Der Fall sei Mahnung gegen "jegliches koloniales Verhalten"

Papst äußert sich bestürzt über Fund von Kinderleichen in Kanada

Veröffentlicht am 06.06.2021 um 15:30 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt/Ottawa ‐ Es gelte, sich demütig für Versöhnung und Heilung einzusetzen: Papst Franziskus hat sich zum Fund der sterblichen Überreste indigener Kinder in einem kanadischen Umerziehungsheim geäußert. UN-Menschrechtler forderten Aufklärung der Todesursachen.

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Papst Franziskus hat seinen Schmerz und seine Trauer über den Fund von 215 Kinderleichen in einem früheren katholischen Internat in Kanada bekundet. Zusammen mit der gesamten Kirche sei er dem "kanadischen Volk, das durch diese schockierende Nachricht traumatisiert ist", nahe, sagte das Kirchenoberhaupt am Sonntag beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz. Staatliche und kirchliche Stellen arbeiteten eng zusammen, um die Sache aufzuklären, so Franziskus.

Die traurige Entdeckung mache noch einmal "das Bewusstsein über Schmerzen und Leiden der Vergangenheit" bewusst. Es gelte, sich demütig für einen Weg der Versöhnung und Heilung einzusetzen, betonte der Papst. Der Vorfall sei eine dringende Mahnung "an alle, sich jeglichen kolonialen Verhaltens zu enthalten", auch jeglicher ideologischen Kolonisierung heute.

Stattdessen sollten Menschen unterschiedlicher Kulturen Seite an Seite in gegenseitigem Respekt agieren. Dazu gehöre auch die Anerkennung der Rechte und kulturellen Werte aller Töchter und Söhne Kanadas. Abschließend bat der Papst um ein gemeinsames Gebet für die gestorbenen Kinder in den früheren Heimen, für ihre Familien und alle indigenen Völker Kanadas.

UN-Menschrechtsexperten fordern Aufklärung

UN-Menschenrechtsexperten haben die kanadische Regierung und den Vatikan aufgefordert, den Fund vollständig aufzuklären. Wie kanadische Medien am Freitag (Ortszeit) berichteten, verlangten sie in einer Stellungnahme, alle verdächtigen Todesfälle müssten überprüft und sterbliche Überreste forensisch untersucht werden. Ermittlungen seien an allen derartigen Einrichtungen in Kanada nötig, zu denen Vorwürfe von Missbrauch und Misshandlungen vorlägen. Noch lebende Täter müssten bestraft werden.

Die UN-Menschenrechtsexperten prangern in ihrem Appell "abscheuliche Verbrechen" und Menschenrechtsverstöße in kanadischen Internaten für indigene Kinder an. Der kanadische Staat und der Vatikan dürften die Verantwortlichen nicht ungestraft davonkommen lassen und seien zur Entschädigung noch lebender Opfer verpflichtet. Kanadas Premierminister Justin Trudeau hatte seinerseits in dieser Woche Papst Franziskus zu einer offiziellen Entschuldigung für in kirchlichen Heimen und Internaten begangenes Unrecht aufgefordert.

Auf dem Gelände des früheren Heims nahe der Kleinstadt Kamloops waren die Überreste der Kinder Ende Mai mit Hilfe eines Bodenradars entdeckt worden. Die katholische Kirche hatte das Internat im Westen des Landes 1890 eröffnet. In der Einrichtung waren Söhne und Töchter aus indigenen Familien zumeist zwangsweise untergebracht, um sie an die "christliche Zivilisation" heranzuführen. Bisher liegen keine Erkenntnisse über die Todesursachen bei den Kindern vor, deren Überreste noch nicht geborgen wurden.

Das Internat war eines von 139 Umerziehungsheimen in Kanada, die überwiegend unter kirchlicher Leitung standen. 1969 übernahmen staatliche Behörden das Internat, 1978 wurde es geschlossen. Zwischen den 1830er Jahren und 1998 landeten schätzungsweise mehr als 150.000 indigene Kinder in solchen Einrichtungen. Dort durften sie oft ihre Muttersprache nicht sprechen, viele von ihnen wurden misshandelt oder missbraucht. (cst/KNA)