Londoner Erzdiözese habe "Mangel an Empathie und Mitgefühl" gezeigt

Retraumatisierung: Missbrauchsbetroffene erhält erneut Geld von Kirche

Veröffentlicht am 19.10.2021 um 13:56 Uhr – Lesedauer: 

London ‐ Die Entscheidung könnte zum Präzedenzfall werden: Erstmals erhält eine Missbrauchsbetroffene Geld für die Retraumatisierung, die sie durch die kirchliche Aufarbeitung erlitten hat. Diese sei durch "Mangel an Empathie und Mitgefühl" geprägt gewesen.

  • Teilen:

Eine Betroffene von sexuellem Missbrauch hat von der Londoner Erzdiözese Westminster Geld für eine durch die kirchliche Aufarbeitung ausgelöste Retraumatisierung erhalten. Die Frau habe bereits zuvor eine Zahlung für den erlittenen Missbrauch erhalten, nun aber Entschädigung für den traumatisierenden Umgang mit ihrem Fall gefordert, berichtete das britische Magazin "The Tablet" am Montag. In einem gerichtlichen Vergleich hat die Erzdiözese den Forderungen nun stattgegeben. Dabei handle es sich um die erste Zahlung in Anerkennung von Retraumatisierung, die wegweisend für zukünftige Entscheidungen in ähnlichen Fällen werden könnte, heißt es in dem Bericht.

Die Betroffene, die heute in ihren Fünfzigern ist, wurde zum ersten Mal in ihrem 15. Lebensjahr von einem Priester des Servitenordens sexuell missbraucht. Nach einem Wechsel der Zuständigkeiten wurde ihr Fall von der Londoner Erzdiözese behandelt. Dabei sei es zu Herabwürdigungen der Betroffenen gekommen. So habe der Erzbischof von Westminster, Kardinal Vincent Gerard Nichols, auf die zahlreichen Mails der Frau nicht geantwortet. Sie sei von "Pontius zu Pilatus" geschickt worden, während aus diözesaninternen Mails bekannt wurde, dass der zuständige Bischofsvikar sie als "zutiefst manipulativ" diffamiert habe, so "The Tablet".

Präzedenzfall für neuen Umgang mit Missbrauchsbetroffenen

Die staatliche Untersuchungskommission zu Kindesmissbrauch in England und Wales (IICSA) beschrieb das Vorgehen der Erzdiözese als von "Mangel an Empathie und Mitgefühl für das Opfer" geprägt. Durch die schleppende Aufarbeitung und den sprachlichen Umgang seien ihre gesundheitlichen Probleme, unter denen sie in Folge des Missbrauchs gelitten habe, wiedergekehrt, begründete die Betroffene ihre erneuten Forderungen. Sie habe öffentlich machen wollen, "wie ich behandelt wurde, nachdem ich mich gemeldet hatte, um historischen Missbrauch zu melden, und wie die Diözese auf mich reagierte".

Für Richard Scorer, den Rechtsbeistand der Frau, läutet die jetzt zugestandene Zahlung für die Retraumatisierung einen neuen Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsbetroffenen ein. "Dieser Fall setzt ein klares Zeichen dafür, dass Überlebende es nicht tolerieren, verunglimpft und misshandelt zu werden, und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten, um die Kirche unter diesen Umständen zur Rechenschaft zu ziehen", so Scorer. Seiner Meinung nach sollten Bischöfe, die sich an einer Kultur des "victim-blaming" (Opferbeschuldigung) beteiligten, zurücktreten müssen – so auch der Londoner Kardinal Nichols. Die Erzdiözese Westminster wies diese Forderung zurück, da der Entschädigungsanspruch gegen das Bistum und nicht gegen den Bischof erhoben worden sei. Die Diözese sei außerdem bestrebt, "die Art und Weise, wie sie auf Opfer eingeht und sie unterstützt, weiter zu verbessern", sagte ein Sprecher. (mfi)