Sandra Maischberger diskutiert über den Papst-Rücktritt

Like a Rolling Stone

Veröffentlicht am 13.02.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
TV-Kritik

Bonn ‐ Falls der Papst gestern Abend "Menschen bei Maischberger" geschaut haben sollte, wird er über ein Comeback nachdenken müssen. Wenn er nicht noch einmal eingreift, übernimmt die TV-Prominenz die Deutungshoheit über seinen Rücktritt. Scheidet Benedikt XVI. vorzeitig aus dem Amt, weil er zum Protestantismus konvertieren will? Das legte Matthias Matussek nahe. Oder geht der Priester aller Priester, weil er genug vom Zölibat hat? Mit diesem Gedanken spielte der Fernsehpfarrer Jürgen Fliege. Um so etwas zu hören, guckt der Mensch Talkshows.

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Eingeladen waren außer Matussek und Fliege der Papstkritiker Heiner Geißler, der frühere Chef von Radio Vatikan, Eberhard von Gemmingen, und Uta Ranke-Heinemann, ach nein, Pardon. Die Grand Dame der Theologie ist zwar noch nicht von ihrem Amt als Gegenpäpstin zurückgetreten, aber vermutlich schreckte die Redaktion nach den Erfahrungen in einer früheren Sendung vor einer weiteren Einladung zurück. Statt ihrer saß als "bekennende Atheistin" die frühere SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier im Polstersesselkreis.

"Ist der Papst gescheitert?" lautete die Titelfrage. Das ließe sich hochseriös erörtern: Ein Theologe könnte zum Beispiel die Enzykliken unter besonderer Berücksichtigung von "Deus Caritas est" würdigen, Vertreter anderer Religionen könnten die Leistungen im interreligiösen Dialog bewerten. Das Wort Enzyklika klingt aber wie eine ansteckende Krankheit, die jede Quote killt. Mag sein, dass ein paar ernsthafte Antwortversuche unter jenen Gesprächstrümmern begraben lagen, die alle Teilnehmer gleichzeitig aufeinander schichteten. In den verständlichen Passagen jedenfalls vermittelte die Runde den Eindruck: Der Katholizismus ist eine freiwillig bis unfreiwillig komische Angelegenheit.

Lustige katholische Wunderwelt

Eberhard von Gemmingen kämpfte so tapfer wie vergeblich dafür, das Christentum als anspruchsvolle Religion zu retten. Zu besichtigen war vor allem eine lustige katholische Wunderwelt. Sandra Maischberger promovierte Benedikt schon in der Anmoderation zum "Stellvertreter Gottes". Ingrid Matthäus Maier verwechselte Pontifikat mit Episkopat, Jürgen Fliege bereicherte den Wortschatz um die Formulierung "homosexuell begabte Menschen". Das ZDF hatte am Vorabend bloß Robert Zollitsch flugs zum Kardinal befördert, im Kreativitätsvergleich schneidet die ARD also deutlich besser ab.

Mirakulöses muss mit Matthias Matussek vorgegangen sein: Er attestierte dem Pontifex als Mann des Wortes erst "fast lutherische", dann "fast evangelische" Qualitäten. Papst-Euphoriker seines Schlages waren bisher schnell geneigt, jede Kirchenkritik mit dem Hinweis zu beantworten: "Dann geh doch rüber". Würde nun, da der Benedikt mit höchstem Segen offenbar ins protestantische Lager übergetreten ist, Jürgen Fliege katholisch? Immerhin hat der schon eine an Weihwasser gemahnende Flüssigkeit unter seinem Namen vertrieben.

Dossier zum Papst-Rücktritt

Der Papst sagt Servus

Was würde Jesus sagen?

Doch diesen letzten Schritt wollte der Pfarrer bei Maischberger nicht gehen. Für die Katholiken hatte er einen Tipp parat: Wenn jetzt nicht einmal mehr der Papst treu bleibe, bis ihn der Tod vom Amt scheide, dann könnten auch Eheleute seufzen: "Ich bin zwanzig Jahre verheiratet, ich will nicht mehr". Kein Versprechen ist lebenslänglich, jeder kann von allem zurücktreten. Das war Flieges Essenz.

Heiner Geißler blieb es vorbehalten, erst ein paar katholische Zauberwörter in die Diskussion zu werfen - Sakrament, Jungfrauengeburt, Dogma, Opus Dei -, dann seine Lieblingsfrage zu stellen: Was würde Jesus sagen, wenn er heute in den Vatikan käme? In einer normalen Talkshow wäre Matussek an dieser Stelle explodiert, aber normal ist seit Rosenmontag nichts mehr. Also lächelte der Journalist päpstlich milde und verteidigte altpäpstlich müde das Konservative. Da war aber die Runde schon von der Kurie in den katholischen Kindergarten gesprungen.

Wunderbare katholische Show

Bis zur Jauch-Sendung am vergangenen Sonntag grämte und schämte sich der Katholik, wenn er seine Stellvertreter in Talkshows sah. Jetzt ist alles wunderbar egal. Wann hatte denn der Protestantismus seine letzte eigene Show? Beim Käßmann-Rücktritt? Es muss beim Gauck-Amtsantritt gewesen sein. Da gab es bloß keusche Blicke ins evangelische Pfarrhaus. Aber bei den Katholiken ist immer was los. Da tobt die Sünde und seit vorgestern auch die Anarchie. Ratzinger habe mit seinem Rücktritt alle Ketten gesprengt, jubilierte Ingrid Matthäus-Maier. Der Fels, auf dem Jesus seine Kirche baute, sieht nach 2.000 Jahren zumindest im Fernsehen wie ein Rolling Stone aus.

Großartig sei der Rücktritt, sagte Eberhard von Gemmingen. Mutig, fand ihn Matussek, Respekt bekundete Heiner Geißler. "Schade" sagte niemand.

Von Christiane Florin