Aachener Gutachten habe "viele belastende Emotionen ausgelöst"

Dieser: Können schwierige Missbrauchsaufarbeitung nicht allein leisten

Veröffentlicht am 11.03.2021 um 11:27 Uhr – Lesedauer: 
Bischof Helmut Dieser im Aachener Dom
Bild: © KNA

Aachen ‐ Durch die Missbrauchsaufarbeitung in der Kirche erwartet der Aachener Bischof Helmut Dieser einen "Häutungsprozess" in der Kirche. Die Präsentation des zweiten Kölner Missbrauchsgutachtens kann aus seiner Sicht zu einem Befreiungsschlag werden.

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Das Bistum Aachen will sich bei der eigenen Missbrauchsaufarbeitung auch von der nordrhein-westfälischen Landesregierung unterstützen lassen. "Diese schwierige Aufarbeitung können wir nicht alleine leisten; da brauchen wir einfach Hilfe auch von unabhängigen Personen außerhalb der Kirche", sagte der Aachener Bischof in einem Interview der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Im Frühjahr werde die Öffentlichkeit über das weitere Vorgehen informiert, etwa über die Einrichtung eines Betroffenenbeirats sowie einer unabhängigen Aufarbeitungskommission.

Der Blick auf die Verantwortlichen der Vergangenheit durch das im November veröffentlichte Missbrauchsgutachten im Bistum Aachen habe "viele belastende Emotionen ausgelöst", so Dieser. Es sei nicht einfach, "wenn etwa so große Geistliche wie der 1994 verstorbene Aachener Bischof Klaus Hemmerle in der Kritik stehen". Es brauche nun Zeit und weitere Gespräche. Über ein Treffen mit dem früheren Bischof Mussinghoff wenige Tage nach der Präsentation des Gutachtens sagte Dieser: "Es war kein einfaches Gespräch. Und es ist auch für ihn eine belastende und schwere Situation."

Der Druck auf Köln sei "jetzt unendlich viel größer"

Im Hinblick auf das aufgrund methodischer Mängel zurückgehaltene erste Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker und Wastl (WSW) im Erzbistum Köln sagte Dieser, dass die Gründe für Außenstehende nicht einsichtig seien. "Das ist für die Öffentlichkeit nur schwer zu akzeptieren. Und auch für uns ist das eine Schwelle, an der wir nicht weiterkommen." Dass alle jetzt auf den 18. März und die Veröffentlichung des zweiten Missbrauchsgutachtens schauen würden, sei eine einseitige Wahrnehmung. Auch das Erzbistum Köln sei nicht aus der gemeinsamen Selbstverpflichtung der Bischöfe mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung ausgestiegen. "Nur ist der Druck für die Kölner jetzt unendlich viel größer."

Gutachten belastet Aachener Altbischof Mussinghoff und Ex-Generalvikar

Das lange erwartete Gutachten über Missbrauch im Bistum Aachen wurde veröffentlicht: Es belastet nicht nur den früheren Bischof Heinrich Mussinghoff und Ex-Generalvikar Manfred von Holtum, sondern auch die verstorbenen Altbischöfe Johannes Pohlschneider und Klaus Hemmerle.

Die Präsentation des zweiten Kölner Missbrauchsgutachtens könne zu einem Befreiungsschlag in der Debatte um Aufklärung und Vertuschung werden. "Es muss ja plausibel werden für die Öffentlichkeit, dass das Erzbistum Köln und Erzbischof Woelki das Versprechen nach Aufklärung wirklich einlösen. Ich hoffe, das gelingt." Die Zusammenarbeit mit WSW bezeichnete Dieser als professionell und fair. Auch nach der Veröffentlichung habe es einen "intensiven und guten Austausch" mit der Kanzlei gegeben.

"Das spüre ich auch in meinem Amt"

Er erwarte einen "Häutungsprozess" in der Kirche durch die Missbrauchsaufarbeitung, so Dieser. "Es gibt Bilder aus der Vergangenheit der Kirche, die uns heute nicht mehr überzeugen. Das spüre ich auch in meinem Amt." Es müsse selbstverständlicher werden, dass der Bischof und alle, die in Leitungsverantwortung stehen, transparent handelten und es andere Formen der Beteiligung und Mitverantwortung gebe.

Die Kanzlei WSW hatte im vergangenen November ein Gutachten über Missbrauchsfälle im Bistum Aachen veröffentlicht. Darin wird hochrangigen Bistumsvertretern der Vergangenheit attestiert, mehr am Schutz der Täter orientiert gewesen zu sein als an der Fürsorge für die Opfer. Das Erzbistum Köln hatte ein ähnliches Gutachten bei WSW in Auftrag gegeben, dieses nach eigener Angabe wegen methodischer Mängel aber nicht veröffentlichen lassen. Zugleich wurde ein zweites Gutachten der Kanzlei Gercke & Wollschläger angekündigt, das am 18. März veröffentlicht werden soll. Nach der Veröffentlichung des neuen Gutachtens soll ab dem 25. März auch das erste Gutachten zur Einsichtnahme bereitgestellt werden. (cbr)