Prägende Gestalt der Nachkriegszeit
Geboren in Lyck, einer Kleinstadt im masurischen Ostpreußen, wurde er im Alter von 17 Jahren nach Hitlerjugend und Wehrertüchtigung 1943 zur Marine eingezogen. Während der letzten Kriegsmonate in Dänemark desertierte er. Ein paar Jahre später sollte die dänische Insel Alsen zur zweiten Heimat des Autors und seiner Frau Liselotte werden. Nach der Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft nahm Lenz in Hamburg ein Studium der Philosophie, Anglistik und deutschen Literaturgeschichte auf. Es folgte eine kurze Phase als Redakteur der Zeitung "Die Welt", ehe er 1951 seinen ersten Roman "Es waren Habichte in der Luft" veröffentlichte. Fortan lebte er als freier Schriftsteller.
Waren seine ersten Romane noch deutlich vom Kriegserlebnis bestimmt, so wandte sich Lenz mit der Erzählung "Der Mann im Strom" (1957), der Geschichte eines alternden Arbeiters in der modernen Industriegesellschaft, den Problemen des sich gerade entwickelnden Wirtschaftswunders zu. Mit "Brot und Spiele" (1959) bereicherte er die deutsche Literatur um einen der wenigen geglückten Sport-Romane.
Plädoyer gegen das Verdrängen der Nazi-Zeit
In den 60er Jahren stand mehr und mehr die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich im Mittelpunkt seines literarischen Schaffens. Der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde" wurde sein größter, auch international beachteter Erfolg. Aus der Perspektive des Sohnes erzählt Lenz die Geschichte eines Polizisten, der pflichtgetreu das Malverbot überwacht, das das NS-Regime über seinen Freund Nansen - das Vorbild war der Maler Emil Nolde - verhängte. Die eindringliche Darstellung eines pervertierten Pflichtbegriffs war zugleich ein wirkmächtiges Plädoyer gegen das Verdrängen der Nazi-Zeit.
Der Hamburger Hafen
1970 begleitete Lenz zusammen mit Günter Grass Bundeskanzler Willy Brandt, dessen Wahlkampf er unterstützt hatte, zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau. Eine jahrzehntelange Freundschaft verband ihn mit Brandts Nachfolger Helmut Schmidt. Der Roman "Heimatmuseum" (1978), in dem es um die wechselvolle Geschichte seiner "alten" Heimat Masuren geht, wurde als literarische Verteidigung der sozialliberalen Ostpolitik verstanden.
Seit den 1980er Jahren versuchte sich Lenz mit wechselndem Erfolg an verschiedenen Sujets und Erzählformen. Schien der Roman "Der Verlust" (1981) eine Hinwendung zum Individuell-Psychologischen zu markieren, so wandte sich der Autor mit "Exerzierplatz" (1985) wieder der deutschen Vergangenheit zu. Größere Resonanz erhielt die kurz davor erschienene Novelle "Ein Kriegsende" (1984), in der es um das furchtbare Wirken der deutschen Militärgerichtsbarkeit im Angesicht der Kapitulation ging.
Die letzten Jahre lebte Lenz zurückgezogen
Den ernsten Erzählungen und Romanen stehen von der Literaturkritik wenig beachtete, aber vom Lesepublikum geliebte humoristische Erzählbände wie "So zärtlich war Suleyken" (1955), "Lehmanns Erzählungen oder So schön war mein Markt" (1964) oder "Der Geist der Mirabelle, Geschichten aus Bollerup" (1975) gegenüber.
In seinen letzten Jahren lebte Lenz weitgehend zurückgezogen. Als 2010 Loki Schmidt starb, nahm er im Rollstuhl an der Trauerfeier teil. Seinen Nachlass ordnete er rechtzeitig. Dieses Frühjahr teilte er die Übereignung seiner persönlichen Aufzeichnungen an das Deutsche Literaturarchiv Marbach mit. Im Juni gründete er eine Stiftung unter seinem Namen, die sich der Erforschung seines Werkes widmen soll und auch einen mit 50.000 Euro dotierten Preis vergibt; als erster soll ihn der Israeli Amos Oz im November erhalten.
Sein literarisches Credo hat Lenz in dem Essayband "Über den Schmerz" (1998) formuliert: "Literatur kritisiert, indem sie darstellt. Mit dem Befund 'So ist es' macht sie uns aber gleichzeitig das Angebot, zu fragen: Wie könnte es sein?"
Von Peter Kohl (KNA)
