des Vatikan Orden und geistliche Gemeinschaften gründen. Worin die kirchenrechtlichen Konsequenzen dieses Schritts bestehen und welche Erfahrungen dahinter stecken könnten, erläutert der Münchner Kanonist und Ordensrechtsexperte Stephan Haering OSB im Interview.

Frage: Herr Haering, der Vatikan beansprucht nun bei der Anerkennung von Ordensgemeinschaften und anderer Institute geistlichen Lebens diözesanen Rechts das letzte Wort. Drückt diese Regelung ein Misstrauen gegenüber Neugründungen aus?

Haering: Nein, das würde ich keinesfalls sagen. Ich glaube eher, dass der Vatikan nicht allen Bischöfen ganz zutraut, die Dinge in solchen Fällen angemessen zu beurteilen und zu ordnen.

Frage: Inwiefern?

Haering: Das hängt sicher mit dem Überblick zusammen, über den der Apostolische Stuhl in solchen Angelegenheiten eher verfügt als ein einzelner Diözesanbischof. Ich vermute, dass es in der Vergangenheit zu Gründungen gekommen ist, die nicht lebensfähig waren und dann auch bald wieder aufgelöst werden mussten. Ein konkreter Fall aus unserem Raum ist mit aber nicht bekannt.

Frage: Was bedeutet "nicht lebensfähig" in diesem Zusammenhang?

Haering: Die mangelnde Lebensfähigkeit kann einerseits damit zusammenhängen, dass das wirtschaftliche Fundament nicht genügend war, um den Bestand zu sichern. Andererseits kann es auch sein, dass sich eine Neugründung personell nicht so entwickelt wie erhofft und die Initiative schon bald wieder an ihr faktisches Ende kommt.

Bild: ©KNA

Pater Stephan Haering OSB ist Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Frage: Kann diese Entscheidung auch noch einen anderen Hintergrund haben als ein mögliches Misstrauen des Vatikans gegenüber Bischofsentscheidungen in solchen Angelegenheiten?

Haering: Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas anderes dahintersteckt. Im Grunde ist ja schon im Jahr 2016 eine Bindung der Bischöfe an die Zustimmung des Apostolischen Stuhls bei Neugründungen von Ordensgemeinschaften verfügt worden. Damals wurde vom vatikanischen Staatssekretariat ein Dokument veröffentlicht, welches besagt, dass die vorgeschriebene Konsultation, wovon in der alten Fassung von can. 579 die Rede war, zwingend zur Gültigkeit einer Neugründung erforderlich ist. Damit war sichergestellt, dass die Religiosenkongregation schon von jedem entsprechenden Vorhaben weiß, bevor die Errichtung vollzogen werden kann. Sie hätte damit eine Neugründung auch unterbinden können. Jetzt steht die entsprechende Kompetenz ausdrücklich im Codex – damit wird alles noch ein bisschen klarer festgehalten.

Frage: Zuvor war, wie Sie gerade angesprochen haben, nur eine Beratung durch den Vatikan nötig, jetzt braucht es dessen Genehmigung. Ist das nicht nur eine Formalie? Wenn der Vatikan gesagt hätte, er rät von einer Errichtung ab, hätte sich doch kaum ein Bischof darüber hinweggesetzt…

Haering: Es ist schon vorstellbar, dass irgendein besonders selbstbewusster Bischof sagt, eine bloße Beratung ist nicht zur Gültigkeit erforderlich; das halte ich durchaus für denkbar. Der Bischof könnte möglicherweise davon ausgegangen sein, die bessere Einsicht zu haben, und hat eine Neugründung einfach durchgeführt, ohne den Apostolischen Stuhl einzuschalten beziehungsweise ohne dessen Rat zu folgen.

Frage: Was unterscheidet Ordensgemeinschaften und Institute geweihten Lebens diözesanen Rechts von denen päpstlichen Rechts?

