Neu am höchsten kirchlichen Gericht

Weihbischof Hegge: Auch Kirchengerichte sind lernende Institutionen

Veröffentlicht am 02.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Gleich drei deutsche Bischöfe hat Papst Franziskus ans höchste Kirchengericht berufen. Einer davon ist der Münsteraner Weihbischof Christoph Hegge. Im Interview verrät er, wie man oberster Kirchenrichter wird – und wie viel Transparenz in der Kirchenjustiz möglich ist.

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Papst Franziskus hat neue Richter ans höchste Kirchengericht, die Apostolische Signatur, berufen. Nachdem jahrelang der mittlerweile emeritierte Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff der einzige deutsche Richter war, sind nun gleich drei deutsche Bischöfe berufen worden: Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller sowie die Weihbischöfe Dominicus Meier aus Paderborn und Christoph Hegge aus Münster. Das Richteramt ist für den promovierten Kirchenrechtler Hegge Neuland. Trotzdem bringt er viel praktische kanonistische Erfahrung aus der Verwaltung mit. Im katholisch.de-Interview verrät der Bischof, wie man kirchlicher Höchstrichter wird – und welche Themen er erwartet.

Frage: Herr Weihbischof, herzlichen Glückwunsch! Sie sind zum Richter am höchsten Gericht ernannt worden – wie kommt man dazu? Gibt es da ein Bewerbungsgespräch?

Hegge: Nein, das ist auch für mich sehr überraschend gewesen. Ich wurde vorher nicht gefragt. Am Montag in der vergangenen Woche bekam ich einen Brief über die Apostolische Nuntiatur in einem doppelten Umschlag. Kardinal Mamberti, der Präfekt der Apostolischen Signatur, kündigte mir an, dass in dem zweiten Umschlag ein Ernennungsschreiben des Heiligen Vaters sei, das mich auf fünf Jahre zum Mitglied der Apostolischen Signatur ernennt. Das ist die übliche Weise, wie Mitglieder in Vatikanischen Behörden ernannt werden. Ich bin dem Heiligen Vater dankbar für das Vertrauen, das er mir durch diese Ernennung entgegenbringt.

Frage: In Ihrem Lebenslauf haben Sie viel Verwaltungserfahrung stehen und nur eine kurze Station am Kirchengericht. Sehen Sie die Berufung als Rückkehr zu ihren Wurzeln?

Hegge: Im Lebenslauf steht diese Station als Kirchenanwalt im Offizialat in Münster. Es gab aber keinen Fall, an dem ich je am Gericht hätte arbeiten müssen. Ich bin im Gerichtswesen gar nicht zuhause – aber aus meiner Verwaltungstätigkeit bringe ich natürlich viel praktische Erfahrung im Kirchenrecht mit.

Zur Person

Christoph Hegge ist seit 2010 Weihbischof in Münster. Zuvor war er Domkapitular und stellvertrender Generalvikar. 1991 promovierte er an der Päpstlichen Universität Gregoriana im Kirchenrecht. In der Deutschen Bischofskonferenz gehört er der Kommission für Wissenschaft und Kultur an, deren stellvertretender Vorsitzender er seit 2018 ist. Im Juni 2021 wurde Hegge als Richter an die Apostolische Signatur, das höchste Gericht der Kirche, berufen.

Frage: Wie kamen Sie denn zur Kanonistik?

Hegge: Ich habe im Auftrag von Bischof Reinhard Lettmann Kirchenrecht studiert. Eigentlich hatte ich ein Lizentiat in Fundamentaltheologie gemacht, da lag Kirchenrecht nicht ganz so nahe. Aber mein Bischof hat mich darum gebeten, und deshalb bin ich dann nach Rom gegangen und habe ein Lizentiat und ein Doktorat in Kirchenrecht abgeschlossen. Anscheinend auch ganz gut. Denn ich habe danach noch 14 Jahre lang Blockseminare im Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom sowie 12 Jahre als Dozent am Institut für Kirchenrecht in Münster gelehrt. Meine Hauptaufgabe war aber zunächst die Tätigkeit als Sekretär des Bischofs und später als stellvertretender Generalvikar. Ich hatte also immer mit Verwaltungsrecht zu tun: bei Laisierungsverfahren, bei Visitationen von Orden oder bei der Entwicklung von Statuten für geistliche Gemeinschaften und kirchliche Bewegungen. Als Weihbischof habe ich dann in der Bischofskonferenz einige Aufgaben im Bereich von Wissenschaft und Kultur übernommen, etwa im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bolognaprozesses im Bereich des Theologiestudiums an staatlichen Universitäten. Aktuell arbeite ich an einem so genannten Akkomodationsdekret für die Apostolische Konstitution Veritatis Gaudium mit. Dabei geht es darum, die neuen Rahmenbedingungen für das Theologiestudium mit dem deutschen Hochschulrecht in Einklang zu bringen. Das sind Verhandlungen, an denen die Bischöfe, der Heilige Stuhl und die Länder beteiligt sind.

Frage: Wie bereiten Sie sich auf die Tätigkeit an der Apostolischen Signatur vor?

