Angst vor dem Sog

Veröffentlicht am 04.07.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Jugend

Bonn ‐ Der Spanier Victor, die Griechin Georgia und der Italiener Daniele haben eigentlich nicht viel gemeinsam: Sie haben unterschiedliche Berufe erlernt, sie stammen aus unterschiedlichen Ländern. Dennoch teilen sie eine Erkenntnis: In ihrer Heimat sehen sie keine Perspektive für sich. Stattdessen suchen sie ihre berufliche Zukunft in Deutschland.

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Die Umfrage, die die "Welt am Sonntag" am vergangenen Wochenende veröffentlichte , hätte möglicherweise auch unter anderen Jugendlichen ähnliche Ergebnisse ergeben. Seit Jahren befindet sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa auf einem Höchststand. Die Zahlen sind erschreckend: Auf dem Kontinent sind derzeit rund 5,6 Millionen junge Menschen ohne Arbeit, die meisten davon in den südlichen EU-Mitgliedsländern.

Treffen im Kanzleramt

Am Mittwoch trafen sich im Berliner Kanzleramt auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Regierungsmitglieder aller 28 EU-Staaten, um nach einer Lösung für das Problem zu suchen. Das ist zwar ein hehres Ziel, doch der gewählte Zeitpunkt rief auch Kritik hervor. Schließlich ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen nicht erst in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. "Die Politik reagiert hier um einiges zu spät", sagt Simon Rapp, Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit. Für ihn wie für Vertreter weitere katholischer Verbände muss mehr geschehen, damit die junge Generation in Europa wieder positiv in die Zukunft schauen kann.

Dunkle Wolken sind über dem Reichstag und der Europa-Flagge in Berlin zu sehen.
Bild: ©dpa/Kay Nietfeld

Dunkle Wolken sind über dem Reichstag und der Europa-Flagge in Berlin zu sehen.

Arbeits- und perspektivlos

Derzeit scheint die Lage vor allem in Südeuropa düster: "Es ist zwar nicht eine ganze Generation verloren, aber schon große Teile einer Generation", diagnostiziert Rapp. "Die jungen Leute sind nicht nur arbeitslos, sondern auch perspektivlos. Und kaum jemand hat eine Antwort darauf". Selbst wenn junge Erwachsene nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung einen Job fänden, handele es sich oft um prekäre oder befristete Arbeitsverhältnisse oder um Leiharbeit. "Seit Jahren besteht die Gefahr, dass sich die Jugendlichen wegen ihrer aussichtslosen Lage radikalisieren", warnt Rapp. Das hätten Unruhen in Vororten von London, Paris und Madrid eindrücklich gezeigt.

Georg Hupfauer, dem Vorsitzenden der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands (KAB), fällt ein Bild aus dem Bahnverkehr ein: "Die politischen Schienen in Europa laufen gegeneinander. Mehrere Züge fahren aufeinander zu. Und keiner weiß, wie die Weichen umgestellt werden können".

Forderungen an Politik und Wirtschaft

Wie ein Crash verhindert werden kann, davon hat er klare Vorstellungen: Die Ausbildungssysteme in einigen Ländern müssten verbessert werden – hier sieht der KAB-Vertreter Deutschland mit seinem dualen System in einer Vorreiterrolle. Auch müsste über eine andere Arbeitszeitverteilung nachgedacht werden – wo vier Leute 30 statt 40 Stunden pro Woche arbeiten, sei schon ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen, lautet Hupfauers einfache Rechnung. Jüngere Arbeitnehmer müssten einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Von den Unternehmen erwartet Hupfauer, ihre Investitionen entsprechend zu tätigen und von der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen.

„Die jungen Leute sind nicht nur arbeitslos, sondern auch perspektivlos. Und kaum jemand hat eine Antwort darauf.“

—  Zitat: Simon Rapp, Bundespräses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ)

Rapp: In Ausbildung investieren

Das alles kostet natürlich Geld. Doch das ist auch für Simon Rapp kein Gegenargument: "Wenn für die schwankenden Bankensysteme 1,2 Billionen Euro ausgegeben werden konnten, dann müssen für die Zukunft der Jugendlichen in Europa auch mehr als sechs Milliarden Euro drin sein", sagt er in Anspielung auf das kürzlich von den europäischen Regierungschefs beschlossene Paket. Diese Einsicht hatten wohl auch die Politiker selbst. So kündigte Bundeskanzlerin Merkel nach dem gestrigen Gipfel an, die europäischen Staaten wollten weitere Milliarden für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit bereitstellen.

Simon Rapp fordert, in eine qualitativ sehr gute Ausbildung zu investieren. Es müssten nachhaltige Maßnahmen getroffen werden, die auf mehr als "eine kurzfristige Verbesserung der Statistik hinzielen", erklärt er.

Vorbild Deutschland?

Dass jetzt viel auf Deutschland, seine verhältnismäßig stabile Wirtschaft und sein Ausbildungssystem geschaut wird, ist für die katholischen Verbände durchaus berechtigt. "Im europäischen Vergleich hat Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosenquote. Wir müssen wohl einiges richtigmachen", sagt Marie-Luise Dött, Bundestagsabgeordnete für die CDU und Vorsitzende des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU). "Das zeigt, daß unser Modell der dualen Berufsausbildung funktioniert. Die Berufsausbildung nach deutschem Modell kann deshalb Vorbild für Europa sein."

Trotz dieser positiven Einschätzung warnt Elise Bohlen, Bundesreferentin für Jugendberufshilfe beim Sozialverband "In Via", davor, die eigenen Probleme zu vergessen: "Der Schein trügt insofern, als es auch in Deutschland eine Menge Jugendliche gibt, die keine abgeschlossene Ausbildung haben. Auch um sie muss sich konsequent gekümmert werden", erklärt sie. Rund 1,44 Millionen Jugendliche zwischen 20 und 29 Jahren betrifft das nach ihren Angaben.

Auch für BDKJ-Präses Simon Rapp hat die Wanderbewegung in Europa Licht- und Schattenseiten: "Man muss natürlich aufpassen, dass sich keine Sogwirkung entwickelt und sich die Länder nicht gegenseitig den Nachwuchs und damit die eigene Zukunft entziehen", sagt er. Andererseits zeige die Mobilität aber, dass "die Jugendlichen ‚grenzenlos‘ denken; nicht national, sondern europäisch". Über dieses Kompliment würden sich Victor, Georgia und Daniele sicher freuen.

Von Gabriele Höfling