Trans-Personen dürfen zwei Sakramente nicht empfangen

Kirchenrechtler: Nur ein bedauerndes Achselzucken für Transsexuelle

Veröffentlicht am 07.04.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Transsexuelle dürfen nicht heiraten und nicht Priester werden – aber warum? Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier erklärt im katholisch.de-Interview, was die Kirche vom Geschlecht hält, wo ihre Argumentation Lücken aufweist – und sie sich trotzdem nicht ändert.

  • Teilen:

Wie geht die Kirche mit sexuellen Minderheiten um? Dieses Thema beschäftigt den Synodalen Weg, aber auch Gläubige im Alltag. Unter anderem haben Inter- und Transsexuelle (also Menschen die nicht einem Geschlecht zugeordnet werden können oder sich ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht zugehörig fühlen) mit der kirchlichen Haltung zum Geschlecht zu kämpfen – auch, weil ihnen Sakramente vorenthalten werden. Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg. Er hat mit einer Arbeit zu dem Thema unter dem Titel "Psychosexuelle Abweichungen und Ehenichtigkeit" im Jahr 1990 promoviert. Im Interview erklärt er Grundlagen und Fehlstellen beim Umgang der Kirche mit Transsexualität.

Frage: Herr Bier, der Katechismus hält fest (KKK 2333): "Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen." Fasst das die Meinung der Kirche zu Trans- und Intersexualität pointiert zusammen?

Bier: Die Kirche geht von einem binären Verständnis von Geschlechtlichkeit aus. Man muss damit leben, dass man Mann oder Frau ist, ablegen kann man sein Geschlecht nicht. Laut der in einigen lehramtlichen Dokumenten festgehaltenen Sicht der Kirche ist dieses eigene Geschlecht jenes, das dem genetischen Chromosomensatz entspricht. Aussehen und eigenes Empfinden spielen für die Kirche also keine Rolle. Insofern nützt es nichts, wenn sich ein Mann nicht als Mann fühlt, denn er ist ein Mann. Dass es auch genetische Konstellationen gibt, die keineswegs eindeutig sind, wird vom Lehramt nicht berücksichtigt.

Frage: Wie kommt die Kirche zu dieser Sichtweise?

Bier: Das Lehramt beschäftigt sich mit dem Thema Transsexualität erst, seitdem Debatten um Transsexualismus, Transvestitismus oder in der jüngeren Zeit all die Fragen um das Thema Gender in der Gesellschaft aufgekommen sind und das Phänomen wahrgenommen wird. So gibt es etwa in Deutschland seit 1981 ein Transsexuellengesetz. Es regelt die Änderung des Vornamens und die Feststellung der geänderten Geschlechtszugehörigkeit und legt fest, dass sich Rechte und Pflichten von Transpersonen nach dem neuen Geschlecht richten. Dazu gehört auch das Recht auf Eheschließung. Seit dieser Zeit sieht sich die katholische Kirche vor die Herausforderung gestellt, sich dazu zu verhalten. Wenn beispielsweise eine Trans-Frau einen Mann heiraten will, ist dann eine kirchliche Eheschließung möglich und denkbar? Auf eine entsprechende Anfrage der Deutschen Bischofskonferenz antwortete die Kongregation für die Glaubenslehre im Jahr 1991: Nein, das geht nicht. Als Grund angeführt wurde, dass der unveränderliche Genotyp, das biologische Geschlecht, ausschlaggebend sei, nicht jedoch die davon abweichende Selbstwahrnehmung einer Person – warum dies die entscheidende Kategorie sei, blieb offen. Die Entscheidung gilt jedoch weiterhin, für die Ehe wie auch für den Zugang zur Weihe.

Bild: ©katholisch.de

Transsexuelle dürfen nicht kirchlich heiraten.

Frage: Warum gerade diese beiden Sakramente – und die anderen nicht?

Bier: Weil nur bei Ehe und Priesterweihe das Geschlecht entscheidend ist. Die Ehe ist nach kirchlichem Verständnis ausschließlich eine Gemeinschaft von einem Mann und einer Frau – da braucht man eine eindeutige Zuordnung. Das andere Sakrament ist die Weihe, weil die nur ein getaufter Mann gültig empfangen kann. Wer vom Genotyp her kein Mann ist, kann nicht geweiht werden – und wer zwar genetisch ein Mann ist, aber als Frau lebt, dem wird diese Unsicherheit in der Geschlechtsidentität als Weihehindernis ausgelegt. Bei den anderen Sakramenten ist das egal. Da ist immer nur von Gläubigen die Rede, das ist nicht geschlechtsspezifisch festgelegt. Daher können die anderen Sakramente gespendet werden.

Frage: Wenn eine Trans-Frau eine Frau heiraten will, würde das vom Genotyp her ja passen – aber das würde die Kirche doch wahrscheinlich trotzdem nicht machen?