Hegge: Bisher habe ich außer der Ernennungsurkunde noch keine Informationen dazu, wie es jetzt weitergeht. Aber Bischof Heinrich Mussinghoff hat mir einige freundliche Hinweise gegeben. Seine Amtszeit an der Signatur geht jetzt zu Ende. Er meinte, dass das eine sehr interessante Aufgabe sei, vor allem, weil man dort Denkstrukturen aus aller Herren Länder kennenlernt und nicht einfach mit einem bestimmten System an die verschiedenen Fragestellungen aus verschiedenen Ländern und Kulturen herangehen kann. Sicher kommen bald weitere Informationen aus Rom – dann sehen wir weiter.

Frage: Es fällt auf, dass nach den langen Jahren, in denen Heinrich Mussinghoff als einziger deutscher Bischof vertreten war, mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Weihbischof Dominicus Meier und Ihnen nun auf einen Schlag drei Bischöfe aus Deutschland als Richter berufen wurden. Können Sie sich diese Schwerpunktsetzung erklären?

Hegge: Möglicherweise will man Nordeuropa und seine besonderen Rahmenbedingungen präsenter machen und auch besser verstehen. Die Kirche nördlich der Alpen ist viel säkularisierter als in anderen Ländern, und zwar im ganzen deutschsprachigen Raum, nicht nur in Deutschland. Ich weiß beispielsweise vom Bischof von Bozen und Brixen, dass er im Grunde ein zweigeteiltes Bistum hat: Ein deutschsprachiges und ein italienischsprachiges – und dort sind viele der Themen, die auch uns in Deutschland bewegen, im deutschsprachigen Diözesanrat und Priesterrat wichtig, während sie im italienischen Teil niemanden interessieren.

Frage: Was für Themen sind das, die sich dann an der Apostolischen Signatur wiederfinden könnten?

Hegge: Zum Beispiel alle Fragen, die im Synodalen Weg auftauchen. Je nachdem, was beschlossen und umgesetzt wird, kann das auch zu Klagen führen, die dann ihren Weg vor die römischen Gerichte finden. Aber auch der Umgang mit sexuellem Missbrauch: Da stellt sich die Frage nach einer nationalen Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit und speziellen Disziplinarmaßnahmen. Bistumsübergreifende Gerichte benötigen die Zustimmung des Heiligen Stuhls. Mit solchen Materien ist die Apostolische Signatur auch befasst.

Stich des Palazzo della Cancelleria in Rom
Bild: ©Gemeinfrei (Wikimedia Commons) (Archivbild)

Der Palazzo della Cancelleria in Rom ist seit 1967 Sitz verschiedener Einrichtungen des Vatikans. Neben der Apostolischen Signatur sind noch weitere Kirchengerichte in dem Renaissance-Bau untergebracht: die Apostolische Pönitentiarie (Bußgerichtshof), zuständig für Erteilung und Anwendung von Absolutionen und Dispensen, und die Sacra Rota Romana, der höchste Zivil- und Strafgerichtshof der Kirche.

Frage: In Deutschland sind gerade konkret zwei neue interdiözesane Gerichtsbarkeiten im Gespräch, ein Strafgericht und ein Verwaltungsgericht. Sind Sie in diese Prozesse einbezogen?

Hegge: Nur im Rahmen der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Aber federführend wurde das von Erzbischof Ludwig Schick entworfen, beteiligt waren außerdem Weihbischof Dominicus Meier und Erzbischof Stephan Burger. Die drei haben zusammen Entwürfe erarbeitet, die im Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz abgestimmt und dann nach Rom weitergegeben wurden, um dort beurteilt und weiterentwickelt zu werden. Wenn die Gerichtsordnungen wieder bei der Vollversammlung Thema sind, kann ich möglicherweise schon meine Erfahrung aus der Apostolischen Signatur einbringen.

Frage: Die kirchlichen Gerichte arbeiten sehr diskret, es ist sehr schwierig, sich über ihre Arbeit zu informieren. Oft fällt das sogar Prozessbeteiligten schwer. Wie erleben Sie das? Ist zu wenig Transparenz in der kirchlichen Gerichtsbarkeit?

Hegge: Der Großteil der kirchlichen Gerichtsbarkeit betrifft Ehenichtigkeitsverfahren. Das sind Personenstandsverfahren, die man nur diskret behandeln kann. Bei Strafverfahren ist es ebenfalls schwierig, solange noch kein Urteil gefallen ist. Da kann man noch nicht an die Öffentlichkeit – und das halte ich auch für richtig, man muss die beteiligten Personen schützen. Es geht dabei nicht nur um die Angeklagten, sondern auch um die Betroffenen. Gerade bei Disziplinar- und Strafverfahren, bei denen es um übergriffiges und missbräuchliches Verhalten geht, ist das wichtig. Betroffene müssen vor Retraumatisierung geschützt werden. Stellen Sie sich vor, was medial geschehen würde, wenn solche Verfahren öffentlich wären! Transparenz ist aber wichtig, was die Verfahrensordnungen angeht. Die müssen öffentlich sein und sind es auch: Sie können im Codex Iuris Canonici und in den Gerichtsordnungen nachlesen, wie Verfahren ablaufen, welche Rechte und Pflichten Beteiligte haben, welche Rechtsmittel es gibt, wie dort für Recht und Gerechtigkeit gesorgt wird. Das ist eine trockene Materie – aber wer es wissen will, kann nachlesen, wie ernsthaft und ohne Willkür kirchliche Gerichte arbeiten.

