Kapuziner Schulte: Neuer Ordens-Campus soll Glaubens-Laboratorium sein
Die Bundeshauptstadt bekommt einen neuen Studienstandort für Theologie: Schon in diesem September sollen am Campus für Theologie und Spiritualität (CTS) in Berlin die ersten Lehrveranstaltungen starten. Das Gemeinschaftsprojekt von insgesamt acht Orden und Geistlichen Gemeinschaften soll die Vernetzung in die plurale Gesellschaft vorantreiben. Der Vorsitzende des Trägervereins, Kapuzinerpater Ludger Schulte, spricht über die Standortwahl und die inhaltlichen Ziele des Theologie-Campus.
Frage: Pater Ludger, 2019 wurde an der Berliner Humboldt-Universität das Zentralinstitut für Katholische Theologie eröffnet. Im Herbst soll auch der Lehrbetrieb am neuen Campus für Theologie und Spiritualität beginnen. Was macht Berlin als Standort so attraktiv, obwohl die Hauptstadt kirchlich eine eher geringe Rolle spielt.
Schulte: Zunächst würde ich natürlich sagen, dass man so ein Projekt in allen größeren Städten umsetzen kann. Aber Berlin war für uns bei der Planung aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse. Als Orden denken wir nicht nur national, sondern haben die internationale Perspektive sehr stark im Blick. Wenn man von Amerika, von Afrika oder den Philippinen aus denkt, wohin unsere Gemeinschaften alle eng vernetzt sind, dann bietet sich Berlin als internationale Metropole natürlich deutlich mehr an als andere Standorte. Nicht zu vergessen die östlichen Teile Europas: Polen, die Slowakei, aber auch Lettland. Auch dort sind die Orden sehr präsent, und von Berlin aus können wir eine gute Anbindung in diese Gebiete erreichen.
Frage: Was hat noch dazu beigetragen, dass die Wahl auf Berlin fiel?
Schulte: Ein anderer wesentlicher Grund ist, dass wir Theologie als Laboratorium betreiben wollen – stärker, als das in vielen Bereichen vielleicht bisher schon geschieht. Wir haben uns bei der Konzeption von Anfang an gefragt: Wie kann Theologie dazu beitragen, mit dem Glauben wieder sprachfähig zu werden in der modernen Gesellschaft? Und es war eine schöne Koinzidenz, dass Papst Franziskus genau diese Überlegungen auch mit seinem Schreiben "Veritatis Gaudium" angeregt hat. Um in diesen direkten Austausch mit der Gesellschaft zu treten, brauchen wir ein passendes Umfeld, einen Ort, wo es möglichst viele Kontaktpunkte zu Politik, Kultur gibt. Hier lohnt es sich zu forschen und mit den Akteuren dieser Gesellschaft mit unseren Überlegungen und Anregungen in den Dialog zu treten. Darüber hinaus hat Berlin für uns einen weiteren Vorteil, denn die Pastoral in Berlin wird zu einem großen Teil von Ordensleuten mitgetragen. Die Orden und Geistlichen Gemeinschaften sind hier mit vielen Niederlassungen sehr präsent – das wissen viele gar nicht. Hier haben wir also schon eine ganze Reihe pastoraler Praxis- und Labororte, an die wir anknüpfen können.
Und zuletzt hat für Berlin auch gesprochen, dass wir einen Ort finden wollten, an dem alle Beteiligten neu anfangen müssen. Wir wollten eben nicht beim Altbekannten bleiben und uns an bestehende Ordenshochschulen in Münster oder Frankfurt anhängen, sondern uns bewusst neu ausrichten.
„Die kirchlichen Studien sind nicht nur dazu da, Orte und Programme qualifizierter Ausbildung für Priester, Personen des geweihten Lebens oder engagierte Laien anzubieten, sondern sie bilden eine Art günstiges kulturelles Laboratorium, in dem die Kirche jene performative Interpretation der Wirklichkeit ausübt, die dem Christusereignis entspringt …“
Frage: Haben Sie keine Befürchtungen, dass Sie sich mit dem theologischen Institut der Humboldt-Universität gegenseitig die Studierenden abgraben, wenn Sie zukünftig parallel nebeneinander arbeiten?
