Katholischer Ökumeniker Thönissen über den EKD-Grundlagentext zur Reformation

"Antikatholische Grundsätze"

Veröffentlicht am 09.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Wolfgang Thönissen im Porträt
Bild: © KNA
Ökumene

Paderborn ‐ Mit " Rechtfertigung und Freiheit " liegt ein Grundlagentext der EKD vor, der auf die durch die Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangene Herausforderung für heute eine Antwort sucht. Dieser Text ist Frucht einer innerprotestantischen Verständigung und ein Beitrag zu deren Vertiefung. Diesem Grundlagentext geht es im Wesentlichen um die heutige Bedeutung der reformatorischen Rechtfertigungslehre.

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Es wäre deshalb von vornherein verfehlt, von diesem Text zu erwarten, dass er ökumenisch offen ist, das hieße nämlich, von ihm etwas zu erwarten, was er gar nicht leisten will. Es liegt somit von Anfang an kein der katholischen Kirche und ihrer Theologie gegenüber aufgeschlossener ökumenischer Text vor. Dieser Text ist eine wohlbegründete Absage an die mit der katholischen Kirche geführten ökumenischen Gespräche der letzten Jahrzehnte.

Es geht zur Sache

Um das zu verstehen, muss man nur auf einige Textpassagen verweisen. Nach einigen historischen Rückversicherungen, die durchaus sympathisch klingen, da sie manche Einsichten katholischer Reformationsgeschichte wohlwollend berücksichtigen, geht es wirklich zur Sache. Als Kernpunkte heutiger reformatorischer Selbstvergewisserung werden die fünf bekannten Exklusivpartikel - solus Christus, sola gratia, solo verbo, sola scriptura, sola fide ("allein Christus, allein aus Gnade, allein durch das Wort, allein durch die Schrift, allein durch den Glauben", Anm. der Redaktion) - für heute erläutert.

Ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher sitzen nebeneinander.
Bild: ©KNA

Ein katholischer und ein evangelischer Geistlicher sitzen nebeneinander.

Theologischer Grundgedanke ist hierbei gerade nicht, zentrale Einsichten der Reformatoren historisch angemessen zu rekonstruieren und dann für heute zu rezipieren, sondern sie für eine protestantische Orientierung unhistorisch zu instrumentalisieren. Und protestantisch heißt hier, sie so zuzuspitzen, dass eine ökumenische Verständigung von vornherein ausgeschlossen ist. So heißt es im Text völlig klar und unverblümt: "Das 'allein' spitzt jedes Kernelement exklusiv zu und schließt so anderes aus. 'Allein (aus/im/aufgrund/durch)' heißt hier also immer 'nicht (aus/im/aufgrund/durch)'" (S. 47).

Regulative, die ausschließen

Da will man doch sofort wissen, was hier ausgeschlossen werden soll. Eine knappe theologische Rekonstruktion der Grundgedanken des Grundlagentextes kann das sogleich aufzeigen: Das Heil des Menschen ist allein in Christus beschlossen. Es gibt nur einen einzigen Mittler, nur eine einzige Mittlerschaft. Das wird ausgedeutet in den weiteren Exklusivpartikeln. Allein aus Gnade heißt dann ohne Werke, unverdient, alles hängt von der Gnade Gottes ab. Der Mensch verdankt sich allein der Gnade Gottes. Diese Gnade empfängt er allein im Wort der Gnade, nicht durch das Gesetz. Durch das Wort weiß der Mensch von der Gnade Gottes. Das Wort ist ihm allein in der Heiligen Schrift gegeben, sie enthält das Evangelium von Jesus Christus. Der Glaube ist schließlich allein die Weise, in der der Mensch dem Wort entspricht.