Bier: Richtig. Der Umstand, dass jemand sich seinem genotypisch vorgegebenen Geschlecht nicht zugehörig fühlt, würde – ähnlich wie bei der Weihe – als Persönlichkeitsstörung gedeutet, die als Eheunfähigkeit ausgelegt würde. Damit pathologisiert man natürlich den Sachverhalt. Ansonsten wäre immer noch ein Argument, dass aus dieser Verbindung keine Kinder hervorgehen würden. Das hängt immer von der Art der Umwandlung ab, aber letztendlich würde man sich auf eines dieser Argumente zurückziehen. Damit muss man sich der eigentlichen Frage nach der Geschlechtlichkeit nicht mehr stellen.

Frage: Gesetzt den Fall, jemand ist nicht getauft und fühlt sich dem eigenen Geschlecht nicht zugehörig. Diese Person durchläuft den Geschlechtsangleichungsprozess und lernt nun eine katholische Person kennen. Die transsexuelle Person lässt sich taufen und beide heiraten in der Kirche – von der Transsexualität weiß niemand und niemandem fällt das auf. Was ist denn dann?

Bier: Dann fällt es nicht auf. Das fliegt dann unter dem Radar durch und so lange niemand fragt, macht sich auch niemand Gedanken über die Gültigkeit einer solchen Ehe. Solche Konstellationen sind zunehmend denkbar, weil Transsexualität in der Gesellschaft mit einer größer werdenden Selbstverständlichkeit behandelt wird. Interessant wird das erst, wenn diese Ehe scheitern würde. Dann könnte man mit guten Erfolgsaussichten ein Ehenichtigkeitsverfahren führen. Aber wenn die beiden einfach eine glückliche Ehe führen, würde das niemandem auffallen. Das klingt jetzt sehr speziell, ist aber in anderen Ehen auch nicht anders. Es heiraten am laufenden Band Menschen, die für die Kirche grundlegende Voraussetzungen ausschließen und deshalb eigentlich ungültig verheiratet sind – und das merkt auch keiner. Man kann den Leuten ja nicht hinter die Stirn gucken.

Bild: ©Privat

Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Universität Freiburg.

Frage: Wie ist es denn bei der Taufe?

Bier: Die Kongregation für die Glaubenslehre hat 2002 angeordnet, dass nach einer operativen Geschlechtsumwandlung der im Taufbuch ursprünglich eingetragene geschlechtsspezifische Name nicht verändert werden darf. "Wohl aber muss am Rand der Taufeintragung eine Notiz über die erfolgte Operation angebracht werden, sofern die Geschlechtsumwandlung im staatlichen Rechtsbereich anerkannt worden ist." Die Taufe bleibt also gültig, die Umwandlung wird zur Kenntnis genommen, jedoch nicht anerkannt.

Frage: Wir haben nun über Beschränkungen und Engführungen gesprochen. Gibt es denn eine Perspektive für Inter- und Transsexuelle?

Bier: Die kann ich nicht erkennen. Ich sehe nicht, dass diese Thematik vom Lehramt als Problemlage wahrgenommen wird. Man sieht da keinen Anlass, diese Frage nochmal neu zu diskutieren, sondern rekurriert immer wieder auf die altbekannten Stellungnahmen. Die gesellschaftliche Dynamik, dass es nicht um abgefahrene Freaks, sondern unter anderem um Katholikinnen und Katholiken geht, die sich diese Fragen stellen – das ist noch nicht angekommen. Man gibt halt die Antwort: Das geht nicht, weil es nicht geht. Jemand ist entweder Mann oder Frau, etwas anderes gibt es nicht. Da geht es auch um außereheliche Sexualität, die nach dem Katechismus ein schwerer Verstoß gegen die Würde der menschlichen Geschlechtlichkeit ist (KKK 2353), um Sexualität, die nicht auf Fruchtbarkeit ausgerichtet und deshalb in sich nicht in Ordnung ist (KKK 2357) – und damit Ende.

Erst vor kurzem hat die Glaubenskongregation bekräftigt, die Kirche habe nicht die Vollmacht, jene Partnerschaften zu segnen, die außereheliche Sexualität einschließen. Das ist Macht, die im Ohnmachtsgestus ("Wir haben nicht die Vollmacht") ausgeübt wird. Was das für die Betroffenen und ihren persönlichen Glauben bedeutet und ob sie sich damit in ihrer Individualität ernstgenommen fühlen, spielt keine erkennbare Rolle - auch nicht die Frage, ob und wie all das den Menschen pastoral überhaupt noch zu vermitteln ist. Mehr als ein bedauerndes Achselzucken hat die Amtskirche für diese Menschen nicht übrig.

Von Christoph Paul Hartmann