Schulte: Nein, da habe ich keine Sorge. Beim Zentralinstitut der HU hat sich inzwischen ja ein deutlicher Schwerpunkt auf der Lehrerausbildung gezeigt, und in dem Bereich werden wir zum Beispiel schon mal nicht tätig. Wir werden aber auch inhaltlich einen ganz anderen Schwerpunkt haben, der auf spiritualitätstheologische Fragen und die großen geistlichen Traditionen der Orden ausgerichtet ist. Das ist ein ganz anderes Spielfeld. Auch planen wir ja kein theologisches Vollstudium, mit dem wir etwa mit der Fakultät in Erfurt in Konkurrenz geraten könnten. Dazu gab es schon vor vier Jahren ein Treffen, an dem alle katholisch-theologischen Akteure in Berlin beteiligt waren, um genau solche Doppelungen zu verhindern. Insgesamt ist das ganze System auf Synergien ausgelegt: Wenn etwa unser Bachelor für pastorale Quereinsteiger kommen sollte, dann sind wir mit dem Zentralinstitut im Gespräch, dass wir dafür die Basismodule gegenseitig anerkennen und uns so entlasten können. Es geht also um Ergänzung, statt Konkurrenz – und ich hoffe, dass wir damit Berlin als Theologie-Standort insgesamt attraktiver machen können.
Die beteiligten Orden und Geistliche Gemeinschaften haben sich zusammengetan, um entgegen manchen Rückzugsbewegungen in Theologie und Kirche gemeinsam etwas für die Zukunft auf die Beine zu stellen! Kooperation steht hier ganz am Anfang unserer Bemühungen: Wir wollen über den Campus hinausgehen in die Ökumene, zu anderen Religionen und gesellschaftlichen Gruppen.
Frage: Das inhaltliche Motto der Hochschule lautet "Theologie und Spiritualität", wie schon am Namen deutlich wird. Sind das nicht eigentlich zwei verschiedene paar Schuhe: Wissenschaft und gelebter Glaube?
Schulte: Naja, ich versuche es mal ganz allgemein aus soziologischer Perspektive auszudrücken: Wir haben bestimmte Überzeugungen, die wir bedenken oder reflektieren. Das gilt für die Theologie als bekenntnisgebundene Wissenschaft insgesamt, wenn man nicht rein religionsphilosophisch arbeiten will. Und solche denkerischen "Voraussetzungen" gibt es ja auch in anderen Wissenschaften. Also da müssen wir erstmal keine Sorgen haben. Es gibt aber neben dem Bekenntnis auch gelebte Praxen und Ausdrucksformen des Glaubens, gelebte Bekenntnisse. Und auf diese Praxen rekurriert Spiritualitätstheologie, indem sie fragt, wie diese Lebensformen und -stile unsere Erkenntnis vorprägen – und umgekehrt: sei es Nächstenliebe, Flüchtlingshilfe oder Gebet.
Dazu kommt noch, dass in den Verwerfungen und Transformationen unserer Gegenwart eine Frage immer stärker anklopft: Wie wollen wir Glauben leben, nicht nur theoretisieren? Es geht nicht nur um Denkbrüche, sondern um Lebenskulturbrüche. Die Frage des rechten und gerechten Lebens bewegt. Heute ist ja häufig das Problem, dass wir uns zwar zu vielen guten Dingen bekennen, etwa Nachhaltigkeit, aber es fehlt noch der Lebensstil, um das konsequent in der Praxis umzusetzen. Es geht letztendlich darum, wie wir unsere Überzeugungen leben. Genau das ist im Kern die Frage der Spiritualitätstheologie. Und dazu haben die großen Traditionen unserer Orden natürlich unglaublich viel variantenreich, reflexiv und praktisch beizutragen. Die franziskanische Perspektive auf die Schöpfung ist eine ganze andere als die dominikanische und die benediktinische, die mehr aus der Kontemplation kommen. Das kann inspirieren. Und zu alldem bietet Berlin mit seiner riesigen Vielfalt an Lebensentwürfen ein ideales Laboratorium.
Frage: Ein weiteres Standbein des neuen Campus soll ein akademisches Leadership-Programm sein. Was kann man sich darunter vorstellen und inwiefern ist das auch für nicht-kirchliche Führungskräfte attraktiv?
Schulte: Zunächst muss man ganz nüchtern betrachten, dass unter den Gründungsmitgliedern des Campus einige – zum Beispiel Krankenhaus- und Schulträger – mit zum Teil bis 30.000 Mitarbeitern sind, und die haben natürlich einen Bedarf an ausgebildeten Führungskräften im Sinne ihres christlichen Profils. Erst einmal ist dieses Programm also ein intellektuelles Rückgrat für die Ordenswerke in Lehre und Forschung. Darüber hinaus glaube ich aber, dass wir auch einen Service für Leute außerhalb der kirchlichen Welt anbieten können. Denn wir verstehen Leadership grundlegend als Verantwortungskultur – also nicht im Sinne von: Wie kreiere ich potenzielle Top-Manager? Sondern: Wie übernehmen wir in der Gesellschaft Verantwortung aus unserer christlichen Haltung heraus? Das meint auch der Papst, wenn er von Leadership spricht. Und da hoffen wir, eigene Formate und eigene Zertifikate entwickeln zu können. Aber das ist etwas, was auch erst noch wachsen muss. Wir nutzen unsere vielfältigen Kontakte und sammeln Leute, die sich in diesen Themen auskennen und es stark machen. Und dann werden wir ganz organisch nach dem Prinzip von "trial and error" arbeiten: Sollte die Sonne auf eine bestimmte Knospe scheinen, dann werden wir die fördern. Und wenn nicht, muss man manche Bereiche vielleicht auch wieder einstellen.