Hier zeigt sich deutlich die Wirkungsweise der Exklusivpartikel: Sie sind Regulative, die ausschließen. In dem "nicht" steckt schließlich die ganze Pointe des protestantischen Verständnisses der Rechtfertigungslehre. Das heißt, wieder zugespitzt formuliert: Christus bleibt ohne seinen Leib, die Kirche, die Gnade bleibt ohne Konkretion in guten Werken, das Wort bleibt ohne Verleiblichung in den Sakramenten, die Heilige Schrift bleibt abstrakt, losgelöst vom lebendigen Zusammenhang mit der Tradition. Der Glaube ist zwar tätiger Glaube, aber gute Werke entstehen "quasi automatisch" (S. 89). Das ist ein sehr protestantisches Programm. Dieses protestantische Programm geht dann tatsächlich nicht mit dem ökumenischen Programm zusammen.

Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft"

Um das zu verstehen, muss man jetzt nur noch das lutherisch-katholische Dokument "Vom Konflikt zur Gemeinschaft" von 2013 heranziehen. Dieses Dokument hat sich in einer historisch angemessenen Weise darum bemüht, die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Kontroversen im Lichte der ökumenischen Verständigung zu beleuchten. Dann müsste das Programm hier so lauten, nämlich: Das solus Christus ist nicht ohne die Kirche, die Gnade nicht ohne die vom Heiligen Geist inspirierten Werke, die Heilige Schrift nicht ohne die Überlieferungsgemeinschaft der Kirche, sprich Tradition, der Glaube nicht ohne Liebe und Hoffnung.

Das heißt dann, auch hier geht das nur zugespitzt: Christus, Gnade, Glaube im Zusammenhang mit guten Werken, Heilige Schrift im Zusammenhang der kirchlichen Überlieferung, das Wort im Zusammenhang seiner sakramentalen Verleiblichung. Das muss man ökumenisch so interpretieren: Das "allein" schließt hier nicht aus sondern ein, nämlich so: keine Gnade ohne Antwort des Menschen, diese Antwort folgt der Gnade und geht ihr nicht voraus. Das ist die Hierarchie: Die Gnade ist der Grund, dem der Mensch in seiner Antwort folgt. So muss man die Rechtfertigung verstehen, sonst bleibt sie allein. Wenn aber das "allein" zugleich zwingend immer das "nicht" bedeutet, ist das "zusammen" ausgeschlossen. Deshalb schließt die protestantische Deutung die ökumenische Verständigung von vornherein aus.

Keine gemeinsamen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum

Was kann nach diesem Grundlagentext auf die katholische Kirche zukommen? Eine Beteiligung der katholischen Kirche an von der EKD veranstalteten Jubiläumsfeierlichkeiten im Jahre 2017, denen dieses protestantische Programm zugrunde liegt, würde in der Öffentlichkeit unweigerlich so verstanden, als würde die katholische Kirche die in dem Grundlagentext festgeschriebenen antikatholischen Grundsätze akzeptieren. Das hätte vor allem Konsequenzen für ihr eigenes Selbstverständnis. Die katholische Kirche müsste sich nämlich dann fragen, ob sie sich selbst lediglich als eine im Konzert der christlichen Kirchen befindliche Konfessionskirche versteht, die die "Idee der Universalkirche" (S. 21) längst selbst aufgegeben und einen einseitig protestantischen Zugang zum Anliegen der Reformation übernommen habe. Das würde aber für die katholische Kirche einen Selbstwiderspruch bedeuten.

Der in dieser Form vorliegende Grundlagentext der EKD lässt daher keine andere Entscheidung zu, als alle gemeinsamen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum , die auf dieser Grundlage beruhen, zurückzuweisen. Ob es ökumenische Gedenkveranstaltungen geben kann, an denen sich die katholische Kirche in Deutschland mit ihrem eigenen theologischen Selbstverständnis beteiligen kann, müsste dann erwogen werden. Die EKD sollte jetzt schnellstens erklären, bevor weiteres Porzellan zerschlagen wird, wie sie selbst die ökumenischen Dokumente und Vorgänge der letzten Jahrzehnte bewertet.

Von Wolfgang Thönissen

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des KNA-Fachdienstes "Ökumenische Information".

Zur Person

Wolfgang Thönissen ist Leitender Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn und Professor für Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät Paderborn.