Serie: Kirchen mit besonderem Profil – Teil 4

Eine Oase der Stille: Die erste katholische Citykirche Deutschlands

Veröffentlicht am 21.11.2021 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Nürnberg ‐ Ihre Besucher möchte die Offene Kirche St. Klara in Nürnberg dezent, aber unverkennbar mit christlicher Spiritualität bekannt machen. Seit 1995 gibt es dort ein extrem diverses Angebot. In einem der wenigen protestantisch geprägten Teilen Bayerns will St. Klara aber vor allem eins sein: offen.

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Wer die Offene Kirche St. Klara betritt, erlebt ein meditatives "Abkühlbecken". Der ansonsten eher dunkle Vorraum wird von einer auf die Wand aufgebrachten großen Welle aus dunklen Holz- und blau-grünen Glaselementen geprägt, die mit dünnen Lichtfäden durchzogen sind. Über einer breiten Kerzennische steht dort eine goldene Madonna mit Jesuskind. Das gesamte Arrangement strahlt eine Stille aus, die einen krassen Kontrast zum Trubel der fränkischen Großstadt Nürnberg bildet, den man vor der Tür erlebt. Eine Stille, die die ganze Kirche St. Klara ausmacht. "Gerade morgens zwischen acht und elf Uhr, wenn das Licht direkt in den Chorraum scheint, erleben Sie in der Klara-Kirche eine Ruhe, die Sie in der ganzen Stadt nicht finden werden", sagt Jürgen Kaufmann. Der Pastoralreferent muss es wissen: Seit 16 Jahren arbeitet er in der Offenen Kirche und ist zuständig für die inhaltliche Ausrichtung, die Programmgestaltung, die Trauerseelsorge und liturgische Sonderformen.

Diese Ruhe in St. Klara bietet den spirituellen Bedürfnissen der verschiedensten Menschen Platz. Der Kirchenraum unterbricht das Alltägliche, die oft verschütteten religiösen Dimensionen und Fragen des Lebens können sich wieder melden und die Menschen innehalten, schweigen oder beten. Den Begriff "Meditationskirche" für die Offene Kirche mag Kaufmann allerdings nicht. "Das klingt so, als würden wir hier nur Zen-Meditationen machen. Das ist aber nicht unser Hauptangebot." Tatsächlich ist das Angebot in der Klara-Kirche sehr breit gefächert: Neben Taizé-Gebeten gibt es spirituelle Feiern mit kulturellen Angeboten für Menschen in unterschiedlichen Umbruch- und Wendezeiten in ihrem Leben. Dabei kann durchaus auch mal ein Clown, eine Artistin, ein Feuerkünstler oder eine Musikerin auftreten. Gesegnet werden Tiere im "Gottesdienst für Mensch und Tier" und Paare in Segnungsfeiern für "Menschen, die zusammengehören". Als Gegenstück gibt es auch eine Andacht für Menschen nach dem Bruch einer Beziehung.

Etwas für Trauernde und Feiernde

Musik und Besinnung, Kultur und Segen mischen sich zu niedrigschwelligen Angeboten gerade für Fernstehende, Sinnsuchende und Zweifelnde – mit oder ohne christliche Wurzeln. Rock- und Popbands treten genauso in der Kirche auf wie Xylophonspieler oder Bluesmusiker. Es gibt etwas für Trauernde wie für Menschen, die den St.-Patricks- und den St.-Andrews-Day mit speziellen Feiern begehen wollen – samt Prozession zum Irish Pub.

Die Mondsichelmadonna in der Nürnberger St. Klara Kirche
Bild: ©Offene Kirche St. Klara/Heinl

Ein meditatives "Abkühlbecken": Die Mondsichelmadonna im Vorraum der Offenen Kirche St. Klara in Nürnberg lässt Besucher zur Ruhe kommen, bevor sie den Kirchenraum selbst betreten.

Diese sehr verschiedenen und oft unkonventionellen Angebote in St. Klara finden aber nicht nur Befürworter. Manche würden sich beschweren: "Das ist doch nicht mehr katholisch, was ihr hier macht", erzählt Kaufmann. Dem widerspricht er entschieden. Vor der Corona-Pandemie gab es jeden Tag eine Messe in der Kirche, aktuell finden an fünf Tagen zwei Gottesdienste nacheinander statt, da aufgrund der Pandemie weniger Menschen gleichzeitig die Kirche betreten können. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit zur geistlichen Begleitung und Seelsorgegesprächen sowie ein ausgeprägtes Beichtangebot. Kritikern antwortet Kaufmann daher: "Wir haben hier wahrscheinlich mehr katholische Angebote als in vielen anderen Kirchen." 

Die Offenheit, die im Namen bereits anklingt, hat nicht nur mit den Öffnungszeiten von 8 bis 21 Uhr zu tun: St. Klara ist keine Gemeindekirche, sondern hat vom Erzbistum Bamberg einen kategorialen Seelsorgeauftrag. Erstkommunionvorbereitung oder Firmungen finden hier nicht statt. Einen Pfarrgemeinderat oder eine andere Kirchenverwaltung sucht man ebenfalls vergeblich. "Wir sind im Grund Einzelspieler", sagt Kaufmann. Durch viele Aufgaben seien die Kräfte in den Gemeinden oft gebunden und deren Möglichkeiten limitiert. "Wir haben den Vorteil, dass wir unabhängig sind und daher Experimentierfeld sein können – und wir sehen uns auch so."