Frage: In Deutschland hat sich an den theologischen Fakultäten ein hohes Maß an wissenschaftlicher Freiheit entwickelt – nicht zuletzt durch die staatliche Finanzierung der Universitäten. Wie schaffen Sie es an einer Hochschule, die auf private Finanzierung angewiesen ist, diese Unabhängigkeit ebenfalls zu gewährleisten?
Schulte: Also für die Selbstständigkeit des CTS Berlin steht natürlich fest, dass alle strategischen und fachlichen Entscheidungen nicht von irgendwelchen Geldgebern bestimmt werden dürfen, sondern ganz normal durch den Hochschulrat und die zuständigen Gremien. Wir sind also nicht einfach ein Erfüllungsgehilfe für bestimmte Interessen. Diese Freiheit ist selbstverständlich, um dem Bildungsanspruch einer Hochschule gerecht zu werden. Allerdings schützt auch die staatliche Einbindung nicht per se vor Unfreiheit.
Frage: Trotzdem könnte man ja durchaus kirchliche Hochschulen nennen, die ein klares theologisches Programm verfolgen…
Schulte: Aber das liegt dann weniger an der Finanzierung, sondern ist eine bewusste Entscheidung. Sobald man sich aber, ich sage mal, am freien Markt der Wissenschaften beteiligen will, gehören Pluralität und Ambiguitätstoleranz ganz elementar zur Theologie dazu, was natürlich einen klare Schwerpunktbildung, wie bei uns am CTS im Bereich der Theologie der Spiritualität nicht ausschließt. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass wir allein durch die Vielfalt unserer verschiedenen Orden und geistlichen Gemeinschaften schon ganz gut vor Einseitigkeit geschützt sind.
Frage: Durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie befindet sich der Hochschulbetrieb gerade in einem großen Wandel – Stichwort digitale Lehre. Inwiefern spielt diese Entwicklung eine Rolle, wenn man einen neuen Hochschulstandort konzipiert?
Schulte: Diese Entwicklung spielt natürlich eine ganz große Rolle. Gerade weil wir als CTS Berlin mit berufsbegleitenden Studienprogrammen auch über die Berliner Grenzen hinaus erreichbar sein wollen. Wir bringen von unseren anderen Standorten schon jede Menge Erfahrung im Bereich des E-Learning mit. Es gibt gerade aktuelle Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit der Hochschulrektorenkonferenz dazu. Und das wirkt sich natürlich auf die Konzeption aus, allein schon was die Raumgestaltung angeht. Präsenzveranstaltungen, die in Zukunft parallel auch online verfolgt werden können, müssen anders aufgebaut sein und stellen auch andere Anforderungen an die Lehre und vieles mehr.
Campus für Theologie und Spiritualität Berlin
Der neue Campus für Theologie und Spiritualität Berlin (CTS) soll nach eigenen Angaben "den spezifischen Beitrag der Orden und Geistlichen Gemeinschaften zur theologischen Landschaft nachhaltig sichern".
Dazu gründeten im April 2021 die Stiftung der Alexianerbrüder, das Josef-Kentenich-Institut der Schönstatt-Bewegung, die Katharinenschwestern, das Klaus Hemmerle Forum der Fokolar-Bewegung, die Franziskanerinnen von Sießen und die Vinzentiner gemeinsam den Trägerverein und die Betriebsgesellschaft des CTS.
Weitere Geistliche Gemeinschaften wie die Dominikaner, Kapuziner und der Deutsche Orden unterstützen das Projekt über einen Förderverein.
Neben Studienjahren für Abiturientinnen und Abiturienten sowie für Theologiestudierende sollen Leadership-Programme für Führungskräfte und ein Bachelor Seelsorge für Quereinsteiger aus kirchlichen Berufen Schwerpunkte des neuen Studienstandorts sein. Beginn des Lehrbetriebs ist für September 2021 geplant.