Wie ein Priester die "Kirche neu erfinden" möchte
Als "lebendiger Organismus" und "lernende Organisation" – so will Peter Klasvogt in seinem Buch über 368 Seiten "die Kirche neu erfinden". Ein Titel, der ein hehres Ziel ausweist. Doch Klasvogt stellt gleich zu Beginn klar: Die Kirche könne nicht einfach neu erfunden werden, denn sie sei nicht irgendeine Institution, sondern eine "Erfindung des Himmels".
Aber: Man könne sich von ihr, von dem "ihr innewohnenden Gottesgeist" finden lassen. Klasvogt ist mit seinem Reformansatz in guter Gesellschaft, denn er bezieht sich auf Papst Franziskus, der einen Wandel in der Kirche durch eine Rückbesinnung auf den Ursprung fordert.
Der Autor formuliert die bekannten Diagnosen: verkrustete kirchliche Strukturen und eine Botschaft, die immer weniger zu den Menschen durchdringt. Kirche müsse "in Treue zur Tradition ihre überzeitliche Mission je neu in die Gegenwart hinein" buchstabieren. Damit sei sie herausgefordert, überkommene Strukturen hinter sich zu lassen und hineinzuwachsen in jeweils angemessenere Formen des Kircheseins. Das bedeutet allerdings auch Konflikte zwischen Bewahrung und Erneuerung, wie der Leiter des Sozialinstituts "Kommende Dortmund" einräumt.
Übertragung einer Theorie aus der Unternehmensberatung
Wie also die Kirche neu erfinden und nicht einfach nur das Erscheinungsbild anpassen? Klasvogt, der Priester und Autor mehrerer theologischer Bücher ist, überträgt dazu Ideen der aktuellen Organisationslehre auf die Kirche: Er bezieht sich auf Frederic Laloux, einen Vordenker der sogenannten New-Work-Szene. Der ehemalige Unternehmensberater Laloux schreibt in seinem Bestseller "Reinventing Organizations" ("Organisationen neu erfinden") über die Zukunft von Organisationen. Eine Frage, der sich laut Klasvogt auch die Kirche nicht entziehen kann.
Klasvogts Buch gliedert sich in drei Teile, jeweils versehen mit zunächst etwas sperrig wirkenden Titeln. Im ersten Teil "Evolutionäres Denken. Integrale Perspektive" gibt Klasvogt einen gründlichen Überblick über Wirtschafts- und Organisationsformen der Vergangenheit bis hin zur Postmoderne. Außerdem stellt er die Kernidee von Laloux vor: eine organische Entwicklung von Organisationen.
In der Unternehmensberatung gehört die Organisationsentwicklung zum Kernbestand einer wirtschaftlichen Optimierung.
Kennzeichen davon ist laut Laloux eine hohe Anpassungsfähigkeit an die Umwelt, da organische Organisationen keine Machthierarchien oder Organigramme kennen. Der Berater spricht mit Blick auf Unternehmen und Organisationen von einer Sehnsucht nach "beseelten Organisationen". Eine Steilvorlage für die Kirche, bei der – anders als bei vielen Unternehmen – die spirituelle Dimension selbstverständlich gegeben ist.
Der zweite Teil des Buches "Sakramentale Kirche. Säkulare Gestalt" gibt einen Überblick über die Kirchenentwicklung und beschreibt die Organisationsformen der Kirche von den frühen Christengemeinden bis hin zu aktuellen Transformationsprozessen. Auch das Führungsverständnis der Kirche wird beleuchtet, da laut Organisationspsychologie Erneuerungshandeln von "oben" in Organisationen durchgeführt werden muss.
Der dritte Teil des Buches "Kirche – evolutionär und lernbereit" verbindet dann die beiden vorangegangenen Teile. Klasvogt schaut sich mit dem von Laloux vorgelegten Instrumentarium in anderen Organisationen um. Der Vergleich macht deutlich: In manchen Bereichen werden Aspekte von Lalouxs Konzept in der Kirche gelebt. Beispielsweise haben Mitarbeiter in der Pastoral eine große Autonomie in der Ausübung ihrer Tätigkeit. Luft nach oben gibt es dagegen bei einer offenen Kommunikation, die in lebendigen, lernenden Organisationen aber eine wichtige Rolle spielt.
Mehr Gedankenexperiment als konkrete Handlungsvorlage
Klasvogt endet damit, dass Spiritualität keineswegs Träumerei ist, sondern politische und gesellschaftsverändernde Kraft besitzt. Kirche könne der Gesellschaft, auch in organisatorischer Hinsicht, ein Beispiel geben. Gleichzeitig könnten die Erkenntnisse der Organisationsentwicklung einen Beitrag dazu leisten, dass Kirche ihre eigene Struktur kritisch hinterfragt und Verbesserungen anstößt. Kirche sollte nicht nur "lehrende", sondern auch "lernende" Organisation sein. "Es wäre den Versuch wert", hofft Klasvogt.
Der Ansatz des Buches bietet weniger eine konkrete Vorlage für eine Erneuerung der Kirche, sondern ist eher als Gedankenexperiment zu lesen. Für Interessierte der New-Work-Ideen hält das Buch einen Abgleich von Lalouxs Konzept an einem organisationssoziologisch einzigartigen Beispiel bereit.
Gleichzeitig nimmt Klasvogt im zweiten Teil eine übersichtliche Bestandsaufnahme der Institution Kirche und all ihrer Spezifika vor. Klasvogt richtet sich dabei erkennbar an ein Fachpublikum, das spezielle Vokabular und die vielen Fußnoten legen dies jedenfalls nahe. Wenn auch in der Einleitung schon deutlich wird, dass die Kirche nicht neu erfunden werden kann, so kann das Buch vielleicht doch Anstöße für kirchliche Erneuerungsprozesse liefern.
Neuerscheinung
Peter Klasvogt: "Kirche neu erfinden. Lebendiger Organismus. Lernende Organisation", erschienen im Bonifatius Verlag (Paderborn 2021), 368 Seiten zu 34 Euro.
