Der Schriftsteller Siegfried Lenz ist tot

Prägende Gestalt der Nachkriegszeit

Veröffentlicht am 07.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Porträt

Bonn ‐ Mit der Novelle "Schweigeminute" brachte sich Siegfried Lenz vor sechs Jahren noch einmal ins Gespräch, nachdem es zuvor recht still um ihn geworden war. Die Literaturkritik war fast einhellig voll des Lobes über die zarte und zugleich sinnliche Liebesgeschichte zwischen einem Schüler und seiner Lehrerin. Am Dienstag nun ist Lenz, sensibler Chronist der deutschen Nachkriegsgesellschaft, im Alter von 88 Jahren in Hamburg gestorben.

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Geboren in Lyck, einer Kleinstadt im masurischen Ostpreußen, wurde er im Alter von 17 Jahren nach Hitlerjugend und Wehrertüchtigung 1943 zur Marine eingezogen. Während der letzten Kriegsmonate in Dänemark desertierte er. Ein paar Jahre später sollte die dänische Insel Alsen zur zweiten Heimat des Autors und seiner Frau Liselotte werden. Nach der Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft nahm Lenz in Hamburg ein Studium der Philosophie, Anglistik und deutschen Literaturgeschichte auf. Es folgte eine kurze Phase als Redakteur der Zeitung "Die Welt", ehe er 1951 seinen ersten Roman "Es waren Habichte in der Luft" veröffentlichte. Fortan lebte er als freier Schriftsteller.

Waren seine ersten Romane noch deutlich vom Kriegserlebnis bestimmt, so wandte sich Lenz mit der Erzählung "Der Mann im Strom" (1957), der Geschichte eines alternden Arbeiters in der modernen Industriegesellschaft, den Problemen des sich gerade entwickelnden Wirtschaftswunders zu. Mit "Brot und Spiele" (1959) bereicherte er die deutsche Literatur um einen der wenigen geglückten Sport-Romane.

Plädoyer gegen das Verdrängen der Nazi-Zeit

In den 60er Jahren stand mehr und mehr die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich im Mittelpunkt seines literarischen Schaffens. Der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde" wurde sein größter, auch international beachteter Erfolg. Aus der Perspektive des Sohnes erzählt Lenz die Geschichte eines Polizisten, der pflichtgetreu das Malverbot überwacht, das das NS-Regime über seinen Freund Nansen - das Vorbild war der Maler Emil Nolde - verhängte. Die eindringliche Darstellung eines pervertierten Pflichtbegriffs war zugleich ein wirkmächtiges Plädoyer gegen das Verdrängen der Nazi-Zeit.

Blick auf dem hamburger Hafen
Bild: ©Jan Schuler/Fotolia.com

Der Hamburger Hafen

1970 begleitete Lenz zusammen mit Günter Grass Bundeskanzler Willy Brandt, dessen Wahlkampf er unterstützt hatte, zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau. Eine jahrzehntelange Freundschaft verband ihn mit Brandts Nachfolger Helmut Schmidt. Der Roman "Heimatmuseum" (1978), in dem es um die wechselvolle Geschichte seiner "alten" Heimat Masuren geht, wurde als literarische Verteidigung der sozialliberalen Ostpolitik verstanden.

Seit den 1980er Jahren versuchte sich Lenz mit wechselndem Erfolg an verschiedenen Sujets und Erzählformen. Schien der Roman "Der Verlust" (1981) eine Hinwendung zum Individuell-Psychologischen zu markieren, so wandte sich der Autor mit "Exerzierplatz" (1985) wieder der deutschen Vergangenheit zu. Größere Resonanz erhielt die kurz davor erschienene Novelle "Ein Kriegsende" (1984), in der es um das furchtbare Wirken der deutschen Militärgerichtsbarkeit im Angesicht der Kapitulation ging.

Die letzten Jahre lebte Lenz zurückgezogen

Den ernsten Erzählungen und Romanen stehen von der Literaturkritik wenig beachtete, aber vom Lesepublikum geliebte humoristische Erzählbände wie "So zärtlich war Suleyken" (1955), "Lehmanns Erzählungen oder So schön war mein Markt" (1964) oder "Der Geist der Mirabelle, Geschichten aus Bollerup" (1975) gegenüber.

In seinen letzten Jahren lebte Lenz weitgehend zurückgezogen. Als 2010 Loki Schmidt starb, nahm er im Rollstuhl an der Trauerfeier teil. Seinen Nachlass ordnete er rechtzeitig. Dieses Frühjahr teilte er die Übereignung seiner persönlichen Aufzeichnungen an das Deutsche Literaturarchiv Marbach mit. Im Juni gründete er eine Stiftung unter seinem Namen, die sich der Erforschung seines Werkes widmen soll und auch einen mit 50.000 Euro dotierten Preis vergibt; als erster soll ihn der Israeli Amos Oz im November erhalten.

Sein literarisches Credo hat Lenz in dem Essayband "Über den Schmerz" (1998) formuliert: "Literatur kritisiert, indem sie darstellt. Mit dem Befund 'So ist es' macht sie uns aber gleichzeitig das Angebot, zu fragen: Wie könnte es sein?"

Von Peter Kohl (KNA)

Reaktion aus dem Erzbistum Hamburg

Das Erzbistum Hamburg reagiert auf den Tod von Siegfried Lenz. Katholisch.de dokumentiert die Stellungnahme von Hans-Jochen Jaschke, Weihbischof der Erzdiözese: "Siegfried Lenz bleibt unvergessen: der Mann der Deutschstunde, der mit kluger Ironie die Freude an der Pflicht aufs Korn genommen hat, der Mensch, der uns wunderbare Geschichten aus Masuren und dem Osten erzählen konnte. Siegfried Lenz hat mit einem großen Herzen und in einer eindringlichen Sprache von Menschen in ihren komplexen Lebenssituationen erzählt und sie uns nahe gebracht, immer mit feinem Gespür für das konkrete Leben. Ich durfte ihm in den letzten Jahren wiederholt begegnen. Ich habe ihn als den sympathischen und liebenswürdigen Menschen erfahren, der uns in seinen Büchern begegnet und bin sehr dankbar dafür, dass er unter uns gelebt hat. Er lebt in der Erinnerung ungezählter Menschen. Als Christenmensch will ich darauf trauen, dass er in der Erinnerung des Unendlichen Gottes, der keinen vergisst, für immer zuhause bleibt."