Valentinsgottesdienst in der Offenen Kirche St. Klara Nürnberg
Bild: ©Offene Kirche St. Klara/Kümmerl

Segnungsfeiern für "Menschen, die zusammengehören" gehören genauso zum Programm der Offenen Kirche St. Klara wie Trauerfeiern, Taizé-Gebete oder Konzerte.

Mit ihrer Ausrichtung ist die Klara-Kirche dabei beispielhaft. Nicht ohne Stolz berichtet Kaufmann, dass St. Klara 1995 die erste sogenannte Profilkirche der offenen City-Seelsorge in Deutschland war. Nach diesem Vorbild sind verschiedene Citykirchen hierzulande oder in Österreich entstanden. "Pastoralteams aus ganz Deutschland kamen und kommen immer wieder nach Nürnberg, um sich Konzept und Programmgestaltung anzuschauen", erzählt Kaufmann.

Das Konzept drückt sich auch in der meditativen Schlichtheit des Gotteshauses aus. Der Innenraum der Kirche ist hell und nüchtern gehalten, "ohne Schnickschnack", wie der Pastoralreferent sagt: Es gibt keine farbige Ausmalung oder ein prunkvolles Figurenprogramm. Lediglich zwei mit Gold bemalte Seitenaltäre lenken den Blick ein wenig vom Chorraum mit dem schlichten hellgrauen Gemeindealtar ab. Anders als bei den großen touristisch interessanten Kirchen der Stadt kommen die Menschen nicht wegen der Kunstschätze. Sie besuchen die unscheinbare Klara-Kirche auf der Suche nach Ruhe. "Die Kirche will bewusst Raum geben für eigene Gedanken und Fantasie, aber auch für Stille und Meditation", sagt Kaufmann. Die Gestaltung führt manchmal allerdings auch zu Irritationen: "Manche fragen sich, ob das überhaupt eine katholische oder nicht doch eher eine reformierte Kirche ist, weil sie so schlicht ist", erzählt er.

Die Trauerwand in der Offenen Kirche St. Klara in Nürnberg
Bild: ©Offene Kirche St. Klara/Heinl

Trauernde können ihre Gedanken und Gebete auf Zettel schreiben und diese in die Trauerwand in der Offenen Kirche St. Klara in Nürnberg stecken. Die Zettel werden gesammelt und einmal im Jahr dem Osterfeuer übergeben.

Als das Gotteshaus in den Jahren 2006 bis 2007 umgestaltet wurde, lautete das Motto "St. Klara braucht Klarheit". Die Atmosphäre der Anfangszeit sollte beim Umbau wiederhergestellt werden. Diese Anfangszeit liegt weit zurück: 1274 wurde die Kirche als Gotteshaus eines Klarissenklosters geweiht. St. Klara ist damit eines der ältesten sakralen Gebäude der Stadt. In der Folgezeit erlebte die Kirche eine wechselvolle Geschichte. Im Zuge der Reformation wurde sie ab 1574 zunächst als evangelische Predigtkirche genutzt und zwischenzeitlich sogar profaniert. 1854 wurde St. Klara wieder eine katholische Kirche, im Zweiten Weltkrieg erlitt sie große Zerstörungen. 1979 übertrug man das Kirchenrektorat von St. Klara dem Jesuitenorden, der schon seit Kriegsende eng mit der Kirche verbunden war und beim Wiederaufbau geholfen hatte. Auch heute ist mit Pater Ansgar Wiedenhaus ein Jesuit Leiter der Offenen Kirche.

Keine "Seelenfängerei"

Seit einigen Jahren hat St. Klara einen weiteren Schwerpunkt im Programm: die Trauerseelsorge. Einmal im Monat gibt es Andachten für Trauernde, die offen für alle Menschen und niedrigschwellig sein sollen. Statt einer Predigt gibt es dort kurze Impulse mit Musik und Rituale mit Kerzen und Zetteln. Darauf können die Trauernden ihre Gedanken an den Verstorbenen oder ein Gebet formulieren und diesen in eine Trauerwand stecken, die seit dem Umbau fester Bestandteil der Inneneinrichtung der Kirche ist. Zusätzlich wird in besonderen Andachten jeweils etwa Sternenkindern, Drogentoten oder einsam verstorbener Menschen gedacht. Kaufmann tritt bei diesen Andachten ohne liturgische Kleidung auf. "Die Andachten sind bewusst so schlicht gehalten, dass sich auch Leute dort wiederfinden können, die mit den Ritualen der katholischen Kirche nicht so vertraut sind", sagt er.

Mit allen Aktionen und Angeboten wollten Pater Wiedenhaus und er aber nicht "Seelenfängerei" betreiben, betont Kaufmann. "Es geht nicht darum, dass jemand über die Trauerseelsorge wieder in den normalen Gottesdienst gelotst werden soll." Gerade die Trauerseelsorge ist aus Sicht des Pastoralreferenten ein Bereich, der auch für sich stehen könne. "Wenn dann jemand sagt: 'Das hat mir geholfen, ich komme jetzt öfter.' Dann sind wir aber natürlich nicht abgeneigt, logisch." Jeder, der das Bedürfnis hat, einen spirituellen Raum für sich zu finden, sei in der Klara-Kirche willkommen.

Von Christoph Brüwer