Frage: Eine Schwierigkeit ist auch, dass die Entscheidungen, die gefallen sind, nur sehr schwer und ausgewählt zugänglich sind – bei der Apostolischen Signatur tauchen sie nur auf, wenn eine Partei sie veröffentlicht oder manchmal in kirchenrechtlicher Fachliteratur. Die kirchlichen Gerichtsordnungen sehen keine Veröffentlichung vor.

Hegge: Ja, ich habe das auch wahrgenommen, dass die Apostolische Signatur kein eigenes Organ hat, das die Entscheidungen publiziert. Das ist so, aber warum das so ist, vermag ich Ihnen nicht zu sagen.

Frage: Auch die deutschen kirchlichen Gerichte halten sich hier sehr bedeckt – nur die Kirchliche Arbeitsgerichtsordnung sieht eine öffentliche Urteilsverkündung vor. Braucht es da mehr Transparenz?

Hegge: Da wo es möglich ist, sollten wir Transparenz schaffen. Dabei müssen wir aber immer die Rechte der Beteiligten im Blick halten: Was dürfen wir veröffentlichen, was nicht? Das wird genau zu prüfen zu sein. Ich würde immer sagen: Transparenz so viel wie möglich, aber in den Grenzen des Rechts – Persönlichkeitsrechte sind nicht gering zu schätzen.

Außenansicht der Päpstlichen Universität Gregoriana
Bild: ©Fotolia.com/lamio (Archivbild)

Die Päpstliche Universität Gregoriana in Rom ist eine der besten Adressen, um Kirchenrecht zu lehren. Der Dekan der kirchenrechtlichen Fakultät, der deutsche Jesuit Ulrich Rhode, wurde als Referendar an die Signatur berufen.

Frage: Eine weitere offene Frage ist die Beteiligung von Betroffenen in Strafverfahren; vor kurzem ging der Fall von Doris Reisinger durch die Medien, die erst aus der Presse von einer Entscheidung erfahren hat, die ihren Fall betrifft und nicht einmal als Zeugin gehört wurde. Betroffenenvertreter fordern von kirchlichen Gesetzgebern, auch im kirchlichen Strafrecht Betroffenen zu ermöglichen, als Nebenkläger Verfahren beitreten zu können, um so auch selbst Rechte im Prozess haben, anstatt nur als Zeuge gehört zu werden, wenn überhaupt. Halten Sie das für sinnvoll?

Hegge: Das ist ein sehr wichtiges Thema – aber damit habe ich mich noch nicht eingehend befasst. Ich halte es aber für unbedingt notwendig, dass man solche Forderungen von Betroffenenseite ernsthaft prüft. Sicher gibt es Gründe, warum im kirchlichen Strafrecht keine Nebenklage möglich ist – aber auch das kirchliche Strafrecht ist hier möglicherweise nicht perfekt. Wenn ein Rechtssystem verbesserungswürdig ist, dann sollte das geprüft werden. Im kirchlichen Strafrecht gibt es viele Entwicklungen, und manche Fragen sind dabei sicher einfach noch nicht bedacht worden. Die Kirche ist eine lernende Institution, das sollte auch für ihre Gerichtsbarkeit gelten.

Frage: Wo sehen Sie Reformbedarf im kirchlichen Recht?

Hegge: Wir sind auf dem Weg zu einer synodalen Kirche, wie Papst Franziskus sagt. Ich möchte einen Vergleich zur orthodoxen Kirche anbringen: Der Patriarch von Konstantinopel hat einen "Ständigen Synodus" eingerichtet, ein ständiges synodales Gremium, um diesen Teil der orthodoxen Kirche zu leiten. Das gibt es bei uns noch nicht – wir haben regelmäßige Bischofssynoden, aber ein ständiges Beratungsgremium gibt es nicht, auch kein wirkliches „Kabinett“ des Papstes, das sich regelmäßig trifft und berät. Hier lohnt es sich, über eine Weiterentwicklung der kirchlichen Strukturen nachzudenken, auch darüber, wie die unterschiedlichen Sichtweisen der verschiedenen Kulturen in der Weltkirche besser eingebracht werden können.

Frage: Und mit Blick auf Ihr künftiges Arbeitsgebiet, die kirchliche Gerichtsbarkeit und das Prozessrecht?

Hegge: Da lasse ich mich zunächst einmal darauf ein, welche Erfahrungen ich bei meiner Tätigkeit an der Apostolischen Signatur mache. Ich möchte mir erst ein Urteil darüber bilden, wenn ich selbst mitgearbeitet habe.

Von Felix Neumann