Von Knochen und heiligem Blech

Genauer: zu einer Sekundärreliquie. Darunter versteht man Gegenstände, mit denen ein Heiliger in seinem Leben Kontakt hatte.
Reliquienkult verständlich machen
In ihrem neuen Buch "Kölner Reliquien" spielen der Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti und der Kabarettist Konrad Beikircher mit diesem Gedanken - um den mittelalterlichen Reliquienkult besser verständlich zu machen. Denn den Heiligen, deren Fest die Kirche am Donnerstag begeht, wurde damals eine überaus große Heilskraft zugeschrieben - und entsprechend auch ihren Körperteilen oder den von ihnen benutzten Sachen. Selbst Dingen, die in Kontakt mit von ihnen angefassten Gegenständen gekommen sein sollen, wurde heilsame Wirkung unterstellt.
Becker-Huberti und Beikircher wagen bei ihrer "Reise in eine andere Zeit" einen "etwas schrägen Blick auf kölsche und rheinische Knöchelchen", blicken dabei aber über die Region weit hinaus. Es geht ihnen nicht darum, sich über den Glauben anderer lustig zu machen. Vielmehr wollen sie in ihrem Buch, das in der zweiten November-Hälfte erscheint, "mit Humor die manchmal skurrilen Sachverhalte betrachten".
Das Undenkbare geschieht
Sie wissen darum, dass die Echtheit vieler Reliquien modernen naturwissenschaftlichen Maßstäben nicht standhält und dass die "Reliquiensucht unserer Ahnen" manches Fragwürdige entstehen ließ. Aber hinter der irrigen Annahme, dass eine Reliquie "von allen Sünden befreit und den verstorbenen Besitzer direkt in das Paradies katapultiert", sehen und respektieren sie auch die christliche Hoffnung auf eine "überirdische Zukunft".
Ohnehin stellten Gläubige heute nicht mehr so sehr die Echtheitsfrage, so die Autoren. Denn verehrt würden doch die vorbildlichen Christen, die durch die Reliquien repräsentiert werden. Die Glaubenszeugen, die wegen ihrer Religion verfolgt und ermordet wurden, spielen seit der Frühzeit des Christentums eine besondere Rolle in der Kirche. Deshalb wurden Kirchen und Kathedralen über ihren Gräbern errichtet. Und als es mehr Kirchen als Märtyrer gab, begann man laut Becker-Huberti und Beikircher ab dem 10. Jahrhundert das bis dahin Undenkbare: Teile von Körperreliquien auf andere Gotteshäuser zu verteilen. Nach wie vor findet sich in jedem Altar einer katholischen Kirche oder unter ihm eine Reliquie.
Wundersame Reliqienvermehrung
Manch einer kam aber auf die Idee, die Gebeine eines Heiligen mit anderen Knochen zu berühren - in der Erwartung, dass sich so die Heilkraft überträgt. Was dann zu einer rasanten Reliquien-Vermehrung führte. Petrus Martyr etwa, der als Patron der Bierbrauer verehrt wird und der dem kleinen Bierfass "Pittermännchen" seinen Namen gab, müsste nach Berechnungen der Autoren mehr als 30 Finger gehabt haben - wenn man alle ihm zugeschriebenen Reliquien addiert. Auch mit den Holzstücken, die angeblich vom Kreuz Christi stammen, könnte man "etliche Bäume zusammensetzen".
Als "Garanten der ewigen Seligkeit" waren die Reliquien im Mittelalter "wertvoller als Edelsteine und Gold", betonen die Experten. Weshalb es auch den "sancta rapina", den heiligen Raub von Reliquien, gab. So heißt ein Kapitel: "Wie die heilige Anna ihren Kopf in Mainz verlor." Die heiligen drei Könige wurden übrigens erobert - durch Kaiser Friedrich Barbarossa, als er 1162 Mailand unterwarf. Er überließ dem Kölner Erzbischof Rainald von Dassel die Gebeine - Anlass für den Bau der meistbesuchten Touristenattraktion Deutschlands: den Kölner Dom.
Von Andreas Otto