Haering: Jedes Ordensinstitut braucht einen zuständigen hierarchischen Oberen, um so an die Kirche rückgebunden zu sein. Das ist bei Gemeinschaften diözesanen Rechts der Diözesanbischof und bei solchen päpstlichen Rechts der Apostolische Stuhl. Diese Zuordnung ist beispielsweise im Hinblick auf die Aufsicht oder die Rechenschaftspflicht entscheidend, aber auch wenn es um wichtige Veränderungen geht, die einzelne Mitglieder betreffen. Wenn etwa ein Mitglied mit ewigen Gelübden ausscheiden will, muss das auch von der hierarchischen Autorität genehmigt werden. Das ist dann eben der Bischof – oder Rom.

Frage: Woran liegt es, dass sich manche Ordensgemeinschaften für die diözesane, manche für die päpstliche Rechtsform "entscheiden"?

Haering: Die Zuordnung zum Diözesanbischof beziehungsweise zum Apostolischen Stuhl liegt nicht in der freien Entscheidung der Ordensgemeinschaft. Neugründungen beginnen regelmäßig als Gemeinschaften diözesanen Rechts. Wenn sie eine besondere Größe erreicht haben und in vielen Bistümern verbreitet sind, kann es günstiger sein, dass der Apostolische Stuhl zuständig wird. Um einen Wechsel vom Status diözesanen Rechts zum Status päpstlichen Rechts kann sich eine Gemeinschaft auch von sich aus bemühen; einen Rechtsanspruch gibt es jedoch nicht.

„Es besteht ja bei besonders frommen Leuten bisweilen die Gefahr, sich in bestimmten Vorstellungen zu verfangen und dann zu meinen, etwas Neues beginnen zu müssen. Doch nicht jede Idee kommt vom Heiligen Geist.“

—  Zitat: Stephan Haering OSB

Frage: Zurück zum Motu proprio vom Mittwoch: Darin steht, es müsse vermieden werden, dass "voreilig unzweckmäßige oder kaum lebensfähige Institute entstehen". Will der Vatikan möglicherweise auch verhindern, dass zu viele dieser Gemeinschaften aus dem Boden sprießen?

Haering: Auf jeden Fall ist diese Absicht leitend. Es besteht ja bei besonders frommen Leuten bisweilen die Gefahr, sich in bestimmten Vorstellungen zu verfangen und dann zu meinen, etwas Neues beginnen zu müssen. Doch nicht jede Idee kommt vom Heiligen Geist. Manchmal sind es Ordensleute, die bereits in einer Gemeinschaft leben und dann den Drang verspüren, etwas Neues zu gründen, das sich von ihrem bisherigen Institut abhebt. Wenn sich ein Bischof allzu rasch darauf einlässt, kann es dazu kommen, dass man schnell eine bunte Menge von recht kleinen, individuellen Gemeinschaften hat. Eine gewisse Pluralität ist gewiss legitim, etwa in den Formen der Frömmigkeit. Die Charismen sollen ja auch ihren Raum haben und in der Kirche blühen. Aber es kann durchaus so sein, dass jemand seine eigene Nische schaffen und das eigene "Gärtlein" pflegen will, und gar nicht auf die Bedürfnisse der Kirche achtet.

Frage: Ist das auch ein Verhinderungsmechanismus gegen zu liberale oder zu konservative Gemeinschaften?

Haering: Ich meine schon, dass diese Neufassung ein Instrument sein kann, womit man Entwicklungen steuert. Unerwünschte Extreme können dadurch gewiss eher zurückgedrängt werden.

Frage: Nun greift der Vatikan mit dieser Änderung in die Amtsführung von Bischöfen ein. Wie passt das Ganze zu der von Papst Franziskus oft propagierten "Stärkung der Ortskirche" und Dezentralisierung?

Haering: Von Dezentralisierung kann bei dieser legislatorischen Maßnahme selbstverständlich nicht die Rede sein. Das haben manche Stimmen schon 2016 festgestellt, als das Reskript über die zwingend notwendige Konsultation des Vatikans bei einer Neugründung veröffentlicht wurde. Doch ich bin überzeugt, dass konkrete Erfahrungen hinter der jetzigen Entscheidung stecken. Der Vatikan hat hier wohl einen konkreten Bedarf gesehen, gewisse Entwicklungen nicht zuzulassen. Von daher ist der Schritt schon plausibel.

Von Matthias Altmann