Gremium äußert Zweifel an kirchlichem Aufarbeitungswillen

DBK-Betroffenenbeirat übt deutliche Kritik an Kölner Gutachten

Veröffentlicht am 30.03.2021 um 13:19 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Deutliche Kritik am Kölner Missbrauchsgutachten kommt vom Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz: Systemische Ursachen des Missbrauchs würden in dem Gutachten weitgehend ausgeblendet. Doch nicht nur das sei ein Problem.

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Der Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz hat deutliche Kritik am Missbrauchsgutachten des Erzbistums Köln geäußert. Zwar würden die juristischen Pflichtverletzungen in dem am 18. März vorgestellten Gutachten der Kanzlei Gercke Wollschläger in ausreichendem Maße in den Blick genommen, systemische Ursachen des Missbrauchs wie Sexualmoral, Zölibat, Klerikalismus, Männerbündigkeit oder fehlende Partizipation von Frauen "sind aber weitestgehend ausgeblendet oder werden gar nicht betrachtet", erklärte der Beirat am Dienstag in Bonn. Die Engführung von Aufarbeitung auf eine rein strafrechtliche Betrachtung lasse Zweifel am kirchlichen Willen zu einer umfassenden und grundlegenden Aufarbeitung aufkommen.

Angesichts des moralischen Selbstanspruchs der katholischen Kirche als "Moralagentur" und angesichts des Prüfauftrages des Erzbistums Köln, der konsequent auch den kirchlichen Selbstanspruch in den Blick nehmen sollte, "ist es für uns nicht einsichtig, dass ethisch-moralische Verfehlungen und Pflichtverletzungen im Gercke-Gutachten nicht bewertet wurden", so der Beirat weiter. Wenn den betroffenen Menschen Gerechtigkeit widerfahren solle und wenn die Kirche zu einer neuen Glaubwürdigkeit finden wolle, dürfe die moralische-ethische Ebene nicht unberücksichtigt bleiben.

"Der Himmel über Woelki bleibt wolkig und Betroffene weiter im Nebel"

Mit Blick auf das vom Erzbistum zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) werde deutlich, dass darin diese "unverzichtbaren Verfehlungen" in den Blick genommen und bewertet würden. "Es benennt klar missbrauchsbegünstigende Aspekte und spricht deutliche Reform-Empfehlungen aus, die auf keinen Fall ungehört bleiben dürfen. Wenn gerade diese problematischen Strukturen nicht reformiert werden, dann wird dieses System immer wieder neue Opfer hervorbringen", so der Betroffenenbeirat. Aus einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung gegenüber Reformen oder gar Furcht vor solchen ein unliebsames Gutachten zurückzuhalten und auf diese Weise einen Wandlungsprozess, zu bremsen, sei grob fahrlässig. "Der Himmel über Woelki bleibt wolkig und Betroffene weiter im Nebel", schlussfolgerte das Gremium in seiner Erklärung.

Als "besonders problematisch" bewertete der Beirat zudem den "erneuten Ausschluss von Betroffenen" an der Erstellung eines Gutachtens. Der oft noch fehlende Mut der Kirche zum "wirklichen tabulosen Dialog" sei in Köln wieder einmal deutlich zu Tage getreten. "Wir empfehlen den Bischöfen dringend, bereits vor Beauftragung Vertreter*innen der Betroffenen hinzuziehen und diese in den Arbeitsprozess strukturell einzubinden. Wer vorher vielfältige Blickwinkel miteinbezieht, muss sich nachher nicht in solchem Ausmaß dem Vorwurf der Einseitigkeit und Simplifizierung aussetzen", so das Gremium wörtlich.

Kritik auch an anderen Bistümern

Kritisch beurteilte der Beirat darüber hinaus auch die bisherigen Aufarbeitungsbemühungen der anderen deutschen Diözesen: "Auch in anderen Bistümern können wir bis heute noch keine breite Bereitschaft erkennen, Verantwortung für die Auswirkungen auf das heutige Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen zu übernehmen." Viele Fragen im Hinblick auf die bistumsübergreifenden Konsequenzen aus dem Kölner Gutachten blieben offen. "Aufarbeitung und vor allem deren Bewertung und die damit verbunden Konsequenzen können und dürfen keine allein innerkirchliche Angelegenheit bleiben, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein sollen", so das Gremium in seiner Erklärung.

Der Betroffenenbeirat bei der Bischofskonferenz war als Konsequenz aus der im September 2018 veröffentlichten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland eingerichtet worden. Durch das Gremium soll eine kontinuierliche und institutionalisierte Beteiligung von Betroffenen an der Arbeit der Deutschen Bischofskonferenz im Bereich der sexualisierten Gewalt sichergestellt werden. Dem Beirat gehören sieben Frauen und fünf Männer aus den unterschiedlichen Diözesen und mit verschiedenen beruflichen Hintergründen an. (stz)