Magdeburger Oberhirte befürchtet Instrumentalisierung von Kirche in Corona-Krise

Bischof Feige verrät, was "Querdenker" ihm schreiben

Veröffentlicht am 18.12.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Magdeburg ‐ Ist die Kirche dem deutschen "Obrigkeitsstaat" hörig? Diese Auffassung scheinen jedenfalls viele Menschen zu haben, die dem Magdeburger Bischof Gerhard Feige schreiben. Was sonst noch in diesen Briefen steht, verrät der Oberhirte im Interview.

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Auf dem Schreibtisch von Magdeburgs Bischof Gerhard Feige landet nach eigenem Bekunden in letzter Zeit immer öfter Post von "Querdenkern" - aus ganz Deutschland. Warum und womit wenden sie sich an den katholischen Oberhirten? Ostdeutschlands dienstältester Bischof gibt im Interview Auskunft.

Frage: Herr Bischof Feige, Sie bekommen immer häufiger Post von "Querdenkern" - was schreiben die Ihnen denn so?

Feige: Naja, mich erreicht zum Thema Corona Post aus dem ganzen Bundesgebiet, zumeist seitenlange Briefe, teils sehr verbissen. Argumentativ die ganze Spannbreite, die man sich vorstellen kann. Darunter die unterschiedlichsten Schattierungen aus der "Querdenker"-Szene. Da schreibt etwa einer: "Ich habe seit Beginn des Lockdowns im März von der katholischen Kirche und ihren Vertretern die gleiche Verbreitung von Angst und Schrecken vor dem Virus erlebt, wie es Medien und Politik tagtäglich praktizieren." Weiter heißt es, wir hätten die Überzeugung propagiert, dass der Nächste eine Gefahr darstelle - so habe sich Jesus nie von Menschen distanziert. Vielmehr habe er an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert.

Frage: Geht man auch Sie persönlich an?

Feige: Teils auch das. Da heißt es etwa: "Durch das Verurteilen und Verunglimpfen von Menschen mit anderer Meinung, brandmarken Sie diese pauschal als Corona-Leugner und tragen maßgeblich zur Spaltung der Gesellschaft bei." Mir - wie auch anderen Bischöfen - wird vorgeworfen, "Kampfbegriffe" der Medien und der Politik "ungefiltert" zu übernehmen und damit meine Autorität zu missbrauchen.

Frage: Vielleicht jetzt noch ein Beispiel von der Gegenseite?

Feige: Ja, da schrieb mir zum Beispiel jemand aus Würselen bei Aachen: "Das Virus kennt den Glauben der Menschen nicht als Unterscheidungsmerkmal. Warum nehmen Sie für sich als Kirche Rechte in Anspruch, Menschen Risiken auszusetzen, die allen anderen gesellschaftlichen Gruppen verboten sind? Warum lassen Sie Ihre Pfarrer in dem völlig unsinnigen Glauben, dass sie keine Risiken bei Gottesdiensten eingehen, wenn sie nur die für Kirchen erfundenen Sonderregelungen zur Versammlung einhalten?" Weiter wirft auch er mir mutwilligen Vertrauens- und Machtmissbrauch vor. Man dürfe keine Menschenleben aus falsch verstandener Seelsorge gefährden. Also für die einen ist man staatshörig, und die anderen fordern einen auf, doch endlich mal den Rechtsstaat zu unterstützen.

Eine Demo gegen Corona-Maßnahmen
Bild: ©picture alliance / Geisler-Fotopress (Archivbild)

Demonstranten verschiedener Gruppierungen, wie etwa der Initiative Querdenken 711, protestieren bei Großdemonstrationen wie hier in Berlin gegen die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Frage: Aber was denken Sie, mit welcher Intention sich diese Menschen an Sie wenden?

Feige: Ich glaube, dass versucht wird, die Kirchen für die Eigeninteressen zu instrumentalisieren. Und dann spielt sicher auch Artikel 4 des Grundgesetzes eine Rolle: die Religionsfreiheit und freie Religionsausübung, auf die sich Kirchen berufen und die ein Teil der Gesellschaft nicht mehr versteht.

Frage: Können Sie auch Ost-West-Unterschiede bei den "Querdenkern" ausmachen?

Feige: Ja. Ich denke, östlicherseits kann es mit der DDR-Vergangenheit zu tun haben, dass man immer im Kampf gegen einen Feind war und das war der Staat, von dem man sich gegängelt fühlte und distanzieren musste. Und wenn die Kritik aus Westdeutschland kommt, dann ist es häufig ein überzogenes individualistisches Freiheitsverständnis, das wenig Sinn für Gemeinwohl hat und sehr Ich-bezogen ist.

Frage: Es gibt ja auch die Parole vom Widerstand gegen den vermeintlichen "Obrigkeitsstaat".

Feige: Das halte ich für völlig anachronistisch. Natürlich bin ich nicht blauäugig und möchte auch nicht entmündigt oder blind auf etwas eingeschworen werden. Aber ich bin bereit, Anordnungen in Kauf zu nehmen, wenn sie als sinnvoll und hilfreich erscheinen. Man muss natürlich aufpassen, dass die Religionsfreiheit nicht hinterrücks durch antireligiöse Kräfte ausgehebelt wird. Aber ich möchte nicht von vorneherein misstrauisch sein gegenüber allem, was von den demokratisch gewählten Regierungsvertretern kommt, zumal dahinter ja zahlreiche renommierte Wissenschaftler stehen. Anderseits kann ich nur staunen, wer sich alles inzwischen anmaßt, Viren- und Hygieneexperte zu sein.

Frage: Was entgegnen Sie denen, die sagen, die Kirchen gefährden die Gesundheit der Gläubigen?

Feige: Also wir haben ja sehr ausgefeilte Hygiene-Konzepte. Und ich möchte betonen: Wir setzen als Kirchen auf Glauben und Vernunft, nicht auf Fundamentalismus und Fanatismus! Uns geht es um Solidarität mit allen Menschen. Außerdem betone ich immer: Uns geht es um das seelische und das leibliche Heil. Der Gesundheitsfaktor spielt in der christlichen Tradition eine große Rolle. Von daher: Aufgabe der Kirche ist es, ganzheitlich für die Menschen da zu sein - gerade auch in der Corona-Krise.

Von Karin Wollschläger (KNA)